Offene Kritik an Jena - Knobloch rüffelt den DGB-Chef

DGB-Chef entschuldigt sich für seinen unsäglichen Vergleich bei seiner Rede in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Charlotte Knobloch rüffelt ihn: „Wir führen in Deutschland keine ,Selektionsdebatte’“
MÜNCHEN Mit seiner unsäglichen Rede in der KZ–Gedenkstätte Dachau hat Bayerns DGB-Chef Matthias Jena (49) auch am Montag für große Aufregung gesorgt. In einem Telefonat mit Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, nahm er nach Informationen der AZ seine Äußerungen zurück und hat sich dafür entschuldigt.
„Herr Jena hat sein Bedauern zum Ausdruck gebracht“, hieß es von Seiten der Israelitischen Kultusgemeinde. Am Ende des Telefonates waren sich Knobloch und Jena einig, dass seine Wortwahl ein schwerer Fehler war.
Bei einer Gedenkfeier der DGB-Jugend in der KZ–Gedenkstätte Dachau hatte Matthias Jena am Sonntag vor dem offenen Ofen des Krematoriums behauptet: „Manches, was derzeit unter dem Deckmantel einer Integrationsdebatte daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Selektionsdebatte.“ Wissend, wie seine Rede belegt, dass „Selektion“ in den Konzentrationslagern der Nazis organisierten Massenmord und meist tödliche Zwangsarbeit bedeuteten.
Die Empörung in der Israelitischen Kultusgemeinde war groß (AZ berichtete). Gestern Vormittag rief Jena Charlotte Knobloch an. Die beiden kennen sich vom „Münchner Bündnis für Toleranz“. Sie erläuterte ihm, wie sachlich falsch sein Vergleich ist. In einer Erklärung gegenüber der AZ lässt Charlotte Knobloch keinen Zweifel daran, wie sehr sie den umstrittenen Teil von Jenas Rede verurteilt.
Knoblochs Kommentar im Wortlaut: „Ich kenne Herrn Matthias Jena seit vielen Jahren. Ich schätze ihn sehr und habe nicht den geringsten Grund, an seiner hohen Anständigkeit und seiner Integrität zu zweifeln. Aber es gibt nun mal Worte, die aufgrund ihrer Verwendung in der Vergangenheit einen nachhaltigen Bedeutungswandel erfahren haben. Diese Worte haben in der Gegenwart nichts zu suchen. Wir führen in Deutschland keine ,Selektionsdebatte’ und werden sie hoffentlich auch nie wieder führen. Mit seiner Wortwahl hat Herr Jena einen Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt. Das passiert. Wir alle machen Fehler. Jetzt sollten wir uns schnell wieder dem eigentlichen Thema dieser Tage zuwenden: den 9. November 1938 und was wir daraus für unser aller Gegenwart und Zukunft lernen können.“
Jena hat sich mit seinem Vergleich verrannt, bei dem er die umstrittenen Thesen von Thilo Sarazin und die Zuwanderungsdebatte meinte. Dabei müsste er um die Brisanz seines Vergleichs wissen: Er engagiert sich im „Münchner Bündnis für Toleranz“ und ist Gründungsmitglied des „Förderverein Jugendbegegnungsstätte Dachau“.
„Damit ist er eigentlich unverdächtig“, sagt einer der Kritiker seiner Rede. Die Politik hielt sich deshalb auch gestern öffentlich zurück. Doch es hieß: „Diesen Murks haben die Leute nicht verdient, die sich heute um die KZ-Gedenkstätte Dachau engagieren.“ Oder: „Das Zitat ist unsäglich. Man spricht nicht von ,Selektion’, bei der es um Leben und Tod ging. Das ist sachlich falsch und dumm.“ Marian Offman, CSU-Stadtrat und Präsidiumsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in München, meint: „Ich bin darüber immer noch entsetzt.“
Jena war trotz mehrfacher Anfragen nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Er hat diesen Teil seiner Rede auch nicht öffentlich zurückgenommen. Willi Bock