Öffentlicher Nahverkehr: Das ist Münchens Zukunft
AZ: Herr König, was ist das wichtigste Verkehrsprojekt für die Münchner Zukunft?
HERBERT KÖNIG: Die wichtigste aktuelle Weichenstellung ist zweifelsohne die zweite Stammstrecke.
Als MVG-Chef sind Sie für U-Bahn, Bus und Tram zuständig – die S-Bahn-Stammstrecke fällt nicht in Ihren Bereich. Trotzdem die Frage an Sie: Glauben Sie, der zweite Tunnel wird je gebaut?
Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ich traue mich im Moment nicht, das zu beurteilen. Weil für den Nahverkehr in Deutschland insgesamt gilt: Die Finanzierungsstrukturen für die Zukunft sind völlig ungesichert und nebulös.
Woran liegt das?
Seit Jahrzehnten ist der Ausbau des Nahverkehrs gemeinsam vom Bund und den Ländern geschultert worden. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – ich weiß, das ist ein heftiges Wort, aber es heißt nun mal so – läuft 2019 aus. Bisher sind alle großen Nahverkehrsprojekte in Deutschland wesentlich aus diesem Topf finanziert worden. Bis dato gibt es aber keinerlei ernste politische Initiativen für ein Folgeprogramm nach 2019. Ich weiß nicht, ob es einen neuen Topf geben wird. Das birgt große Unsicherheiten für den Nahverkehr. Und: Bis 2019 ist der jetzige Finanztopf schon dreifach überbucht.
Auch bei der U-Bahn stehen große Investitionen an. Sie ist teils jetzt schon am Limit.
Es geht erst einmal darum, die heutige Funktionsfähigkeit der Anlagen zu erhalten. Und dann gibt es eine Reihe von Maßnahmen, um sie noch leistungsfähiger zu machen. Maßnahmen an Bahnhöfen, die zunehmend an ihre Grenzen geraten. Das war schon der Fall am Marienplatz, wo man einen Bypass-Tunnel gebaut hat. Und das ist jetzt der Fall am Sendlinger Tor, wo wir nicht nur modernisieren und Bauschäden beseitigen, sondern das Bauwerk insgesamt leistungsfähiger machen.
Im Moment ist der Bahnhof Sendlinger Tor die letzte große Baumaßnahme, die geplant ist. Wenn auch sie umgesetzt ist, wie lange kann die U-Bahn dann so bleiben, wie sie ist?
Im Kernbereich, wo die Kapazitätsgrenzen erreicht sind, wollen wir in den nächsten Jahren während der Hauptverkehrszeiten den Takt nochmal verdichten von heute zweieinhalb auf dann zwei Minuten. Das ist ein Zuwachs von vier auf fünf Züge in zehn Minuten. Dafür haben wir auch neue Fahrzeuge bestellt. Ich denke, dass die U-Bahn damit sicher für dieses Jahrzehnt die Zuwächse verkraften kann.
Und danach? Laut Bevölkerungsprognose sollen bis 2030 elf Prozent Neumünchner dazukommen – hält die U-Bahn das aus?
Man muss die Netzkarte auf weiteren Ästen in der Innenstadt verdichten. Aber das muss auch finanzierbar sein. Alle Beteiligten müssen die planerischen und finanziellen Kräfte in den nächsten Jahren konzentrieren auf die Bereiche, wo es wirklich kneift. Und das ist das Zentrum.
Das klingt wieder wie ein Plädoyer für die zweite Stammstrecke. Bei der kann aber nicht die Rede davon sein, dass alle Kräfte an einem Strang ziehen. Ärgert Sie das?
Grundsätzlich ist es legitim, wenn Zweifel an der Finanzierbarkeit eines Projektes aufkommen, dass man über Alternativen nachdenkt. Ich habe nur die Sorge, gerade auch wenn so etwas zunehmend zum Wahlkampfthema wird, dass die politische Debatte sich immer mehr von der fachlichen Seite ablöst.
Sind wir da nicht schon lang?
Es besteht zumindest die Gefahr, dass zu sehr in den Hintergrund tritt, um welche Problemlösungen es wirklich geht. Wenn zum Beispiel behauptet wird, die Verlängerung der U5 nach Pasing sei eine Alternative zur zweiten Stammstrecke – dann zeigt das: Man hat vergessen, wozu der zweite Tunnel notwendig ist. Er ist nötig, um Verbindungen aus der Region nach München und umgekehrt zu verbessern und die Kapazitäten dort zu erweitern – diese Rolle kann eine U-Bahn nach Pasing nicht erfüllen. Außerdem ist mir die Diskussion zu sehr aufs heutige S-Bahn-Gebiet begrenzt.
Wie meinen Sie das?
Das Einzugsgebiet Münchens geht längst über den MVV-Raum hinaus. Auch für diese Pendler braucht es eine Durchbindung mit direkter Verknüpfung zum U-Bahnnetz am Marienhof. Auch dazu muss die zweite Stammstrecke benutzt werden können.
Welche neuen U-Bahn-Linien halten Sie für sinnvoll?
Wir prüfen derzeit die U9, eine Bypass-Strecke in der Innenstadt – von der Implerstraße über den Hauptbahnhof zur Münchner Freiheit. Da sind wir aber noch in einem frühen Stadium. Wenn sie sich in zwei bis drei Jahren als machbar herausstellen sollte, wird sich auch da die Finanzierungsfrage stellen.
Von der U 5 nach Pasing halten Sie gar nichts?
Die finde ich nicht sinnvoll – zumindest nicht prioritär. Weil sie das Zentrum nicht entlastet. Die bisherigen Zahlen haben ja auch gezeigt, dass die Auslastung relativ gering wäre. Was zur Zentrumsentlastung aber auch noch gehört, sind die fehlenden Trambahn-Tangenten – die im Westen und die im Norden. Sie würden den Leuten schnelle Verbindungen von Stadtteil zu Stadtteil ermöglichen. Wer heute von Neuhausen nach Bogenhausen will, fährt übers Zentrum, weil die Querverbindung fehlt.
Der MVV hat heuer 40. Geburtstag – wenn Sie 40 Jahre in die Zukunft spekulieren: Wie stellen Sie sich den Münchner Nahverkehr vor?
Das ist lang! Aber das Nahverkehrsnetz wird sich in seiner Grundstruktur – also was die Verkehrsmittel betrifft – gar nicht so sehr unterscheiden von heute. Außer, dass ich davon ausgehe: Auch Busse werden bis dahin rein elektrisch fahren und keine fossilen Kraftstoffe mehr benötigen.
Wird die Münchner U-Bahn fahrerlos sein?
Da wage ich keine Prognose – der Trend bei U-Bahnen geht weltweit dahin. Aber ob sich das wirtschaftlich rechnet, muss sich erst noch zeigen.
Gibt’s Bahnsteigtüren?
Es wird elektronische Sicherungssysteme im Bahnsteigbereich geben. Damit werden mechanische Systeme wie Bahnsteigtüren überflüssig.
Wie teuer wird das Einzelfahrtticket für eine Zone in 40 Jahren sein – jetzt kostet es 2,50 Euro?
Auf dieses Glatteis locken Sie mich nicht. Da beginne ich jetzt mit meinem Standardsatz: Der öffentliche Nahverkehr hat nur zwei Finanziers – den Steuerzahler und den Fahrgast. Und letzten Endes entscheidet immer die Politik, wer wie viel bezahlt. Eine Prognose abzugeben, wie sich politische Entscheidungen in den nächsten Jahrzehnten entwickeln, traue ich mich nun wirklich nicht.
Wann kommt das Handyticket in München?
Wir sind da intensiv dran. Der Vertriebsweg muss wirtschaftlich sein, denn die Kosten des Ticketverkaufs muss der Fahrgast bezahlen. Wir halten es für möglich, da im Laufe des Jahres 2013 etwas anbieten zu können. Aber versprechen kann ich noch nichts.
Glauben Sie, die Pleiten-Pech- und Pannen-Variobahnen fahren in 40 Jahren noch – und zwar mit Zulassung?
Das glaube ich nicht – die dürften in 40 Jahren das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Ich hoffe aber, dass sie zumindest die nächsten 35 Jahre fahren – mit Zulassung.
Hat sich inzwischen eine Ursache für den Serienschaden herausgestellt?
Nein, der Hersteller untersucht immer noch.
Das dauert ganz schön lange.
Finde ich auch. Wir würden die Prüfung auch anders angehen als der Hersteller. Er prüft jetzt erstmal nur in Richtung seiner Zulieferer. Wie das heute so ist: Jeder hat Unterlieferanten und versucht, das Problem auf die abzuwälzen. Ich bin da schon ziemlich sauer. Wir wissen immer noch nicht, warum die Gummiteile an den Reifen kaputt gehen. Alle zwölf derzeit vorhandenen Züge sind von dem Serienschaden betroffen.
Jetzt wollen Sie sich aus anderen Städten alte Trambahnen besorgen.
Das ist zumindest eine Option. Nicht als Ersatz für die Variobahnen, die wir schon haben. Sondern weil wir Ende 2013 sechs bis acht weitere Züge brauchen für weitere Verdichtungen. Und beim Stand der Dinge werde ich jetzt keine weiteren Variobahnen bestellen, wenn unklar ist, ob die weiter eingesetzt werden können. Dafür bräuchten sie eine dauerhafte Zulassung – und die fehlt immer noch.
Wie oft hat das Variobahn-Drama bei Ihnen schon zu Wutausbrüchen geführt?
Es sind eher Verzweiflungs-Ausbrüche. Wut nützt ja auch nichts. Aber die Variobahnen haben uns schon viele Stunden Krisensitzungen gekostet.