Odyssee zum Kindergartenplatz

München - Ein blonder Wuschelkopf, ein verschmitztes Grinsen – Henry ist dreieinhalb und ein aufgewecktes Kerlchen. Beim Besuch der AZ bei ihm und seinen Eltern zuhause in der Au turnt er unermüdlich durch die Wohnung, zeigt wie gut er schon einen Handstand machen kann und führt seine Lieblingsspielsachen vor.
Sein Lieblingsspiel ist aber: Kindergarten. Dabei packt er im Wohnzimmer seinen Rucksack, verabschiedet sich von der Mama. Im Nebenzimmer wartet dann der Papa und tut so, als sei er der Kindergarten.
In einen richtigen Kindergarten gehen, dort spielen und toben wie andere Kinder in seinem Alter – bisher konnte Henry das nicht und es sah sehr lange so aus, als würde es damit auch so schnell nichts werden: Henry bekam keinen Kindergartenplatz.
Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt es schon seit 1996. Aber was hilft das? Ramona und Werner Wagner, Henrys Eltern, haben sich eifrig um einen Platz bemüht, „überall wo es irgendwie umsetzbar ist“, sagt Werner Wagner. Von allen städtischen Einrichtungen hagelte es Absagen, private Träger reagierten meist gar nicht erst. Oder irgendetwas passte nicht, sei es, dass Henry nicht im richtigen Alter war oder ein Mädchen für die Gruppe gesucht wurde.
Bei ihrer verzweifelten Suche waren die Wagners bereit, ziemlich viel in Kauf zu nehmen, damit Henry in den Kindergarten gehen kann. „Wir würden schon einiges ausgeben, wenn es sein muss“, sagt Werner Wagner. „Nur bei denen, die dann 1000 Euro oder mehr kosten, haben wir uns nicht beworben“, sagt er. „Irgendwo muss Schluss sein, eine Leberkassemmel für 15 Euro kauft man ja auch nicht – egal, ob man es sich leisten kann oder nicht.“
Die Wagners waren verzweifelt. Und frustriert. Und sauer.
„Der Bub muss unter andere Kinder“, sagt Werner Wagner. „Er muss lernen, sich in eine Gruppe einzufügen und sich auch mal messen.“ Ganz zu schweigen vom Vorschul-Programm, dass die Kindergartenkinder später auf die Schule vorbereitet. „Wir hatten Bedenken, dass er dann in die Schule kommt und einen Nachteil hat, vor allem geht es aber darum, dass Henry furchtbar traurig war, dass er nicht wie andere in den Kindergarten gehen kann.“
Mama Ramona gibt sich alle Mühe. Sie treffen Freunde mit Kindern, wenn die nachmittags aus dem Kindergarten kommen. Sie geht mit Henry in den Tierpark, ins Museum und auf den Spielplatz. Hier hört sie von vielen anderen Eltern aus dem Viertel, die dasselbe Problem haben.
Tatsächlich war Henry in seinen dreieinhalb Jahren noch nie in einer Fremdbetreuung, außer in der stundenweisen des Fitnessstudios, dass Ramona Wagner besucht.
„Er bezog die vielen Absagen schon auf sich, sagt Ramona Wagner. „Und fragte immer, ob es an ihm liegt, dass er keinen Platz bekommt.“
In ihrer Verzweiflung schrieben die Eltern an OB Christian Ude. Die Antwort war ein Brief vom Referat für Bildung und Sport, in dem auf das Servicetelefon der Stadt hingewiesen wurde, bei dem man sich über eventuell freie Plätze erkundigen kann und weitere alternative Kinderbetreuungsmöglichkeiten genannt wurden. Man vertröstete sie, vielleicht könne Henry ja doch noch irgendwo nachrücken. Genau das hat jetzt tatsächlich geklappt – die Wagners hatten schon nicht mehr dran geglaubt.
„Oft werden die Plätze erst im Laufe des Kindergartenjahres vergeben“, sagt Monika Niedermayer vom Bildungsreferat, „weil man nicht alle Kinder gleichzeitig eingewöhnen kann.“
39509 Kindergartenplätze gibt es aktuell in München, der Versorgungsgrad liegt bei 87 Prozent. Bis Ende des Jahres sollen es 40706 Plätze sein, dann läge der Versorgungsgrad bei 91 Prozent.
Der Familie Wagner halfen diese eigentlich recht positiven Zahlen bisher genauso wenig, wie der formal bestehende Rechtsanspruch. „Wir hätten klagen können“, sagt Werner Wagner, „aber was hätte das gebracht?“
Seit Jahren beschäftigten sie sich notgedrungen mit dem Kampf um einen Betreuungsplatz. Denn Henry hatte auch nie einen Krippenplatz ergattern können. Die Formulare mit Rückmeldungen und Absagen füllen mittlerweile mehrere Ordner. Wohl oder übel hatten die Wagners sich mit der Situation arrangiert. Ramona Wagner, die Frisörmeisterin ist, konnte ihre Arbeitszeiten auf drei Tage pro Woche reduzieren, einen davon legte sie auf den Samstag, so dass die Großeltern, die allerdings 50 Kilometer anreisen müssen, und der Vater auf Henry aufpassen konnten. Dafür hatte die Familie dann eben nur den Sonntag gemeinsam.
„Die Betreuung war nicht so sehr das Problem“, sagt Werner Wagner. „Das haben wir immer irgendwie hingekriegt. Uns geht es darum, was gut fürs Kind ist.“
Jetzt bekam die Familie endlich die ersehnte Zusage – Henry hat doch noch einen Kindergartenplatz in einer städtischen Einrichtung. „Henry hat sich den ganzen Tag Freude, und abends gab es Kindersekt zum Anstoßen“, sagt Werner Wagner.
Jetzt muss Henry nicht mehr "Kindergarten spielen", sondern kann in einen echten Kindergarten gehen.
Die Wagners sind überglücklich, „nur schade, dass es viele gibt, die noch kein Glück hatten“.