Oberster Bauherr über neue Wohnungen in München: "Angebot erreicht Nachfrage nicht mehr"

München – Das Aufräumen fällt ihm schwer. Cornelius Mager ist schon seit Tagen am Aussortieren, Ausmisten, Büro leerräumen. "Ich bin ein Sammler, werfe nicht gern Dinge weg", sagt der 65-Jährige. Offiziell ist er erst ab 1. November im Ruhestand, aber Mager feiert schon seinen Resturlaub ab. Ein bisschen fühlt es sich schon an wie Pension. 21 Jahre lang war Mager Chef der Münchner Lokalbaukommission (LBK), der größten Baugenehmigungsbehörde Deutschlands.
Acht Kilometer Pappmappen lagern in der Zentralregistratur in der Blumenstraße: mehr als 300.000 Bauakten aller genehmigten Gebäude der Stadt. Mager hat es mal ausrechnen lassen: Seitdem er 2002 als Chef begann, hat die LBK Genehmigungen für insgesamt 140.000 Wohnungen erteilt. Zu den Aufgaben der LBK gehört auch, Denkmäler zu schützen, Baustellen zu kontrollieren und illegales Abholzen zu ahnden. Mager war Chef von mehr als 300 Mitarbeitern. Zeit für einen persönlichen Rückblick auf die Stadt, in der er geboren ist.

Cornelius Mager über seine Zeit bei der LBK: "Der verrückteste Antrag? Die Alte Utting!"
AZ: Herr Mager, was war denn der verrückteste Genehmigungsantrag, der in den vergangenen 21 Jahren in Ihrer Behörde bearbeitet worden ist?CORNELIUS MAGER: Das Schiff! Die Utting auf der Brücke. Dieses Projekt hat der ganzen Behörde Spaß gemacht.

2002 sind Sie LBK-Chef geworden. Wie hat sich die Stadt aus Ihrer Sicht seitdem verändert?
Ich finde, wir haben es gut hinbekommen, München hat sein Gesicht nicht grundlegend verändert. Wir hatten großes Glück, dass wir für Neubebauungen im Wesentlichen auf bebautes Gelände der Bahn, Bundeswehr und Post zurückgreifen konnten. Neben den großen Siedlungsmaßnahmen wie Riem oder Freiham haben wir uns sehr stark auf Nachverdichtung von Siedlungen der 50er und 60er Jahre konzentriert. Das hat zum Beispiel im Hasenbergl gutgetan, heute gibt es dort wieder mehr Geschäfte, mehr Angebote und besseren Nahverkehr.
Baukrise in München: Angebot und Nachfrage decken sich nicht mehr
Derzeit haben wir eine Baukrise. Baukosten und Zinsen sind gestiegen, auf vielen Wohnungsbaustellen steht die Arbeit still. Wann gab es zuletzt so wenige Bauanträge wie in den vergangenen zwölf Monaten?
Sie werden lachen, die Bauanträge sind noch gar nicht so stark zurückgegangen. Zuletzt hatten wir das Niveau etwa in den Jahren 2010/11/12. Aber natürlich fürchten wir, dass sich die Krise auch auf die Fertigstellungszahlen der nächsten Jahre auswirkt.
Die Zielzahl ist, dass jedes Jahr 8.500 Wohnungen fertig werden. Machen Sie sich Sorgen?
Diese Zahl haben wir noch nie erreicht. Und ja, ich mache mir große Sorgen. Es zeigt: Das Angebot erreicht die Nachfrage nicht mehr und umgekehrt. Eigentlich dürften doch drei bis fünf Prozent Zinsen auf Käuferseite noch zu keiner Krise führen. Aber die Basis sind heute die viel zu hohen Grundstückspreise. Ich denke und hoffe, dass die geförderten Formen des Wohnungsbaus auch bei den Privaten wieder ein Stück populärer werden. Über kurz oder lang muss beides wieder zusammenkommen, wenn Gewinnerwartungen und Grundstückspreise nach unten korrigiert werden. Im Moment ist es ein großes Abwarten.
Nachverdichtung in München: Die Menschen machen sich Sorgen über die Stadtentwicklung
In den vergangenen 21 Jahren ist München etwa um die Größe von Augsburg gewachsen, 280.000 mehr Menschen leben in der Stadt. Wie viel Nachverdichtung und wie viele Menschen verträgt München noch?
Die Stadt kann nach meiner Einschätzung noch sehr wachsen. Zum einen haben wir laufende Bebauungsplanverfahren, zum Beispiel in Freiham, in Riem steht der letzte Bauabschnitt aus und natürlich die SEM, die Stadtentwicklungsmaßnahme Nord-Ost, dort sind überall noch große Potenziale.
Und wo wird im Bestand noch überall nachverdichtet werden?
An vielen Stellen in der Stadt. Wenn wir keine neuen Flächen versiegeln wollen, wird es vor allem um Umstrukturierungen gehen, zum Beispiel, dass wir große oberirdische Parkplätze reduzieren, unter die Erde bringen und die Flächen bebauen. Auch lassen sich Bauzeilen verlängern und viele Gebäude aufstocken. Da ist noch sehr viel Musik drin.
Nachverdichtung macht vielen Angst. Im Herzogpark in Bogenhausen kämpfen Mieter derzeit dagegen, dass ihr grüner Hinterhof zugebaut wird. Vielerorts ist der Gartenstadtcharakter längst am Schwinden. Kann man das noch stoppen?
In Bogenhausen und Obermenzing hat diese Entwicklung schon in den 70er Jahren mit dem Auslaufen der Staffelbauverordnung begonnen. Damals galten wir als rückständige Bauverhinderer, wurden geradezu getrieben, noch mehr zuzulassen. Heute können Sie nicht dem einen verweigern, was der andere schon umgesetzt hat. Wir haben insgesamt 2.600 Quartiere – also jeweils vier Straßenzüge – untersucht und dabei festgestellt, dass in etwa 1.200 solcher Blöcke die rückwärtigen Bereiche noch frei von Bebauung sind. Dort werden auch künftig große unversiegelte Flächen bleiben. Das beurteilen wir heute restriktiver.

Die LBK ist auch Baupolizei. Was finden die Mitarbeiter auf Baustellen so alles vor?
Oft sind es schlampig geführte, gefährliche Baustellen. Oder prekäres Wohnen, wenn Arbeiter in Kellerverliesen ohne Fenster untergebracht werden. Solche ungenehmigten Nutzungen sind brandgefährlich. Da schreiten wir als Baupolizei sofort ein.
Cornelius Mager über seine schlimmsten und schwierigsten Fälle in seiner LBK-Amtszeit
Der schlimmste Fall für Sie?
Der erschütterndste Fall war ein Todesfall im Glockenbachviertel. Da hatten Bauarbeiter versehentlich einen Kaminzug außer Betrieb genommen, der zu einer bewohnten Wohnung gehörte. Eine Frau ist in ihrer Badewanne erstickt.
Hatte der tragische Tod Auswirkungen auf die Arbeit der LBK?
Seitdem gibt es häufigere und systematischere Stichproben auf bewohnten Baustellen. In dem Fall mit den vertauschten Kaminzügen hätten wir das wohl auch nicht erkennen können.
Ein schwarzer Tag war sicher auch der Abriss des Uhrmacherhäusls.
Ja, so etwas habe ich in 20 Jahren noch nie erlebt. Da wurde ein Denkmal in wenigen Minuten zerstört.
Der Eigentümer und der Bauunternehmer bekamen hohe Geldstrafen. Meinen Sie, das schreckt potenzielle Nachahmer ab?
Ich glaube schon. Das Beste, was wir tun können, ist, dass wir unsere Beratung und unsere denkmalrechtlichen Verfahren, aber auch die Kontrollen so gut aufstellen, dass niemand an solche Mittel überhaupt denkt.
Sprechen wir über Bäume. Zur LBK gehört die Baumschutzbehörde. Wenn ein Baum mit 80 Zentimetern Stammumfang wegen eines Neubaus gefällt wird und kein Platz da ist für eine Ersatzpflanzung, wird eine Ausgleichszahlung von 750 Euro fällig. Ist das noch zeitgemäß?
Dieser Preis richtet sich nach den Kosten für eine Ersatzpflanzung. Wir wollen diese Ausgleichszahlungen künftig stärker am Wert des Baumes orientieren. Wir haben auch einen Vorstoß eingebracht, dass künftig bereits Bäume ab 60 Zentimetern Stammumfang geschützt werden. Das soll auch für bestimmte Obstbäume und Kletterpflanzen gelten. Das alles wird voraussichtlich im September im Stadtrat behandelt.
Was fänden Sie denn eine angemessene Ausgleichszahlung?
Wenn wertvoller Baumbestand nicht real ersetzt werden kann, kann man durchaus das Zwei- oder Dreifache ansetzen.
Laut Baumbilanz werden in München pro Jahr 1.300 bis 2.000 geschützte Bäume wegen Bauvorhaben ersatzlos gefällt. Das bedeutet: Seit Ihrem Amtsantritt sind weit über 30.000 Bäume verlorengegangen...
Wir kämpfen um jeden Baum. Man muss gegenrechnen, dass in Siedlungen wie zum Beispiel am Ackermannbogen sehr viele neue Bäume vor allem auch im öffentlichen Raum gepflanzt wurden. Von der Biomasse stehen wir in München gar nicht so schlecht da. Aber wir müssen im Zuge des Klimawandels überdenken, wie wir die maßlose Unterbauung von Grundstücken in den Griff bekommen.
Cornelius Mager: "Bei René Benko hätten wir härtere Kante zeigen müssen"
Sie meinen den Bau von Tiefgaragen?
Ja, er muss in vernünftigem Verhältnis zur Bebauung darüber stehen. Wir wünschen uns, dass verhindert wird, dass die gesamte Gartenfläche versiegelt wird. Mindestens 20 Prozent sollten frei bleiben. Ein Baum kann zwar auch auf einer Tiefgarage wunderbar wachsen – er kann dort nur nicht alt werden. Spätestens wenn die Garage saniert werden muss, wird er gefällt. Und er hat keinen Anschluss zum Grundwasser.
Zum Schluss zur Politik. Hätten Sie sich vom Stadtrat mal mehr Unterstützung gewünscht?
Die LBK hat selten einzelne Baufälle im Stadtrat. Aber bei den Arkaden von der Alten Akademie hätte es uns gutgetan, wenn wir denkmalrechtlich strenger gewesen wären. Ob ich da den Stadtrat oder das Landesamt für Denkmalpflege schelten kann? Jedenfalls hätte das Gemeinwesen da bei Benko härtere Kante zeigen sollen. Und schade ist, dass die frühere Osram-Zentrale am Mittleren Ring abgerissen wurde. Der Bau war ein super Ausweis für Moderne nach amerikanischem Vorbild. Dort hatte übrigens Heinz Rühmann in "Die Ente klingelt um halb acht" sein Büro. Ein wunderbarer Film. Um solche Entscheidungen tut es mir leid.
Was denken Sie, welche Gebäude aus Ihrer Zeit später mal Denkmäler werden?
Sicher der Jakobsplatz mit Jüdischer Gemeinde, Museum und Synagoge und ganz sicher die Kirche Herz Jesu in Neuhausen. Und allen Gegnern zum Trotz hat auch der neue Königshof am Stachus das Zeug zum Denkmal. Und die Messe München muss ich noch nennen, sie ist hochfunktional, elegant und zeitlos. Jetzt sind alle anderen böse, weil ich sie nicht genannt habe.
Bald startet Thomas Rehn als Ihr Nachfolger. Was denken Sie, was die größte Herausforderung wird für ihn?
Da müssen Sie ihn schon selbst fragen. Neidisch bin ich, dass ich die volldigitale Antragstellung nicht mehr im Dienst erleben werde.