Obdachlos in München: Weiß nicht, wie es weitergehen soll
München – "Bleibt Zuhause!" – Ein einfacher Aufruf, der in der Corona-Krise allgegenwärtig scheint. Was aber, wenn man kein Zuhause hat?
Im Freistaat Bayern leben Tausende Menschen ohne festen Wohnsitz. Kommunen und Hilfseinrichtungen sind alarmiert: Gerade jetzt dürften die Menschen am Rande der Gesellschaft nicht in Vergessenheit geraten. Übernachtungsangebote würden ausgeweitet, die meisten Tagesaufenthaltsstätten blieben geöffnet. Die Helfenden sorgen sich jedoch wegen Materialmängeln – und die Hilfesuchenden haben Existenzängste und Isolationsgefühle.
"Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll", sagt ein 49-Jähriger, der seinen Namen nicht nennen möchte, in der Tagesstätte "Otto & Rosi" in München. Er sei gelernter Elektriker und lebe seit einigen Monaten auf der Straße. Oft verbringe er seine Zeit tagsüber in Einrichtungen wie dieser. Wo sonst dicht gedrängt gekocht und gewaschen wird, sind nun aber nur noch 20 Gäste gleichzeitig erlaubt – wegen der neuen Vorgaben zum Mindestabstand von eineinhalb Metern. "Wir können alle nur zwei Stunden etwa hier sein. Andere Menschen wollen hier rein, es ist kalt", so der 49-Jährige.
Kommunen weiten Unterstützung für Obdachlose aus
In ganz München, so eine Sprecherin des Sozialamts, blieben ambulante Anlaufstellen wie diese "unter den notwendigen Gesundheitsvorkehrungen" geöffnet. Rebecca Reißmeier arbeitet bei "Otto & Rosi". "Die Menschen sind sehr froh, dass wir geöffnet bleiben. Bibliotheken und Kaufhäuser, wo sie normalerweise am Tag hingehen können, sind ja nun geschlossen", sagt sie.
Den Sozialämtern der Städte Augsburg, Nürnberg und München zufolge reagieren die Kommunen auf die für Wohnungs- und Obdachlose besonders ernste Lage und weiten die Unterstützung aus. Die Münchner Bayernkaserne etwa, in der die Menschen sonst nur übernachten konnten, bleibe seit wenigen Tagen auch tagsüber geöffnet. Darüber hinaus habe man in einem Schwabinger Hostel Zimmer angemietet, um besonders gefährdete Wohnungslose einzuquartieren. Auch in Nürnberg würden zusätzliche Behelfsunterkünfte angeboten.
Im Falle einer Infektion mit Sars-CoV-2 würden auch Wohnungslose in Bayern medizinisch bestmöglich versorgt, betont Tobias Utters vom Landesverband der Caritas: "Da gibt es keine Unterschiede, natürlich wird jeder medizinisch unterstützt, sofern da Kapazitäten sind."
Mangelnde Desinfektionsmittel werden zum Problem
Dennoch – die Wohnungsloseneinrichtungen im Freistaat stehen vor großen Schwierigkeiten. Der bundesweite Mangel an Hygiene- und Desinfektionsmitteln trifft auch sie hart. "Desinfektionsmittel gibt es in der Bayernkaserne auch in den Waschräumen nicht", sagt eine 69-jährige Frau bei "Otto & Rosi". Seit September 2018 sei sie mit ihrem Mann erfolglos auf Wohnungssuche in München, derzeit übernachte sie in der Kaserne.
"Das wird ein Riesenproblem. Wir haben nur noch für ein oder zwei Wochen Vorrat", sagt auch Roland Stubenvoll von der Nürnberger Straßenambulanz über die fehlenden Materialien. Statt bei der medizinischen Versorgung Wohnungsloser wie empfohlen alle 20 Minuten den Mundschutz zu wechseln, sei dies wegen der Knappheit im Extremfall nur noch einmal täglich möglich, so Stubenvoll. Auch in der Begegnungsstätte für Wohnungslose und Suchtkranke "D3" in München warten die Mitarbeiter auf Hygienemittel. "Wir wären wirklich sehr froh um Atemschutzmasken", sagt Leiter Winfried Gehensel.
Corona führt auch bei Obdachlosen zu Einsamkeit
Bei den Hilfesuchenden schürt die Ausnahmesituation persönliche Sorgen. "Diese Isolation tut weh", so der 49-Jährige bei "Otto & Rosi". Weil er sich jetzt nachts, wenn er in München auf der Straße schläft, besonders weit von anderen Obdachlosen entfernt aufhalten müsse, fühle er sich sehr allein. Ein Problem, das auch Stubenvoll von der Nürnberger Straßenambulanz bei den Menschen beobachtet: "Es wird niemand verhungern bei uns, aber es bleibt trotzdem vieles auf der Strecke, im sozialen und emotionalen Bereich", sagt er.
Gehensel von "D3" erlebt eine zunehmend sehr angespannte Stimmung bei den Wohnungslosen. So hätten gerade die Menschen, die komplett auf der Straße lebten, extreme Sorgen, weil fast all ihre Einkünfte wegbrächen: "Sie können nicht mehr wirklich betteln in den Fußgängerzonen. Und Pfandflaschen gibt es auch kaum mehr." In die insgesamt sorgenvolle Stimmung mische sich aber auch viel Hoffnung, sagt die 69-jährige Besucherin bei "Otto & Rosi": "Man darf sich nicht verrückt machen. Panik macht auch krank. Ich denke, auch das werden wir schaffen - wie alles davor."
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