OB Ude im Interview: Die Luft wird langsam dünner
Oberbürgermeister Christian Ude über die Konsequenzen aus der Finanzkrise, das hohe Anspruchsdenken der Bürger, die Probleme der Münchner SPD und über seine Nachfolge
AZ: Herr Ude, die Stadt steht vor enormen Finanzproblemen. Der Kämmerer sagt voraus, dass sich München bis 2013 um mindestens eine Milliarde Euro neu verschulden muss. Lebt die Stadt trotz der Krise immer noch auf zu großem Fuß?
CHRISTIAN UDE: Die Stadt hat von 2006 bis 2008 über eine Milliarde Euro Schulden abgebaut. Sie lebt also nicht verschwenderisch und auf zu großem Fuß, sondern sie ist in ihrer Finanzpolitik extrem verantwortungsbewusst.
Aber jetzt geht es mit den Finanzen wieder andersherum.
Es ist richtig: Nach allem, was an konjunkturellen Einbußen auf uns zukommt, an gesetzgeberisch gewollten Mindereinnahmen und an krisenbedingten Folgen, da müssen wir uns in dem Maß neu verschulden, wie wir die Schulden in den Vorjahren zurückgefahren haben. Das ist extrem ärgerlich.
Was ärgert Sie am meisten?
Die Konjunktur müssen wir hinnehmen, die gesetzgeberischen Verschlechterungen sind aber ein Skandal, den alle deutsche Kommunen im nächsten Jahr heftig kritisieren werden. Dabei will die FDP schon weitere Wahlgeschenke verteilen, die vollkommen unverantwortlich sind. Das ist eine Provokation.
Was planen Sie?
Die Frage ist: Wo können wir überhaupt sparen? Da denke ich in Übereinstimmung mit dem Kämmerer, dass wir einige Großprojekte zeitlich strecken und manche Projekte vertagen müssen, weil ich zur Zeit für Luxusansprüche keinen Platz sehe.
Zum Beispiel?
Man wird alles strecken müssen mit Ausnahme der Kinderbetreuung. Die behält oberste Priorität. Vertagen muss man verständliche Wünsche wie eine Sanierung des Gasteigs im dreistelligen Millionenbereich, aber auch manches, was man man sich für die Markthallen vorgenommen hat. Man wird nicht überall die größte und teuerste Version verwirklichen können.
Können Sie sich die Olympischen Spiele 2018 leisten?
Die sind zum Glück nicht betroffen, weil dort die Investitionen in den Jahren 2015 bis 2017 anfallen, also deutlich nach der Krise, von der wir jetzt sprechen. Die größten städtischen Investitionen für die Spiele fließen in den Wohnungsbau, den wir ohnehin als das dringendste soziale Problem der Stadt empfinden.
Müssen sich die Münchner nicht auf Verzicht einstellen?
Vorsicht. Im nächsten Jahr sehe ich noch keine großen Einschnitte. Wenn es mit der Krise weitergeht, wird 2011 das eigentliche Problemjahr. Ich hoffe, dass sich das 2010 noch nicht im Alltagsleben der Bürger niederschlagen wird, denn wir werden kein Bad und keine Bibliothek schließen und nirgendwo Gebührensprünge machen. Aber wenn sich die Krise weiter fortsetzt und die Bundespolitik weiter Löcher in die öffentlichen Haushalte reißt, dann sehe ich eine ganz schlimme Finanznot kommen, und dann werden wir unbequeme Beschlüsse fassen müssen.
Werden Sie 2010 Gebühren und Preise erhöhen?
Wir halten den Spielraum für Erhöhungen für ziemlich ausgereizt. Vor allem wollen wir auf gar keinen Fall eine soziale Auslese, so dass man am Schluss schon gut verdienen muss, um sich städtische Angebote leisten zu können. Wir wollen auch keine Einrichtungen schließen und damit dauerhaft kaputt machen. Dann gibt es nur noch Spielraum bei den Standards, die in München immer noch sehr hoch sind, und es gibt eben den Spielraum bei Investitionen.
Warum sind die Standards immer noch zu hoch? Sie sollen seit Jahren gesenkt werden!
Weil sie nur im bundesweiten Vergleich hoch sind, andere Städte in größerer Finanznot agieren bescheidener. Sie sind aber nicht zu hoch für die Ansprüche der Münchner, die im Gegenteil alles noch feiner wünschen, häufigere Reinigungen der Schulen, noch gründlichere Sanierungen, noch häufigere Instandhaltungsmaßnahmen wollen. Wenn Sie die Leute fragen, wo sie selbst betroffen sind, sind die Standards nie zu hoch, eher noch zu niedrig. Eine Veränderung der Standards können Sie politisch nur durchsetzen, wenn die Krise da ist und die Not nicht mehr zu leugnen.
Also ist das Anspruchsdenken zu hoch?
Das ist kein Anspruchsdenken von 80 Stadträten, sondern von weit über einer Million Münchner, die überall ein optimales städtisches Angebot haben wollen, kein reduziertes.
Da braucht es mutige und kluge Politiker, aber die sind immer seltener zu finden.
Es ist kein Problem der Politiker, zu dem wir es gerne machen würden, sondern es ist ein Problem unserer Einstellung als Gesamtgesellschaft. Wer ist denn zu einem Opfer bereit? Keiner. Mein Stuttgarter Amtskollege Manfred Rommel hat einmal den wunderschönen Satz geprägt: „Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Opfer am liebsten auf Kosten anderer erbringt.“ Das trifft hundertprozentig ins Schwarze. Jeder hat ein Bündel genialer Ideen wo man sparen könnte: Überall dort, wo er nicht hinkommt.
Das bedeutet?
Die Politik ist dem Druck ausgesetzt. Deshalb sind einschneidende Maßnahmen in der Kommune wie auf Bundesebene nur möglich, wenn wirklich kein Geld da ist.
Was werden 2009 die wichtigsten Themen?
Eben die Finanzpolitik, und ganz zentral wird die Frage der Verkehrspolitik sein. Im ersten Quartal muss die Entscheidung zur zweiten Stammstrecke fallen, zu der es überhaupt keine Alternative gibt. Es ist schon erstaunlich, wie eine Hand voll Hobbyverkehrsplaner den ganzen Laden aufhalten konnte.
Neuerdings sind unter den Stammstrecken-Gegnern auch Leute von der CSU.
Irgendwann befindet sich die CSU in der Pflicht, ihre Beschlüsse und Versprechungen in die Tat umzusetzen. Nicht unter demselben Zeitdruck steht die Flughafenanbindung. Aber wir brauchen nächstes Jahr die Beschlüsse, wohin die Reise gehen soll. Das dritte Verkehrsprojekt ist der Autobahnsüdring. Da bin ich mit den Grünen ein Herz und eine Seele, sogar mit Bayerns Verkehrsminister Zeil: Das werden wir alle nicht mehr erleben. Ich sehe nicht, wo die Finanzkraft für ein weiteres milliardenteures Tunnelprojekt herkommen soll, und an der Oberfläche wird diesen Autobahnring kein Mensch durchsetzen können.
Warum ist es schwer, Leute für die Politik zu gewinnen?
Wir hatten damals die Vorstellung, dass in der Politik wesentliche Weichenstellungen vorgenommen werden. Heute wächst eine Generation mit der Erfahrung auf, dass Politiker die Suppe auslöffeln dürfen, die ihnen Bankvorstände eingebrockt haben: Die Banker bekommen dafür Millionen-Abfindungen, die Politiker die Prügel. Das ist keine sehr attraktive Arbeitsteilung. Und die Idee, dass Politik tatsächlich die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten kann, hat momentan keine Zugkraft. Auch wenn ich da Veränderungen beim Thema Klimapolitik sehe. Es verbreitet sich wieder die Einsicht, dass es notwendig ist, sich zu engagieren.
Und Ihre eigene Karriere?
Ich werde 2014 Alt-OB.
Wer regiert dann die Stadt?
Meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es sich wieder um eine sozialdemokratische Person handelt.
Wie heißt Ihr Kandidat?
Die Münchner SPD hat in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Team, das ich in dieser Qualität in keiner deutschen Großstadt sehe: Mit mir als OB, mit Kämmerer Ernst Wolowicz, Wirtschaftsreferent Dieter Reiter, Bankdirektor Harald Strötgen, Stadtwerkechef Kurt Mühlhäuser und MVG-Chef Herbert König. Das ist eine Stärke, die mich zuversichtlich macht, während die CSU nach eigener Aussage gleichzeitig ihre wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz mit der Landesbank zertrümmert hat. Dieses Gegensatzpaar gab es in dieser Form noch nie und ich denke, dass die SPD mit Uli Pfaffmann, Christine Strobl und Alexander Reissl sehr gutes Führungspersonal zu bieten hat.
Wird es für die SPD ein Generationenwechsel?
Es wird eine deutliche Verjüngung geben.
Also wird Julian Nida-Rümelin nicht dazugehören, der bei der Wahl 2014 fast 60 Jahre alt ist.
Das wäre gleichwohl eine Verjüngung. Dann gibt es andere Kandidaten, die gleich 15 Jahre jünger sind. Da würde ich von einem politischen Generationenwechsel sprechen.
Wie lebt es sich für Sie in der darbenden SPD? Ohne Sie ginge es der SPD übel.
Das können Sie sagen, ich nicht. Mich hat erschüttert, welche Fehler die Bundespartei machte und welchen neoliberalen Heilslehren sie hinterher lief. Das fing ’99 an. Die Krise ist inhaltlich ausgestanden, nur die Auswirkungen sind noch nicht bewältigt.
Das Vertrauen fehlt noch.
Ja, Vertrauen muss man aufbauen, dass kann man nicht mit einer Presseerklärung oder einer Parteitagsrede erreichen, sondern nur durch eine mehrjährige Praxis, die Zuverlässigkeit schafft. Das traue ich dem neuen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu.
In München rutschte die SPD bei den vorigen Wahlen in manchen Stadtteilen auf Platz drei hinter CSU und Grünen zurück.
Mich hat die Position drei in einzelnen Stadtbezirken bei der Europa- und Bundestagswahl zutiefst erschreckt. Ich habe schon nach der Europawahl erklärt: Jetzt ist Großalarm angesagt. Das hat nur damals niemand hören wollen. Ich glaube, inzwischen ist die Alarmmeldung durchgedrungen.
Interview: Willi Bock