Interview

Oberbürgermeister Dieter Reiter übt Kritik an Verkehr in München

Bei kaum einem Thema kracht es so im Rathaus wie beim Verkehr. Die AZ hat bei OB Dieter Reiter nachgefragt, ob er Radwege in München blockiert, was die Grünen alles falsch machen und warum er doch noch Hoffnung bei der Gartentram hat.
von  Felix Müller, Christina Hertel
Als er noch mit der CSU regierte, habe die Stadt München mehr Radwege gebaut, erzählt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Als er noch mit der CSU regierte, habe die Stadt München mehr Radwege gebaut, erzählt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). © Daniel von Loeper

AZ: Herr Reiter, starten wir mit einer Quizfrage. Von wem stammt, in Bezug auf das Dieselverbot, folgendes Zitat: "So sehr ich mich freuen würde, wenn es ohne Verbote ginge, so wenig sehe ich, wie wir künftig ohne Sperrungen auskommen"?
DIETER REITER: Ich weiß schon, dass das von mir stammt, ungefähr aus dem Jahr 2017. Das ist mit Zitaten so eine Sache, die Welt dreht sich weiter. Aber es ist ja auch so gekommen: Euro-IV-Diesel dürfen nicht mehr in der Umweltzone fahren. Die Frage ist, wie weit wir noch gehen müssen. Damals haben wir die Grenzwerte deutlich überschritten, jetzt sind wir nur noch knapp über dem gesetzlichen Grenzwert. Die Tendenz geht also klar nach unten. Und das ist sehr erfreulich! Es ist nicht die Zeit, die Maßnahmen drastisch zu verschärfen. Mir geht es darum, mit Augenmaß vorzugehen, um bald auch die Grenzwerte an der Landshuter Allee einzuhalten.

Sie setzen auf ein Tempolimit. Ihre Klimareferentin zweifelt am Nutzen. Warum trauen Sie Ihren eigenen Leuten nicht?
Das hat mit Vertrauen nichts zu tun. Experten empfehlen eher Maßnahmen, mit denen sie zwar schnell ihr fachliches Ziel erreichen, dabei bleibt die Verhältnismäßigkeit aber eher untergeordnet. Ich versuche, in einem Kompromiss beides vernünftig abzuwägen.

Ein Urteil zwingt die Stadt zu Fahrverboten, eine Revision wurde nicht zugelassen, dagegen hat die Stadt Beschwerde eingereicht. Was passiert, wenn die Stadt keinen Erfolg hat?
Auch dann werde ich einen anderen Vorschlag als die Referentin machen. Ich finde ein streckenbezogenes Fahrverbot jedenfalls deutlich angemessener als ein, wie von der Referentin vorgeschlagen, flächendeckendes Dieselfahrverbot.

Dieter Reiter über Radwege in München: "Haben viele beschlossen, aber zu wenige umgesetzt"

Ärgert Sie der Spitzname Diesel-Dieter, wie Sie Umweltaktivisten gerne nennen?
(lacht) Ja, weil ich überhaupt keinen Diesel fahre. Ich war immer schon der Benzin-Dieter. Aber mittlerweile bin ich der E-Auto-Dieter. Ich fahre dienstlich und privat E-Autos. Aber Autofahren macht in München ja ohnehin keinen Spaß mehr.

Wie lange stehen Sie am Tag im Stau?
Momentan brauche ich etwa 25 Minuten vom Harras ins Rathaus.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (M.) beim Interview in seinem Büro mit AZ-Rathausreporterin Christina Hertel und AZ-Lokalchef Felix Müller.
Oberbürgermeister Dieter Reiter (M.) beim Interview in seinem Büro mit AZ-Rathausreporterin Christina Hertel und AZ-Lokalchef Felix Müller. © Daniel von Loeper

Da wäre es doch mit der U-Bahn schneller. Ihr grüner Stellvertreter Dominik Krause verzichtet auf einen Dienstwagen.
Das wäre sicher manchmal schneller, ist aber aus verschiedenen Gründen nicht ganz so einfach, wie es klingt. Einmal ist mein Dienstauto ein fahrendes Büro und Telefonate zu führen ist weder in der U-Bahn noch auf dem Radl zu empfehlen. Und ich gehe fest davon aus, dass auch Kollege Krause gelegentlich bei Auswärtsterminen einen Dienstwagen nutzt. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Ist es gelungen, Radwege genug auszubauen die letzten Jahre? Es heißt ja immer, dass Sie mit der CSU mehr geschafft hätten.
Das ist wohl zutreffend, was aber bitter ist. Denn wir haben in dieser Amtsperiode zwar ganz viele Radwege beschlossen, aber bisher viel zu wenige umgesetzt. Ich habe am Anfang mit dem Mobilitätsreferat darüber diskutiert, ob es sinnvoll ist, 50 Radwege zu beschließen und dann in absehbarer Zeit nur drei zu realisieren. Besser wäre es doch, sich realistische Ziele zu setzen und diese dann auch zu erreichen.

"Wir können 50 bis 60 Prozent des Autoverkehrs aus der Münchner Altstadt rausbringen"

Konnten Sie sich nicht durchsetzen?
Das hat nichts mit Durchsetzen zu tun. Jeder Referent hat ein Antragsrecht im Stadtrat, das ich auch grundsätzlich respektiere. Für die Umsetzung der Radwege beispielsweise sind zwei grüne Referate zuständig. Das muss man in aller Deutlichkeit so sagen, weil für die langsame Umsetzung gerne mir der schwarze Peter zugeschoben wird. In den vergangenen zehn Jahren habe ich keinen einzigen Radweg aufgehalten – außer den in der Lindwurmstraße um ein paar Monate, weil objektiv noch diverse Fragen offen waren, die von den Anliegern und Geschäftsleuten in einem gemeinsamen Gespräch unter meiner Leitung aufgeworfen wurden. Diese sind jetzt zumindest beantwortet. Und damit kann es aus meiner Sicht weitergehen. Allerdings muss das ein oder andere Problem bei der Gestaltung des Radwegs noch gelöst werden. Hierzu braucht es gegebenenfalls innovative Ideen, bis hin zu dem Vorschlag von Markus Söder, Radwege auf Stelzen zu planen. Er würde sogar einen Teil der Kosten übernehmen. Allerdings hat der Referent eher zurückhaltend reagiert.

Sollte man die Pläne wieder aus der Schublade holen?
Zumindest muss man mal über solche Lösungen nachdenken.

War es ein Fehler, für die Verkehrswende ein eigenes Referat zu gründen?
Ich weiß nicht, ob ich es noch mal machen würde. Denn die Idee war, die Prozesse zu beschleunigen. Stattdessen haben wir eine weitere Schnittstelle geschaffen. Wir haben zwar einen Radverkehrsbeauftragten und viele Radlexperten, aber wir haben trotzdem noch nie so wenig Radwege gebaut wie derzeit.

In ihrem Wahlprogramm hat die SPD versprochen, dass die Altstadt bis 2025 autofrei wird. Auf welche konkreten Maßnahmen können sich die Münchner heuer noch einstellen?
Autofrei wird die Altstadt nie.

Stand aber so im Programm.
Nicht einmal die größten Optimisten glauben, dass es ein echtes "autofrei" geben kann. Es gibt einfach zu viele Notwendigkeiten, Taxis, Lieferverkehr, Menschen mit Mobilitätseinschränkung. Ich denke, dass wir 50 bis 60 Prozent des Autoverkehrs aus der Stadt rausbringen können. Dafür müssen wir attraktive Alternativen beim ÖPNV und im Radverkehr schaffen. Ich bin dagegen, einfach nur zu verbieten.

"Wir wollen eine menschengerechte Stadt, die nicht mehr so sehr auf Autos ausgelegt ist"

Der Stadtrat hat beschlossen, dass alle Parkplätze an der Oberfläche der Altstadt bis 2026 wegsollen. Die meisten sind noch übrig. Freut Sie das?
Freude ist in dem Zusammenhang ein völlig falscher Begriff. Aber wenn Sie eine Umfrage in München machen würden, wer für den Wegfall dieser Parkplätze ist, ohne Gewinn für die Lebensqualität, wäre vermutlich eine deutliche Mehrheit dagegen.

War der Beschluss ein Fehler?
So würde ich das nicht sagen, man muss sich ehrgeizige Ziele setzen. Aber es gäbe sicher einen Widerstand des Einzelhandels, auch wenn ich nicht glaube, dass die Geschäfte dauerhaft weniger Umsatz machen würden. Das habe ich schon in den 70ern gehört, als die Fußgängerzone in der Neuhauser Straße damals eröffnet wurde.

Also ist die Vision "keine Parkplätze in der Altstadt" richtig?
Ein Problem gibt es da: Können wir den Anwohnern verbieten, mit ihrem Auto zu ihrem Haus zu kommen? Die brauchen zumindest eine Alternative.

Die Idee in dem Beschluss war, dass Anwohner in Tiefgaragen und Parkhäusern parken.
Wenn man ausreichend Anwohnerstellplätze in Garagen hätte – ja. Aber die entstehen definitiv nicht so schnell.

Heißt das, der Stadtrat beschließt etwas, weiß aber gar nicht, ob es funktioniert?
Der Stadtrat hat politische Ziele. Die kann man in Parteiprogramme gießen oder in Stadtratsgrundsatzbeschlüsse. Das ist völlig richtig so. Man muss den Menschen ja sagen, in welche Richtung es gehen soll. Wir wollen eine menschengerechte Stadt, die nicht mehr so sehr auf Autos ausgelegt ist, sondern auf Aufenthaltsqualität.

Aus für die Tram durch den Englischen Garten? "Der Freistaat hat immer auf Zeit gespielt"

Wie läuft es mit der Umsetzung der Fußgängerzone im Tal, die Sie für 2023 versprachen?
Das war, bevor die Bahn bekannt gegeben hat, dass sich die Stammstrecke deutlich verzögert. Solange der Baustellenverkehr durch's Tal führt, kann ich keine Fußgängerzone ausweisen. Ich hätte sie wahnsinnig gern in dieser Amtszeit eröffnet. Aber die Bahn hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Auch aus der Tram durch den Englischen Garten wird nichts, weil der Freistaat sie verbietet. Welche Alternative schlagen Sie vor, jetzt, da sie gestorben ist?
Ich war vor sieben Jahren mit Horst Seehofer vor Ort und habe ihn überzeugen können, dass die Tram Sinn macht. Daraufhin folgten viele Jahre der Planung. Der Freistaat hat immer auf Zeit gespielt, bis er vor einigen Wochen beschlossen hat, sie nicht zuzulassen. Das hätte der Freistaat uns wirklich schon vor sieben Jahren sagen können. So hat die Planung bereits Millionen an Steuergeldern gekostet, ohne dass es ein erkennbares Ergebnis gibt.

Haben Sie noch Hoffnung?
Ich gebe die Hoffnung noch nicht ganz auf, weil ich noch ein Gespräch dazu mit der Staatsregierung vereinbart habe und einige Prämissen, die der Freistaat anführt, einfach nicht stimmen: der angebliche Platzverbrauch und die Zahl der Bäume, die gefällt werden müssten.

Das ist nicht das einzige Tram-Projekt, das schiefläuft. In Johanneskirchen sollte es im Herbst losgehen. Auch der Spatenstich der Tram-Westtangente wurde um Monate verschoben. Hat die Stadt verlernt, Großprojekte zu wuppen?
So kann man das nicht sagen, aber es gab wie so oft sowohl politische Störfeuer als auch Umplanungsnotwendigkeiten, die zu Verzögerungen geführt haben. Außerdem gibt es noch so etwas, das sich "Planfeststellungsverfahren" nennt. Das ist derzeit das größte Problem für große Infrastrukturprojekte in Deutschland. Es führt dazu, dass praktisch kein großes Infrastrukturprojekt im Zeit- und im Kostenplan bleibt.

Müsste die Stadt dann nicht viel stärker auf Busse setzen?
Wenn Trambahnen so lange dauern wie jetzt, müssen wir tatsächlich mehr auf Busse setzen. Und das tun wir ja bereits. Aber wir haben noch gar nicht über U-Bahnen geredet. Wir haben für eine knappe Milliarde Euro sogenannte Vorhaltebauwerke beschlossen, um einen künftigen Ausbau unseres U-Bahnnetzes nicht schon jetzt unmöglich zu machen. Aber: Die U9 kostet einen zweistelligen Milliardenbetrag. Wenn die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht dramatisch steigen, ist es schwer vorstellbar, wie wir die finanzieren sollen.

Grüne oder CSU: Mit wem regiert OB Dieter Reiter lieber?

Über die Mittel entscheidet der Bundestag in Berlin. Wie enttäuscht sind Sie über Ihren Parteikollegen Olaf Scholz?
Als Olaf Scholz noch Erster Bürgermeister in Hamburg war, hat er gefordert, dass wir für das Gemeindefinanzierungsgesetz mindestens acht Milliarden Euro pro Jahr brauchen. Das ist fast zehn Jahre her. Als Bundeskanzler hat man natürlich aktuell noch ganz andere finanzielle Notwendigkeiten zu erfüllen. Wer hätte beispielsweise damals gedacht, dass wir 100 Milliarden für Rüstung ausgeben?

Wie wollen Sie das Thema Verkehr im Wahlkampf 2026 besetzen? Sie werden ja wahrscheinlich keinen Anti-Auto-Wahlkampf machen.
Ich mache überhaupt keinen Anti-Wahlkampf. Außer Anti-AfD. Es wäre mir viel lieber, es gäbe diese Anti-Positionen in der Politik und im gelebten Miteinander nicht. In den letzten drei Jahren ist die Gesellschaft spürbar aggressiver geworden, auch im täglichen Miteinander. Deswegen wird es für mich keinen Anti-Autofahrer-Wahlkampf geben, genauso wenig wie einen Anti-Radl-Wahlkampf. Ich hätte gerne einen Pro-Fußgänger-Wahlkampf. Denn die Menschen wollen die Stadt ja eigentlich genießen.

Können Sie sich vorstellen, als OB in einem grün-schwarz regierten Rathaus zu regieren?
Wie die Mehrheitsverhältnisse nach der nächsten Wahl aussehen, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Das gilt übrigens auch für den Oberbürgermeister. Und sollte ich 2026 wieder zum Oberbürgermeister gewählt werden, will ich keinesfalls den Vermittler zwischen Grün und Schwarz spielen. Im Gegenteil: Wenn ich ein gutes Ergebnis erziele, dann wird das auch der SPD zugutekommen. Und dann wird es sicher möglich sein, als SPD mit einem von beiden zu regieren. Erfahrungen haben wir ja mit beiden.

Mit wem denn bessere?
Besser – das ist eine schwierige Frage. Ich habe eine eigene Einschätzung, mit wem es einfacher war.

Und zwar?
Das ist meine persönliche Einschätzung. Ich werde ja von den Bürgerinnen und Bürgern gut entlohnt, mich nicht danach zu richten, was einfach ist, sondern was die Mehrheit in dieser Stadt will. Das ist meine Prämisse. Ich kann mit beiden umgehen.

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