OB Dieter Reiter im Interview: Wenn aus Wohnhäusern Hotels werden, habe ich damit ein Problem

München - In der Schillerstraße 3 und 3a sollen Wohnungen einem Hotelneubau von Motel One weichen. Nach derzeitigem Recht muss die Stadt den Neubau genehmigen, ebenso ein Motel One gegenüber in der Bayerstraße 25.
Nachdem die AZ in der Dienstagsausgabe exklusiv über Verzögerungen bei dem Mega-Bauprojekt berichtet hat, äußert sich jetzt auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und macht klar, dass es um mehr als ein weiteres Hotel geht und dass die Stadt gegen die Hotelflut mit allen Mitteln vorgehen wird.
AZ: Herr Reiter, wird es nicht Zeit, dass Sie die Hotelneubauprojekte im Bahnhofsviertel zur Chefsache erklären?
DIETER REITER: Das Thema Wohnen und Mieten ist in dieser Stadt automatisch Chefsache, weil es für mich die zentrale soziale Frage der nächsten Jahre ist. Stadtentwicklung ist davon abhängig, wie wir planen und bei diesem Beispiel sieht man ja, dass man steuernd eingreifen muss.
Im Mai haben Sie im Stadtrat einen klaren Auftrag an das Planungsreferat erteilt. Was erwarten Sie von Stadtbaurätin Elisabeth Merk?
Dass sie meinen Auftrag erfüllt: eine ergebnisoffene Prüfung. Das heißt: Was kann der Stadtrat jetzt noch tun, um diese Hotelprojekte zu verhindern und damit zu erreichen, dass die Wohnungen bestehen bleiben? Ich habe nichts gegen Hotels, aber wenn aus Wohnhäusern Hotels werden, habe ich damit grundsätzlich ein Problem. In der Vorlage können dann die Konsequenzen aufgezeigt werden – etwa juristische Risiken oder gegebenenfalls auch Schadensersatzansprüche. Der Stadtrat muss eine Entscheidungsgrundlage haben. Aber ich will nicht nur die Antwort haben: "Da kann ich jetzt nichts mehr machen." Das werde ich nicht akzeptieren.
Reiter: Zweckentfremdungssatzung nachschärfen
Das war ja zuletzt die Antwort des Planungsreferats.
Das war der Hinweis auf die aus Sicht des Planungsreferats bestehende Rechtslage. Aber der Stadtrat nimmt für sich in Anspruch, diese Entscheidung zu treffen und nicht die Verwaltung.
Was für Möglichkeiten hat die Stadt, Hotelneubauten zu verhindern und Wohnungen zu erhalten?
Ich habe außerdem schon in Auftrag gegeben, dass die Zweckentfremdungssatzung nachgeschärft wird beim Thema Ersatzwohnen. Dass darauf Wert gelegt wird, dass das im Stadtviertel stattfindet und nicht Ersatzwohnraum am anderen Ende der Stadt geschaffen wird. Da ist es auch gut, wenn Wohnungen entstehen, aber der Sinn der Zweckentfremdungsregelung ist, dass man Milieuschutz betreibt und Gentrifizierung verhindert. Das ist das eine.
Und das andere?
Letztlicht geht es darum, als Stadt grundsätzlich zu überlegen: Wie sollen sich solche Gebiete entwickeln? Dass im Bahnhofsgebiet Hotels notwendig sind, wird niemand ernsthaft bestreiten. Aber dass man dort auch wohnen kann, das gehört für mich genauso dazu. Mit dem Neubau des Hauptbahnhofs wird schließlich auch das ganze Umfeld so umgestaltet, dass sich Menschen dort gerne aufhalten wollen. Deshalb muss sich die Stadt grundsätzlich überlegen: Wie gehe ich mit neuen Hotelprojekten dort um? Ich entnehme vielen Stimmen aus dem Stadtrat, dass sie tendenziell der Meinung sind, dass wir genug Hotels haben. Dass wir mit wenig Begeisterung eine Planungsbehörde sehen würden, die vehement weiterhin Hotelprojekte unterstützt.
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OB will konkrete Antworten vom Planungsreferat
Aber der Bebauungsplan sieht das eben so vor.
Es kann doch nicht sein, dass der einzige Grund, eine Planung zu realisieren der ist, dass ein 20 Jahre alter Plan gilt. Deshalb will ich geprüft haben, wie ich bestehende Bebauungspläne verändern kann, wenn die Stadtentwicklung das erfordert. Auch dazu will ich eine konkrete Antwort des Planungsreferats: Was muss da passieren, wie schnell kann das gehen und muss ich mit Veränderungssperren arbeiten, damit da nicht zwischendurch Fakten geschaffen werden? Dann muss mit oberster Priorität dieser Bebauungsplan verändert werden.
Das heißt, Sie könnten sich vorstellen, dieses Projekt mit einer Veränderungssperre und einem neuen Bebauungsplan zu verhindern?
Wenn ich's mir nicht vorstellen könnte, hätte ich es nicht in Auftrag gegeben. Ich habe selbst mit dem Investor gesprochen und habe ihm damals, als es um den Ersatzwohnraum ging, gesagt, dass es überhaupt nicht in Frage kommt, dass der am anderen Ende der Stadt geschaffen wird. Das hat er ja auch zugesagt. Er macht weniger Hotelzimmer und dafür werden zehn Wohnungen geschaffen. Das war die Mindestzusage, die er mir gegeben hat.
Immerhin.
Was ja schon besser ist als das, was planungsrechtlich vorgeschrieben ist – und das ist ja das Verrückte daran. Es ärgert mich, dass ich auf einen Investor zugehen muss, um an seinen guten Willen zu appellieren. Wir als Stadt sind dafür verantwortlich, was da passiert, da will ich mir nicht auf Dauer das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen. Das werden wir so auf Dauer nicht akzeptieren.

Der Investor hat der AZ gesagt, Elisabeth Merk habe ihm persönlich versichert, er könne dieses Hotel bauen.
Ich kann nicht beurteilen, wie diese Aussage zustande gekommen ist. Rechtlich ist der Bau ja derzeit auch möglich. Was mich stört, ist der Umstand, wie das Ganze zustande gekommen ist. Ich hätte erwartet, dass die Verwaltung sagt: "Da gibt's einen Bauantrag von einem Investor, der möchte aus Wohnungen ein Hotel machen, lieber Stadtrat, was hältst du davon?" Es gibt im Planungsreferat so viele Runden, auch interne Runden, in denen man das hätte thematisieren können. Jetzt sind wir in der Situation, dass wir gegebenenfalls versuchen müssen, den Gordischen Knoten zu durchschlagen.
Aber diese Maßnahmen greifen nur im Bahnhofsviertel.
Ich will in Zukunft bei den Baugebieten, die wir neu beplanen, beleuchtet haben, welche Art von gewerblichen Einheiten und so weiter wir überhaupt brauchen. Mehr Baumärkte brauchen wir nicht, Nahversorgung schon. Da müssen wir uns den Einzelfall anschauen und keine abstrakte Vorlage schaffen, die für die nächsten zwanzig Jahre gilt. Wir müssen in Bebauungsplänen deutlicher sagen, was wir wollen und was wir nicht wollen. Auch da will ich vom Planungsreferat einen Vorschlag, wie wir das hinbekommen.
"Letzte Entscheidung muss beim Stadtrat liegen"
Was ist mit Gebieten, die schon bebaut sind?
Dort möchte ich, dass nach zehn, zwanzig Jahren nochmal jemand über den Bebauungsplan schaut, ob wir das heute noch so wollen.
In welchen Viertel sollten die Pläne angeschaut werden?
Überall dort, wo der Verdrängungseffekt besonders hoch ist. Es muss ganz klar sein, dass der Stadtrat sich das letzte Entscheidungsrecht vorbehält, und zwar eines, das er auch ausüben kann. Wenn das mit dem derzeitigen Prozedere nicht geht, muss man sich ein besseres überlegen.
Zurück zum Bahnhofsviertel. Was meinen Sie realistisch: Steht da in fünf Jahren an der Ecke ein Motel One und gegenüber noch ein zweites?
Ich kann's beim besten Willen nicht sagen. Ich bin kein Hasardeur und ich respektiere es, wenn sich jemand auf eine Planungsbehörde verlässt. Jetzt ist Herr Haupt (der Immobilienentwickler, der unter anderem Motel Ones verantwortet, d. Red.) jemand, mit dem man vielleicht auch noch Gespräche führen kann. Wir nehmen das aber jetzt zum Anlass, generell mit dem Planungsreferat über die Struktur zu sprechen und wie so etwas zustande kommen kann. Und anhand dieses ärgerlichen Einzelfalls wird es Diskussionen geben, wie sich das Viertel entwickeln soll.
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