OB Dieter Reiter appelliert: Bitte jetzt keinem Mieter kündigen

München - Es ist seine letzte Lieferung. Für die nächsten Wochen. Vielleicht aber auch für den Rest des Sommers, wer weiß das schon. Trajche Veljanoski (55), der der AZ-Redaktion jeden Mittag belegte Semmeln, Salate und Süßigkeiten liefert, wird wegen der Corona-Pandemie ab sofort nicht mehr kommen. Es lohnt sich nicht mehr, weil zehn der zwölf Adressen, die er täglich anfährt (darunter Büros, Lager, Schulen) zugemacht haben.
Der Brotzeitlieferant ist damit ab sofort arbeitslos. 1.600 Euro netto im Monat, die der Selbständige von heute auf morgen nicht mehr hat. Arbeitslosengeld gibt es nicht für Freiberufler. Wie lange also kann er seine Miete noch bezahlen? "Nächsten Monat noch", sagt der Vater von vier Kindern. "Danach nicht mehr. Ich kann nur hoffen, dass unser Vermieter kulant sein wird, wenn ich nicht mehr zahlen kann", sagt er. "Ansonsten: Gute Nacht."

Über 50.000 Münchner: Mietzahlung bald wegen Corona nicht möglich
Wie ihm geht es in diesen Tagen 50.000 bis 60.000 Münchnern, die schon in Kürze ihre Mieten schuldig bleiben werden, schätzt der Münchner Mietervereins- Chef Volker Rastätter. Bandmusiker und Schauspieler, die nicht mehr auftreten können, Friseure, die zusperren müssen, Aushilfskellner und -Verkäufer, Ladeninhaber und all die anderen, die von den Schließungen betroffen sind. "Viele Freiberufler, Kleingewerbetreibende, Künstler und Kurzarbeiter trifft das sofort, sie haben finanziell keine großen Puffer", sagt er. "Sie stehen jetzt unter Schock und werden in Kürze in heller Panik sein."
OB Dieter Reiter (SPD) appelliert deshalb nun dringend an Münchner Vermieter: "Ich bitte Sie herzlich, sehen Sie bei kurzfristigen Mietrückständen von Kündigungen ab." Auch der Mieterverein wendet sich an die Vermieter: "Es ist wichtig, dass Mieter und Vermieter nun zusammenstehen." Wer jetzt wegen Corona die Miete nicht zahlen könne, solle "unter allen Umständen den Vermieter um Stundung der Miete bitten."

Rechtslage und Forderungen des deutschen Mieterbund
Tatsächlich ist die Rechtslage nämlich so: "Covid-19 ist kein Grund für eine Mietminderung", sagt Rastätter. "Die Miete muss weiter gezahlt werden." Wer den zweiten Monat in Folge die Miete schuldig bleibt, kann sofort eine fristlose Kündigung vom Vermieter bekommen – und schon wenig später eine Räumungsklage. Danach hat er zwei Monate Zeit, die fälligen Mieten vollständig zu bezahlen (oder vom Sozialreferat übernehmen zu lassen). "Klappt das nicht, sperrt ein paar Wochen später der Gerichtsvollzieher auf, lässt die Möbel rausholen und einlagern, sperrt die Tür zu – und der Mieter steht draußen auf der Straße", erklärt Rastätter. Das könnte für viele betroffene Mieter schon im Oktober oder November der Fall sein.
Der deutsche Mieterbund hat am Dienstag deshalb gefordert, das die Bundesregierung diese Kündigungsregeln bis auf weiteres außer Kraft setzt: "Kündigungen müssen für die Zeit der Krise und auch rückwirkend ausgeschlossen sein, die Pflicht zur Mietzahlung gestundet werden. Zwangsräumungen sind sofort zu stoppen", heißtes in einem Schreiben. Das Bundesjustizministerium hat reagiert. Man wolle "prüfen, wie Mieter in dieser Krise vor dem Verlust der Wohnung geschützt werden können". Wie das ausgeht, ist offen.
Für Münchner in Not schaltet das Sozialreferat Ende der Woche eine Telefonhotline. Zu finden auf www.muenchen.de
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