"Oase des Friedens": Münchens Alt-OB Christian Ude über Väterchen Timofejs Kirche

München - Am Ende traumhafter Pfingstferien erreichte mich die Nachricht vom Albtraum: Väterchen Timofejs Kirche ist abgebrannt. Restlos. Nur noch Schutt und Asche. Das durfte doch nicht wahr sein!
Wie Väterchen Timofej – ein treuer Wegbegleiter Udes
Als Dreikäsehoch war ich das erste Mal mit dem Tretroller zu diesem Kircherl in dem Garten Eden auf dem Oberwiesenfeld gefahren, seitdem ist es mir nie aus dem Sinn gekommen, vor den Olympischen Spielen von 1972 hatte ich miterlebt, wie er seine Idylle gegen gefühlt alle Autoritäten dieser Welt verteidigte und mit Hilfe seiner riesigen Fangemeinde Änderungen der Olympia-Planungen erzwang.
24 Jahre lang hatte ich als Bürgermeister und später OB alljährlich dem Eremiten zum Geburtstag gratuliert, ihn schließlich mit meiner Frau auf seinem Totenbett verabschiedet und glücklich miterlebt, dass sein Erbe ein Symbol der Friedenssehnsucht wurde, ständig besucht von Reisegruppen und Schulklassen und einer unzähligen Anhängerschaft.

Gleichzeitig durfte ich erleben, dass er mit Sergej Kaiser einen würdigen Nachfolger gefunden hatte, der sich mit vielen Mitstreitern um das kleine Paradies kümmerte, die Bauwerke erhielt und dieses liebenswerte Erlebnis weiterhin allen interessierten Menschen zugänglich machte.
Friedenskirche abgebrannt: Glücklicherweise war es kein Anschlag
Seit Anfang letzten Jahres wirkte die Ost-West-Friedenskirche noch mehr der grauenhaften Realität der Gegenwart entrückt. Und dann dieser Blitzeinschlag: Abgebrannt! Wie offensichtlich sehr vielen Menschen schoss mir als erstes der Gedanke durch den Kopf: Sollte das etwa ein Anschlag gewesen sein? Mit welcher Stoßrichtung auch immer? Doch dafür gibt es keinen Hinweis, keine Spur, keinen seriösen Verdacht. Selbst Sergej geht von einem Sachschaden ohne Fremdverschulden aus.
So folgte der Sorge der Trotz: Das darf man nicht hinnehmen. Der Sachschaden an einem der vier Bauwerke auf dem zauberhaften Gelände darf nicht das letzte Wort sein. Das Kircherl muss wiederaufgebaut werden.
Schließlich war alles, woraus Timofej einst diese Oase des Friedens gemacht hatte, auch schon einmal kaputt, und ein einziger Mann hatte es geschafft, das Zerstörte wieder zu errichten. Warum sollte das jetzt nicht möglich sein, angesichts zahlreicher Hilfsangebote und großer Spendenbereitschaft?
Friedenskirche im Olympiapark: Ein Garten Eden zwischen Trümmern
Ist das nur eine Marotte einiger Liebhaber? Da widerspreche ich energisch. Die Einsiedelei ist ein stadtgeschichtliches Symbol mit größter Strahlkraft: Inmitten einer Ruinenlandschaft entstand mitten auf dem größten Trümmerfeld der Stadt ein Garten Eden des Lebenswillens und der Friedenssehnsucht.
Wer es gerne bescheidener formuliert: Ein Denkmal des Wiederaufbau-Beginns mit Baracken und Behelfsbauten, die fast alle längst aus dem Stadtbild verschwunden sind.

Alt-OB Christian Ude über Timofej: "Der erste Hippie der Zeitgeschichte"
Und eine Chronik der Nachkriegsgeschichte: Timofej war ja nicht nur der erste Olympia-Sieger, wie selbst der "Stern" respektvoll vermerkte, er war auch einer der ersten Väter des Münchner Bürgerprotestes gegen Fehlentscheidungen damals noch allmächtiger Planungsautoritäten, er lieferte der olympischen Geschichte ein liebenswertes Kapitel, von dem heutige Olympioniken nach allem Gigantismus und Kommerz und politischem Missbrauch nur träumen können.
Er war zumindest gefühlt auch der erste "Gammler" und "Hippie" der Zeitgeschichte, ein Blumenkind, das seine freie Liebe mit Natascha jahrzehntelang zu feiern verstand (die späte Hochzeit folgte nur, um das "Aufenthaltsbestimmungsrecht" nicht an andere zu verlieren). Wenn es sein musste, mischte er sich sogar in die Weltpolitik ein. Mir erzählte er das so: "Maria hat mein Beten erhört, Gorbatschow ist gekommen!"
Zwischen Gottesfurcht und gutem Geschäft
Und ja, ein Schlitzohr war er auch, wie schon die gewaltigen Dimensionen seines Blumenverkaufs während der Spiele beweisen. Und ein frommer Mann, der sich stets auf die Mutter Gottes berief. Aber zeigt nicht beides, wie gut er sich in die Münchner Stadtgesellschaft integrieren konnte?
Die Münchner und ihre Gäste aus aller Welt lieben den Ort, den er hinterlassen hat. Deshalb soll – nein: muss er wiederhergestellt werden, wie er war. Originalgetreu. Diese Treue sind wir diesem großen Original schuldig.