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Nur einziger Mieter bleibt hartnäckig: Dieses Haus in München steht seit sechs Jahren (fast) leer

Seit sechs Jahren stehen im prominenten Eckhaus am Wedekindplatz in München acht Altbauwohnungen leer – nur ein einziger Mieter wohnt weiterhin ganz alleine dort. Wie kann das sein, im schönsten Altschwabing?
von  Irene Kleber
Burkhard Stolla (69) lebt seit 1988 im Eckhaus an der Occamstraße 1 – und hat keine Nachbarn mehr, seit ein Investor sie vor sechs Jahren zum Auszug gedrängt hat. Acht Wohnungen stehen nun leer.
Burkhard Stolla (69) lebt seit 1988 im Eckhaus an der Occamstraße 1 – und hat keine Nachbarn mehr, seit ein Investor sie vor sechs Jahren zum Auszug gedrängt hat. Acht Wohnungen stehen nun leer. © Daniel von Loeper

München - Die sandfarbene Fassade bröckelt, die Fenstergläser sind blind vor Schmutz. Zwölf Fenster in grünen Rahmen zählt man vorne am Wedekindplatz und weitere 21 seitlich an der Occamstraße.

Man hat sich in Altschwabing schon so lange an die geisterhafte Aura dieses Eckhauses an der Occamstraße 1 gewöhnt, dass die Stille kaum mehr jemandem auffällt.

Das Eckhaus an der Occamstraße 1 umweht eine geisterhafte Aura.
Das Eckhaus an der Occamstraße 1 umweht eine geisterhafte Aura. © Daniel von Loeper

Eckhaus am Wedekindplatz in München: Fast leer seit sechs Jahren

Dabei feiern direkt davor am Brunnen oft Dutzende Leute. Man lässt sich bei Kivi Nails die Nägel machen, verabredet sich bei Occam Deli oder spaziert die quirlige Feilitzschstraße vor, um an der Münchner Freiheit in die U-Bahn zu steigen.

Sechs Jahre ist es nun schon her, dass ein Investor das ensemblegeschützte Wohnhaus aus dem Jahr 1893 gekauft und die Mieter zum Auszug gedrängt hat. Er wolle sanieren, hieß es damals. Nur ein einziger standhafter Bewohner verweigerte sich - und blieb im Haus.

Burkhard Stolla hat viele Erinnerungen an seine Zeit bei der Bavaria Film in seiner Wohnung.
Burkhard Stolla hat viele Erinnerungen an seine Zeit bei der Bavaria Film in seiner Wohnung. © Daniel von Loeper

Acht Wohnungen stehen im Wedekindhaus in München leer, nur ein Mieter lässt sich nicht vertreiben

Seither stehen acht Altbauwohnungen auf drei Stockwerken leer, mit hohen Decken, historischen Türstöcken, einigen alten Dielenböden. Im Erdgeschoss gibt es zwar gerade zwei Ladenmieter. Aber die Ladentür links ist samt Schaufenster mit einer Plastikplane verhängt.

Es hat sich fast nichts verändert, seit die AZ 2019 davon berichtet hat. Wie kann das sein in München, wo eklatanter Wohnungsmangel herrscht - und die Stadt jahrelangen Leerstand eigentlich nicht erlaubt?

"Ich geh halt einfach nicht raus": Das ist der letzte Mieter im Wedekindhaus in München

Im ersten Stock ist der standhafte Mieter noch immer da. 45 Quadratmeter, Toilette auf dem Flur, kein warmes Wasser. Wie ist die Lage? "Ich geh halt einfach nicht raus", sagt Burkhard Stolla (69), verschränkt die Arme vor seinem mächtigen Bauch und lehnt sich in seinem Schreibtischsessel zurück. Erstens sei er 36 Jahre in dieser Wohnung daheim. "Und zweitens", sagt er, "mich verpflanzen würde sowieso gar nicht gehen."

Blick zur Decke im Wedekindhaus.
Blick zur Decke im Wedekindhaus. © Daniel von Loeper

Er hat nämlich Jahrzehnte Handwerksarbeit in seine Wohnung gesteckt, die 1988 weder eine Dusche noch bewohnbare Wände hatte. Heute sind Einbauten in jeder Nische, Reiseandenken sauber aufgereiht - und viele Erinnerungen an seine Zeit bei der Bavaria Film, wo er Kulissenschreiner war: Lampen aus dem Kinofilm "Stonk", Fotos von "Das Boot", Minimodelle aus der "Unendlichen Geschichte".

Fast alle Mieter sind mit Abfindung weggezogen

2018, als die "Altschwabing Projekt GmbH" das Haus gekauft hat, standen einige Wohnungen schon leer. Wer als Mieter noch da war, hatte sich mit einer Abfindung zum Auszug bewegen lassen. Nur Stolla stellte sich quer mit seinem uralten Mietvertrag und den 382,01 D-Mark, die dort vermerkt waren. Heute sind das 193 Euro, gerade so viel, wie er von seiner Erwerbsminderungsrente mit Grundsicherung zahlen kann. Erhöht worden sei ihm die Miete nie.

So weit, so gut. Aber warum tut sich nichts im Rest des Hauses? Warum wird weder saniert - noch ziehen in die leeren Wohnungen Mieter ein?

Die Stadt München könnte eine Vermietung erzwingen, tut es aber nicht

Die Antworten lassen einen kopfschüttelnd zurück. Theoretisch könnte die Stadt anordnen, dass der Eigentümer die Wohnungen vermieten muss. Praktisch tut sie es nicht.

Aktuell gerade, weil der Fall vor Gericht liegt. Solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist, seien der Stadt "die Hände gebunden", heißt es. Auch solange die Absicht bekundet wird, dass saniert oder umgebaut werden soll, oder wenn Umbaupläne vorgelegt werden, wird die Stadt nicht tätig.

Für die Occamstraße 1 sind die Planungen und Absichtsbekundungen recht gut dokumentiert. Als der Investor das Haus gekauft hat, stand es schon unter Ensembleschutz. Es gilt zusammen mit dem Nachbargebäude an der Marktstraße als prägender Gebäudekomplex im Ensemble Altschwabing.

Dass da das Aufsetzen von mehr Stockwerken genehmigt wird? Unwahrscheinlich. Die Altschwabing Projekt GmbH hat es trotzdem versucht. Im Juni 2019 bekundete sie, das Wohnhaus nach oben aufstocken und das Dach ausbauen zu wollen - zog den Bauvorbescheidsantrag 2020 aber mangels guter Aussichten zurück.

Sozialreferat: Verfahren wegen Zweckentfremdung vorbereitet

Als die Wohnungen schon über zwei Jahre leer standen, erklärte das Sozialreferat auf eine Anfrage der Stadtrats-Linken, man bereite gegen den Eigentümer ein Verfahren wegen Zweckentfremdung vor und wolle anordnen, dass er das Haus in einen bewohnbaren Zustand versetzt und wieder vermietet. Dazu kam es aber nicht.

Mit Plastikplane verhängt: Eine Ladentür am Wedekindhaus.
Mit Plastikplane verhängt: Eine Ladentür am Wedekindhaus. © Daniel von Loeper

Vermutlich, weil die Altschwabing Projekt GmbH im Mai 2022 einen neuen Umbauplan vorlegte. Diesmal zwar ohne den Wunsch nach mehr Stockwerken. Aber mit Dachgauben, Balkonen und mehr - der Denkmalschutz legte erneut ein Veto ein. "Die vorgelegte Planung war aus einer Vielzahl von Gründen nicht genehmigungsfähig", erklärt das Planungsreferat auf AZ-Nachfrage.

Stadtrat Stefan Jagel (Die Linke): "Armutszeugnis für die Stadt"

Seit Februar 2023 nun liegt der Fall vor Gericht, denn der Investor hat gegen den negativen Vorbescheid Klage eingereicht. Es könne Herbst werden, bis das Gericht eine Entscheidung gefällt hat, heißt es. Es werden also wieder Monate vergehen.

Es sei "ein Armutszeugnis für die Stadt", findet der Linke-Stadtrat Stefan Jagel, dass nicht längst alles an Maßnahmen ausgeschöpft worden sei, was möglich wäre, damit die Wohnungen vermietet werden.

"Das Planungsreferat hätte spätestens ein halbes Jahr nach dem ersten zurückgezogenen Antrag mit einem Instandsetzungsgebot eine Frist setzen müssen, dass in drei Jahren saniert sein muss", findet Jagel. "Das ist aufwendig, man braucht gute Juristen, aber möglich ist es. Die Verwaltung ist da oft zu hasenfüßig unterwegs."

Gute Nachricht: Der letzte Mieter im Wedekindhaus in München darf bleiben

Immerhin eine gute Nachricht gibt es in dieser Geschichte: Man habe derzeit "keine Absicht, den letzten Mieter vor die Tür zu setzen", erklärt Michael Georg Sachs, Geschäftsführer der Altschwabing Projekt GmbH, auf AZ-Nachfrage.

Burkhard Stolla wird seine Einbauten also vorerst nicht abbauen müssen. Aber ob er sehr bald neue Nachbarn bekommt im Eckhaus am Wedekindplatz? Es sieht nicht danach aus.

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