NSU-Prozess:Rätsel um möglichen weiteren Anschlag in Nürnberg
Vor eineinhalb Jahren flog die rechtsextreme Terrorzelle NSU auf - erst jetzt kommt heraus: Womöglich geht auch ein Sprengstoffattentat in einer türkischen Kneipe auf das Konto der NSU-Terroristen. Wieder eine Ermittlungspanne?
München - Die Bundesanwaltschaft prüft Hinweise auf einen weiteren möglichen Anschlag der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Ein bislang nicht aufgeklärter Rohrbombenanschlag in Nürnberg 1999 könnte auf das Konto der Neonazi-Terroristen gehen. Am Mittwoch leitete die Nürnberger Staatsanwaltschaft die Akten an die Bundesanwaltschaft weiter. Bei der Explosion des Sprengkörpers war ein 18-Jähriger verletzt worden.
„Die Akte liegt uns inzwischen vor“, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer nach der Verhandlung im NSU-Prozess am Mittwoch in München. Das Bundeskriminalamt sei beauftragt, Ermittlungen zu führen. Die Akten waren im vergangenen Jahr nicht dem BKA vorgelegt worden, als dort ungeklärte Fälle auf mögliche Verbindungen zum NSU untersucht wurden. Warum die Akten über den Rohrbombenanschlag nicht weitergeleitet wurden, „wissen wir selber nicht“, sagte ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts. Es sei der Behörde aber sehr daran gelegen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Der Angeklagte Carsten S. hatte am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München erstmals auf das mögliche Attentat hingewiesen. Bei einem Treffen zur Übergabe einer Waffe im Jahr 2000 hätten die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos davon gesprochen, dass sie „irgendwo in Nürnberg in einem Laden eine Taschenlampe hingestellt“ hätten. Tatsächlich wurde im Juni 1999 bei der Explosion einer Rohrbombe in einer türkischen Gaststätte in Nürnberg ein 18-jähriger Putzmann verletzt.
Nach Zeitungsberichten hatte er einen etwa 30 Zentimeter großen Sprengsatz gefunden, den er für eine Taschenlampe hielt. Sie explodierte, als der junge Mann sie anknipsen wollte. Die Staatsanwaltschaft hatte seinerzeit wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Damals vermutete niemand einen rechtsextremen Hintergrund. Wie bei anderen NSU-Verbrechen wurde zeitweise in Richtung Schutzgelderpressung ermittelt.
Ohne die Aussage von Carsten S. hätte es keine konkreten Anhaltspunkte für einen Bezug zum NSU gegeben, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Der Anschlag könnte theoretisch noch in das derzeitige NSU-Verfahren vor dem OLG München einbezogen werden.
Carsten S. wurde am Mittwoch erneut stundenlang vernommen. Der 33-jährige Szene-Aussteiger erhob dabei erneut Vorwürfe gegen den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Der Ex-NPD-Funktionär soll Carsten S. zu seinem Verbindungsmann zu dem untergetauchten NSU-Trio gemacht hat. Nach eigenen Angaben hat Carsten S. im Auftrag Wohllebens eine Pistole für die drei besorgt. Dabei handelt es sich nach aller Wahrscheinlichkeit um die „Ceska“, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Menschen ermordeten.
Inzwischen wurde bekannt, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe Briefkontakt mit einem anderen Häftling aus der rechten Szene haben soll. Nach einem Bericht des Senders „SWR Info“ wurde der Brief Zschäpes in der Zelle eines Strafgefangenen in Bielefeld gefunden. Dieser habe der verbotenen „Hilfsorganisation Nationaler Gefangener“ (HNG) angehört. In dem 30 Seiten langen Brief schreibe Zschäpe unter anderem über den Alltag in der Haft und das Essen. Mit ihrer Rolle als Angeklagte beschäftige sich die 38-Jährige in dem Brief nur am Rande. Die Bundesanwaltschaft legt Zschäpe Mittäterschaft bei allen Verbrechen des NSU zur Last.