NS-Zeit in München: Verboten und verfolgt - er überlebte das KZ

München - Mit einem "Festtag" ehrt das NS-Dokumentationszentrum heute einen Mann, der soeben seinen 85. Geburtstag gefeiert hat. Er war fast sein ganzes Leben lang ausgegrenzt worden. Heute setzt sich Ernst Grube unermüdlich für eine tolerante Demokratie ein und kämpft gegen deren Gefährder.
Der Mann mit dem schlohweißen Schnurrbart ist einer der letzten Augen- und Leidenszeugen für böse Zeiten, die für ihn auch nach 1945 andauerten. Der Aufklärung und Bildung, insbesondere der Jugend, opfert er seinen Lebensabend. "Seit Jahrzehnten bereichern Sie unsere politische Kultur nicht nur in München, sondern auch weit darüber hinaus", schrieb ihm Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Von den Eltern getrennt
Reden, Workshops und Führungen werden heute seinem Lebensweg nachspüren. Am 13. Dezember 1932 in München geboren, wurde der Bub bald von seinen Eltern getrennt. Der Vater war Kommunist, die Mutter Jüdin. Ernst Grube steckten sie in eine feuchte Baracke in Milbertshofen und noch 1945 mit Mutter und Geschwistern ins Ghetto Theresienstadt.
Zwei Monate bevor er im Februar 1945 mit seiner jüdischen Mutter Clementine, seinem Bruder Werner und seiner Schwester Ruth deportiert wurde, hatte der letzte Transport das Lager Richtung Auschwitz verlassen – ins Gas. "Ich bin", hat Grube der AZ mal gesagt, "auch nur da, weil ich Glück gehabt habe." Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrte er nach München heim.
Die Heimkehr aus dem KZ war für den 12-Jährigen "eine herbe Enttäuschung". Niemand wollte etwas hören, als er von seinen Erfahrungen im Lager zu erzählen versuchte. Wieder war er bei Streitereien für viele Mitschüler – die "Judensau". Er holte das Abitur nach, wurde Malermeister wie der Vater und schließlich Berufsschullehrer.
Münchens dunkle NS-Geschichte
Was dann folgte, spiegelt ein Kapitel Zeitgeschichte wider, das nun allmählich der Vergessenheit entrissen wird: die Geschichte der Münchner Kommunisten. Grube war Mitglied der am 30. Dezember 1918 gegründeten KPD. In seinem Geburtsjahr 1932 hatte sich der Mitgliederstand der KPD in München bereits auf 3500 Mitglieder erhöht und der Stimmenanteil 20 Prozent angenähert.
Es folgten Verbot, illegale Aktivitäten, Verfolgung. Als Beispiel für all die Kämpfer und Opfer würdigt das NS-Dokumentationszentrum den Reichsbahnarbeiter und Pasinger Stadtrat Franz Stenzer, der den Mut hatte, bei Kundgebungen der NSDAP das Wort zu ergreifen. Als er sich verstecken musste, wurde seine Frau, die drei Kinder hatte, in Geiselhaft genommen.
Der Gesuchte wurde aufgespürt, in den Dachauer "Bunker" gesperrt und "auf der Flucht erschossen", wie das die Nazis nannten. Zwei Drittel aller Hochverratsverfahren im Dritten Reich betrafen Kommunisten, aus München stammten über 500 aller dabei verurteilten Genossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Kommunisten unter den ersten, die für den demokratischen Neubeginn und die Beseitigung nazi-faschistischer Rudimente in die Arena traten.
Erste Partei in der Widenmayerstraße eingerichtet
Als erste politische Partei wurde die KPD am 1. November 1945 von den Amerikanern "lizenziert". Die 25 Gründungsmitglieder, von denen 24 NS-Verfolgte waren, richteten sich in einem hochherrschaftlichen Doppelhaus in der Widenmayerstraße 25 ein und riefen schon zehn Tage später zur ersten öffentlichen Kundgebung ins Prinzregententheater.
Motto: "Schluss mit dem Bruderkampf - Einheit für den Aufbau." Die erstrebte Vereinigung mit der SPD fand ein halbes Jahr später statt - in der sowjetisch besetzten Zone und sonst nirgendwo. Auf heimischem Boden funktionierte der Aufbau nur mäßig. In die Landesregierung musste Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) zwar auf Anweisung der Besatzer vier Kommunisten aufnehmen.
Kommunisten fühlen sich ausgegrenzt
Es waren drei Staatssekretäre und der "Sonderminister" Heinrich Schmitt. Der verantwortete von September 1945 bis Juli 1946 die Entschädigung von NS-Opfern sowie die "Entnazifizierung". Doch die dafür zuständigen Spruchkammern und die Partei, die es mit dem Aussondern brauner Parteigenossen besonders genau nahm, machten sich in der Bevölkerung bald unbeliebt.
Die Stimmung in jenen Jahren war so, dass viele der von den Nazis geschundenen Kommunisten erst gar keinen Antrag auf Haftentschädigung stellen wollten. Wieder einmal fühlten sie sich ausgegrenzt. In den Landtag schaffte es keiner. Alte Erinnerungen und neue Berichte aus dem "sozialistisch" gewordenen Teil von Rest-Deutschland und der beginnende Kalte Krieg ließen den latenten Antikommunismus regelrecht eskalieren.
Am 15. Juni 1946 wurden der KPD-Landesvorsitzende Georg Fischer sowie die Landessekretäre Fritz Sperling, Fritz Abel und Dr. Alfred Kroth von einem Militärgericht zu je vier Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie an einem Kongress in Berlin teilgenommen hatten.
Ausschlüsse und Presseverbote schwächten die Partei
Zwei Tage später wurde Fischer, der auch Staatssekretär im bayrischen Wirtschaftsministerium war, seines Amtes enthoben. Bei der ersten Stadtratswahl im September 1946 erkämpfte die KPD nur zwei Mandate. Ausschlüsse, Austritte, Verhaftungen, Presseverbote schwächten die Partei erheblich. Und es kam noch schlimmer.
Obwohl die Landesdelegiertenkonferenz im Münchner Rathaus nach der Berliner Blockade im Juni 1948 die Abschaffung der Parteisymbole Hammer und Sichel beschloss. Und obwohl der neue Landesvorsitzende Richard Scheringer, ein der NSDAP entwachsener Offizier und Bauer in Oberbayern, einige Sympathiepunkte im einfachen Volk sammeln konnte.
In den 50er Jahren, bei den Demonstrationen gegen die von Adenauer forcierte Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und für die verbotene Volksbefragung dazu, standen die Münchner Kommunisten in der ersten Reihe. Als Mitglied der neuen KPD war Grube fast immer dabei, nachdem er als Mitglied der bereits verbotenen FDJ in München Autos von US-Soldaten mit Friedensparolen beklebt hatte.
Polizei besetzt Parteibüro
Mehrmals wurde der junge Mann von der Polizei verprügelt, festgenommen und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Dann der Schlag, von dem sich die Partei bis heute nicht erholt hat: Am 17. August 1956 erklärte das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung die KPD für verfassungswidrig und verfügte ihre Auflösung sowie die Einziehung ihres Vermögens.
In der 275 Seiten starken Begründung wimmelte es von uralten Lenin- und Stalin-Zitaten und von Hinweisen auf die DDR. Unmittelbar danach besetzte die Polizei die Parteibüros in der Widenmayerstraße. Ein letztes Mal erschien das "Bayerische Volks-Echo" – mit der Schlagzeile: "Die KPD ist da – und bleibt da".
Als Grube 1958 die dann illegal produzierte Parteizeitung "Freies Volk" im Justizpalast auslegte, wurde er erwischt und wieder monatelang eingesperrt. Im Rathaus durften der Altkommunist Alfred Lettenbauer und sein Genosse Blieninger vorerst als Stadträte weiter amtieren, aber nur als Fraktionslose. Tatsächlich arbeitete die KPD im Münchner Untergrund weiter.
Grube bleibt untergrundaktiv
Ihr entsprossen - obwohl Karlsruhe "Ersatzorganisationen" ausdrücklich verboten hatte – zahlreiche Gruppen und Grüppchen unter ganz verschiedenen Namen, die zum Teil heute noch existieren. Auch Grube blieb untergrundaktiv. 1959 verurteilte ihn deshalb das Bundesgericht zu einem Jahr Gefängnis. Im Januar 1972 erließ die Ministerpräsidentenkonferenz den sogenannten Radikalenerlass.
Daraufhin wurde Grube als Berufsschullehrer für Farbe und Lacke fristlos entlassen. Der Sachbearbeiter im Rathaus nahm den Bescheid jedoch zurück, als ihm der "Halbjude" seinen gelben Stern auf den Schreibtisch legte. 2002 verlieh ihm die Stadt für seine Lebensleistung die Medaille "München leuchtet" in Silber.
2011 jedoch musste der unbeugsame Kommunist erleben, dass Menschen seiner politischen Gesinnung in Bayern offenbar immer noch eine Sonderstellung haben: Sein Name erschien im Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz, als stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
"Vergesst uns nicht!"
Er nütze als Linksextremist den VVN aus, um kommunistische Ziele zu propagieren, hieß es amtlich. Nach Protesten von Politikern, auch der CSU, und von Kirchen wurde sein Name aus dem Bericht gestrichen. Die antifaschistische VVN blieb drin. Die erst 1946 in die Partei eingetretene Resi Huber, die als blutjunge Arbeiterin im KZ-eigenen Kräutergarten Briefe und Lebensmittel an Häftlinge geschmuggelt hatte, hat eine vergilbte Todesliste von 60 Münchner Kommunisten entdeckt.
Ihre durch weitere Quellen ergänzte Dokumentation zur Aktivität und Ermordung dieser Frauen und Männer, darunter mehrere Mandatsträger, hat die Deutsche Kommunistische Partei 1998 unter dem Motto "Vergesst uns nicht!" veröffentlicht. An einige erinnern heute Straßenschilder, auch an Franz Stenzer und an die 2000 verstorbene Resi Huber.
Sie ist eine Ikone der Münchner Antifa, neben Zenzl Mühsam, der Witwe des Schwabinger "Revoluzzers", der selbst nie Mitglied werden wollte.
Der Beitrag stützt sich u. a. auf das Buch "Außenseiter in München" von Karl Stankiewitz, 2016
Lesen Sie hier: 400.000 gegen Fremdenhass: Als München leuchtete