Notwehr oder ungerechtfertigte Polizeigewalt?

München - Ihr rechtes Auge ist blau und zugeschwollen, Nase und Wange sind blutverkrustet. Im Krankenhaus diagnostizieren Ärzte bei der 23-Jährigen ein zertrümmertes Nasenbein und eine angebrochene Augenhöhle. Zugefügt wurden ihr die Verletzungen von einem Polizisten. Ob in Notwehr, wie der Polizeihauptmeister (33) behauptet, prüft jetzt die Staatsanwaltschaft.
Nach einem Streit mit ihrem Freund ruft die Münchnerin am 20. Januar nachmittags die Polizei. Das Paar wird aufs Revier gebracht. Doch bereits auf der Fahrt zur PI 21 in der Au eskaliert die Situation. „Meine Mandantin wollte nicht mit auf die Wache“, berichtet Rechtsanwalt Franz Erlmeier.
Die Frau sei ausgerastet, hieß es dazu im Polizeibericht. Sie habe um sich geschlagen und geschrien. Der Fahrer stoppte. Der 23-Jährigen wurden Handfesseln angelegt.
Auf der Wache wurden ihr die Fesseln abgenommen, „worauf sie wieder um sich schlug und trat“, berichtet Reinhold Bergmann, Sprecher des Polizeipräsidiums München. Sie soll die Beamten zudem als „Nazis“ beschimpft haben.
Angeblich stand die Frau dabei unter Drogeneinfluss. Nach AZ-Informationen soll sie am Vorabend die Partydrogen Ecstasy, Speed und Ketamin geschluckt haben. Die tobende Tierarzthelferin wurde in eine Haftzelle gebracht. Was dort geschah, beschäftigt jetzt das Dezernat 11 für Amtsdelikte und die Staatsanwaltschaft.
Ein 33-jähriger Polizeihauptmeister hat die gefesselte Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Das gibt der Polizist auch zu. Er habe aber in Notwehr gehandelt, sagt er. Nach Angaben des Polizisten habe die Frau ihm ins Gesicht gespuckt. Er habe ihren Kopf zur Seite gedrückt. Als er los ließ, habe die 23-Jährige versucht, ihm einen Kopfstoß ins Gesicht zu verpassen. Deshalb habe er aus etwa einem halben Meter zugeschlagen. Einmal, so der Polizist.
Die Frau berichtet dagegen von zwei Faustschlägen. „Ein rechtsmedizinisches Gutachten wird klären, ob die Verletzungen in ihrem Gesicht tatsächlich nur von einem einzigen Hieb stammen können“, sagt Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch.
Gegen den Polizisten wird ermittelt wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. „Der Beamte wähnte sich in einer Notwehrsituation“, erklärt Reinhold Bergmann. Mehrere Beamte wurden Zeugen des Vorfalls. Ihre Aussagen bestätigen laut Polizeipräsidium die Angaben des 33-Jährigen.
Die Tierarzthelferin bestreitet dagegen, dass sie dem Polizisten eine Kopfnuss verpassen wollte. Einen „unbehelflichen Versuch, eine Notwehrsituation zu konstruieren“, nennt das ihr Anwalt. Seine Mandantin habe mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf einer Liege gelegen, so Franz Erlmeier. Er hat gegen den Beamten der PI 21 Anzeige wegen Körperverletzung gestellt. Doch auch gegen die Frau wird ermittelt – wegen Körperverletzung, Beleidigung und Widerstand.
Bei der Aufklärung helfen könnte ein Video. Ein Polizist soll es mit dem Handy aufgenommen haben. Ausgewertet wurde es noch nicht.
Die Landtags-SPD forderte das Innenministerium auf, den Vorfall umgehend aufzuklären. An eine Notwehrsituation glaubt der SPD-Rechtspolitiker Florian Ritter nicht: „Dafür sind die Verletzungen zu schwer.“