Notfall in München am Limit: Warten, bis der Arzt kommt

Die Notfallversorgung in München ist schlechter geworden. Das zeigt eine Studie. Und eine Pflegerin erzählt von ihrem Alltag in der Notaufnahme.
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Am Eingang der Notaufnahme im Klinikum rechts der Isar. In München hat sich die Qualität der Notversorgung verschlechtert. Und es wird noch schlimmer werden.
Am Eingang der Notaufnahme im Klinikum rechts der Isar. In München hat sich die Qualität der Notversorgung verschlechtert. Und es wird noch schlimmer werden. © IMAGO / argum

München - Diesen Winter habe es immer wieder Momente gegeben, in denen sie am liebsten sofort ihren Kittel ausgezogen, nach Hause gegangen und nie wieder zurückgekommen wäre, erzählt Marion Lacher. Sie arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Pflegerin in der Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses. Eigentlich heißt sie anders, doch ihre Chefs sollen lieber nicht erfahren, wer der Presse erzählt, wie der Alltag in Münchens Notaufnahmen wirklich aussieht.

Einfach alles hinschmeißen - früher wäre das undenkbar gewesen, sagt Marion Lacher. Als zu wichtig empfand sie ihren Job. Doch zur Zeit überlegt sie immer wieder, den Beruf zu wechseln. Zwar fühle sie sich immer noch für die Gesundheit der Münchner verantwortlich.

Notaufnahmen "immer zu knapp besetzt"

Aber: "Ich komme heim und bin fix und fertig. Ich bin zu nichts anderem mehr fähig." Essen, hinlegen, schlafen - bis zum nächsten Morgen, wenn alles wieder von vorn beginnt.

Die Notaufnahme in der sie arbeitet, sei immer zu knapp besetzt, sagt die Pflegerin. Diesen Winter seien noch dazu viele Kollegen ausgefallen, weil sie selbst erkrankt waren. Eine Folge: Patienten müssen immer länger warten, bis sie behandelt werden.

"Das bedrückt uns sehr. Die Leute haben Angst. Zehn Minuten fühlen sich da schnell wie eine halbe Stunde an", sagt Lacher. Und sie gibt auch zu: "Die Qualität leidet." Wenn sie früher einem Patienten eine Schmerztablette gab, habe sie danach noch mal nach ihm geschaut, um zu fragen, ob sie wirke. Das klappe heute längst nicht mehr immer.

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Große Unsicherheit bei Patienten

Besonders bei den Patienten, die allein in ein Isolationszimmer müssen, weil der Verdacht besteht, dass sie Corona oder eine andere ansteckende Krankheit haben, sei die Unsicherheit groß. "Sie fragen mich, ob ich sie vergessen habe", erzählt Lacher. "Ich würde die Leute gern besser betreuen. Aber ich kann nicht zaubern."

Das alles ist nicht nur Marion Lachers subjektiver Eindruck - und das ist auch nicht nur in ihrer Notaufnahme so. Eine Studie, die am Donnerstag im Gesundheitsausschuss vorgestellt wird, zeigt, dass sich die Notfallversorgung in München seit 2014 verschlechtert hat.

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"Die Leute haben Angst, die Qualität leidet"

Zum Beispiel verlängerte sich die Dauer vom Notrufeingang in der Leitstelle bis zum Eintreffen des Rettungswagens im Krankenhaus um fast zehn Minuten. Und zwar von 48 Minuten im Jahr 2015 auf 57 Minuten im Jahr 2021 (siehe unten).

In welches Krankenhaus der Rettungsdienst einen Patienten bringen muss, erfährt er von der Leitstelle, erklärt Marion Lacher das System. Wenn die Stationen voll sind oder Personal fehlt, kann sich ein Krankenhaus abmelden.

Akutzuweisung - an Kliniken ohne Kapazitäten

Wenn das alle Krankenhäuser machen, erfolgt eine "Akutzuweisung". Der Patient wird also trotzdem einer Klinik zugewiesen, obwohl die eigentlich nicht die Kapazitäten dafür hat. 2019 waren laut der Studie viermal so viele Akutzuweisungen notwendig wie im Jahr 2015. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Akutzuweisungen 17 Prozent.

Für die Schlaganfallversorgung und verschiedene andere Intensivbereiche - wie die chirurgische und die internistische Intensivstation - konnten der Studie zufolge "Versorgungsdefizite" beobachtet werden. Es sei "vermehrt zu Situationen gekommen, in denen keine oder nur einzelne Einrichtungen verfügbar waren. Engpässe gab es demnach auch in den Kinderintensivstationen.

In Zukunft könnte sich die Situation verschärfen. Denn München wächst. Die Verfasser der Studie gehen davon aus, dass 2040 16 Prozent mehr Menschen in München leben als 2019. Auch ins Umland ziehen immer mehr Menschen. Deshalb prognostizieren sie, dass 60.000 Fälle (also 16 Prozent) pro Jahr mehr in die Notaufnahme eines Münchner Krankenhauses müssen.

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Notaufnahmen als Teil des Medizin-Konzepts

Linken-Stadtrat Stefan Jagel, von Beruf selbst Krankenpfleger und Koreferent im Gesundheitsausschuss, fordert deshalb, dass die Notaufnahmen mit in das Medizin-Konzept aufgenommen werden sollen, das die städtischen Krankenhäuser gerade erarbeiten. "Man muss überlegen, die Notaufnahmen auszubauen", sagt er außerdem.

Wie gefährlich ist es also, wenn man in München auf den Rettungswagen wartet und dringend in ein Krankenhaus muss? "Wir kämpfen jeden Tag dafür, dass es nicht gefährlich ist", sagt Notfallpflegerin Marion Lacher. Doch das hat einen Preis: "Am Ende sind wir fix und fertig."


Die Studie: Alles dauert länger

Die Studie zur Notfallversorgung in München zeigt, dass die Einlieferungen in eine Klinik in München durch den Rettungsdienst zwischen 2015 und 2019 um fünf Prozent angestiegen sind.Im Median verlängerte sich die Transportdauer (also die Dauer von der Abfahrt des Rettungsmittels am Notfallort bis Ankunft am Krankenhaus) von acht Minuten im Jahr 2015 auf zehn Minuten im Jahr 2021. Das On-Scene-Intervall (Ankunft des Rettungsmittels am Notfallort bis Abfahrt vom Einsatzort) stieg von 28 Minuten im Jahr 2015 auf 33 Minuten im Jahr 2021. Und die Prähospitalzeit (Zeitdauer vom Notrufeingang in der Leitstelle bis zum Eintreffen des Rettungsmittels am Krankenhaus) stieg von 48 Minuten im Jahr 2015 auf 57 Minuten im Jahr 2021. Für einen Notfallpatienten etwa mit einem Schlaganfall wird meistens ein geeignetes Krankenhaus gefunden.

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23 Kommentare
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  • Wickie712 am 17.01.2023 07:12 Uhr / Bewertung:

    Wenn Menschen wegen Bagatellen in die Notaufnahme rennen oder ähnliches, belastet es die Situation. Andere rufen lieber gar nicht an und verschlimmern ihren Zustand lieber.
    Einfach selbstständig mal überdenken, "muss ich wirklich mit den Beschwerden in die NA?" oder "oder sind die Rückenschmerzen, eingewachsener Zehennagel schon länger da?"

    Die Entlohnung ist immer ein gern geriffenener Punkt, wobei jede gehaltserhöhung nur kurzfristig einen Mehrgewinn an Motivation bringt. Grundsätzlich wird zuviel Last auf zuwenige Schultern verteilt. Die regelmäßige arbeitszeit wird überschritten, die Freizeit zum Ausgleich und relaxen fehlt.
    Wir haben gutes Personal in den Kliniken, nur haben die wieder zu wenig Zeit um sich selbst "zu Pflegen (Psyche und Erholung für Körper)

  • Himbeergselchts am 16.01.2023 18:41 Uhr / Bewertung:

    Bei uns soll helfen (Behörde) wenn alles aus den Fugen gerät: Anordnungen von oben. Berlin reicht in die Bundesländer und die an die Leitungen der Kommunalverwaltungen, ob Jobcenter, Jugendamt, Integration usw. Das sind praktisch dann 40-50 Seiten zu lesen. Wie das laufen soll ohne mehr Personal ist wurscht. Herr de Maizière meinte ja 2015 schon, dann müsse man halt mal ein paar Überstunden machen. Leitung Integration :500 bei uns, Jugendamt im Schnitt 300. Wer bis März nicht auf 50 abbaut verliert seine Überzeiten. So einfach läuft das. Es sei den die privaten Träger der Kliniken kommen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber dem Personal nach 😆

  • SL am 16.01.2023 21:44 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Himbeergselchts

    Wie immer die Behörden haben über zu wenig Personal: Alleine in 2022 hat der ÖD mehr als 124.000 Angestellte und Beamte eingestellt. Mehr als jede andere Branche der Privatwirtschaft. Alleine die Ampel in Berlin und Bonn hat 6000 Beamtenstellen geschaffen. Wie wärs mal mit weniger Bürokratismus und mehr Digitalisierung? Evtl. haben Sie schon mal was von den Parkinsonschen Gesetzen gehört?

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