Notdienst vor dem Kollaps: Tierklinik Ismaning schlägt Alarm

Immer mehr Tierkliniken in Bayern ziehen sich aus dem Notdienst zurück. Der Rest kann die Zusatzbelastung kaum mehr schultern. Die Bayerische Landestierärztekammer reagiert aktuell nicht auf die Misere.
von  AZ
"Die Versorgung akuter Notfälle im Raum München liegt in immer weniger Händen", sagen die Verantwortlichen der Tierklinik Ismaning.
"Die Versorgung akuter Notfälle im Raum München liegt in immer weniger Händen", sagen die Verantwortlichen der Tierklinik Ismaning. © Tierklinik Ismaning

München/Ismaning - Stellen Sie sich vor: Ihr Hund hat eine Magendrehung und nur eine Not-OP kann ihn retten. Doch Sie stehen vor verschlossenen Kliniktüren, und die nächste OP-Bereitschaft ist zwei Autostunden entfernt.

Was die Tierklinik Ismaning hier als Szenario beschreibt, klingt für Tierbesitzer wie ein Albtraum und könnte bald überall in Bayern Realität werden.

Die Corona-Pandemie mit ihrem Haustierboom hat die Negativ-Entwicklung noch beschleunigt, heißt aus aus den Tierkliniken in und um München.
Die Corona-Pandemie mit ihrem Haustierboom hat die Negativ-Entwicklung noch beschleunigt, heißt aus aus den Tierkliniken in und um München. © Tierklinik Ismaning

"Wir sind im Großraum München eine der letzten Kliniken, die überhaupt 24/7-Notdienst anbieten, und arbeiten dementsprechend oft an der Belastungsgrenze", klagt der Inhaber der Tierklinik Ismaning, Dr. Felix Neuerer.

Lücken in der tierärztlichen Notdienstversorgung: "Dramatische Entwicklung"

Seit Jahren schon beobachtet der Klinikchef, "wie die tierärztliche Notdienstversorgung in Bayern immer mehr Lücken aufweist". Immer mehr Tierkliniken und niedergelassene Tierärzte stellen demnach ihren Notdienst ein. Das heißt: Die Wege zu Kleintierkliniken mit 24/7-Notfallversorgung werden immer länger. Aus Sicht der Tierklinik Ismaning ist dies "eine dramatische Entwicklung".

So sei die Zahl der bayerischen Kleintierkliniken – der Klinikstatus verpflichtet zu einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung – binnen drei Jahren von 25 auf 20 (Ende 2020) geschrumpft. Und die Zahl bröckele weiter: Egal ob man nach Germering, Neufahrn, Weilheim, Ingolstadt, Dingolfing, Landshut, Passau oder Regensburg schaue.

"Die Tierkliniken dort beteiligen sich nur noch eingeschränkt oder gar nicht am Notdienst. Im Klartext heißt das: Die Versorgung akuter Notfälle im Raum München liegt in immer weniger Händen", heißt es aus Ismaning.

Gestiegene Personalkosten spielen auch eine Rolle

Auch an der Medizinischen Kleintierklinik der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München betont man, dass sich die tierärztliche Versorgung im Notdienst bundesweit verschlechtert habe. "Immer mehr tierärztliche Kliniken können durch die gestiegenen Personalkosten keine 24-Stunden-Versorgung an sieben Tagen pro Woche mehr anbieten", so der Hinweis auf der Website.

Die Notdienstzeiten im Sinne des Gesetzes sind täglich von 18 Uhr bis 8 Uhr des jeweils folgenden Tages (Nacht) sowie von freitags 18 Uhr bis 8 Uhr des jeweils folgenden Montags (Wochenende) und von 0 Uhr bis 0 Uhr eines gesetzlichen Feiertags.

Die Pandemie mit ihrem Haustierboom habe die Negativ-Entwicklung noch beschleunigt, weil die tierärztliche Versorgung der vielen neuen Patienten schon tagsüber zur Kraftprobe geworden sei, betonen die Kollegen in Ismaning. Für die Tierklinik Ismaning und ihre Tierärzte bedeute es eine enorme Zusatzbelastung, wenn aus Mangel an Alternativen jetzt auch verzweifelte Tierbesitzer aus Regensburg, Dingolfing, Ingolstadt und Landshut in der Notaufnahme Schlange stünden.

"Noch stemmen unsere Mitarbeiter diese enorme Belastung mit Bravour. Vor allem ohne unsere jungen Assistenzärzte wäre ein Klinikbetrieb wie der unsere vollkommen undenkbar", erklärt Dr. Klaus Zahn. "Doch lange können wir das nicht mehr durchhalten."

Versorgung akuter Notfälle ist auf wenige Schultern verteilt 

Eine der Hauptursachen für die Notdienst-Misere: Es fehlt an qualifiziertem Personal, das zudem noch gewillt ist, außerhalb der regulären Öffnungszeiten Notdienste zu übernehmen und sich darüber hinaus die oft beleidigenden Beschimpfungen von Kunden anzuhören, die frustriert von den Wartezeiten sind. 

Das sehen auch die Verantwortlichen  der Tierklinik Oberhaching so. Die Versorgung akuter Notfälle sei personell auf nur wenige Schultern verteilt und die Arbeitsbelastung in den Kliniken und Praxen werde immer größer.

"Im Klinikalltag müssen daher manche Notfälle in ohnehin voll durchgeplante Sprechstunden eingeschoben und ihre Versorgung selbstverständlich bestmöglich sichergestellt sein", heißt es auf der Website der Klinik.

Tierkliniken suchen händeringend neues Personal

Weil das Arbeiten im 24-Stunden-Klinikbetrieb "ständiges Arbeiten am Limit" und ein über das gesunde Maß hinausgehendes Engagement bedeute, ist die Klinik ständig auf der Suche nach Tiermedizinischen Fachangestellten und Tierärzten: "Mit der Erweiterung der Tierklinikfamilie wäre sicher geholfen, allerdings fehlt es bundesweit an qualifiziertem Fachpersonal, das zudem auch noch bereit ist, außerhalb der Sprechzeiten zu arbeiten und Notdienst zu leisten."

Die Suche nach motivierten Mitarbeitern werde nicht gerade vereinfacht, wenn bereits erste Tiergesundheitszentren mit Jobs ohne verpflichtenden Nacht- und Wochenenddienst lockten, berichtet die Tierklinik Ismaning. "Leider können wir selbst an dieser Situation nichts ändern", bedauert Dr. Felix Neuerer – er fordert deshalb eine (berufs-)politische Lösung.

Beschweren sich zu wenige Patientenbesitzer?

Oft schon habe er die Bayerische Landestierärztekammer um Hilfe gebeten, um den drohenden Kollaps abzuwenden: "Doch dort sieht man keinen Handlungsbedarf, solange sich nicht mehr Patientenbesitzer über eine mangelhafte notdienstliche Versorgung beschweren. Es wurde uns sogar nahegelegt, unseren Klinikstatus ruhen zu lassen oder zurückzugeben, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen." Der Mitteilung zufolge haben Dr. Felix Neuerer und Dr. Klaus Zahn noch nicht darüber entschieden.

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