Gastbeitrag

Norbert Walter-Borjans über Hans-Jochen Vogel: Er hatte Recht

In einem Gastbeitrag für die AZ würdigt Norbert Walter-Borjans Hans-Jochen Vogel zu dessen 95. Geburtstag am 3. Februar - und skizziert, was dessen Erbe für die Politik der SPD bedeuten soll.
Norbert Walter-Borjans |
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Norbert Walter-Borjans bei der Trauerfeier für Hans-Jochen Vogel im Gasteig im vergangenen Jahr.
Norbert Walter-Borjans bei der Trauerfeier für Hans-Jochen Vogel im Gasteig im vergangenen Jahr. © Peter Kneffel/dpa

Hans-Jochen Vogel, der im Sommer des vergangenen Jahres gestorben ist, wäre am heutigen 3. Februar 95 Jahre alt geworden. Als ich ihn vor einem Jahr in München besucht und ihm zum 94. Geburtstag gratuliert habe, war ich tief beeindruckt, wie dieser an Jahren alte Mann allen körperlichen Malaisen zum Trotz hellwach, präzise und bestens informiert war.

Ein Thema trieb ihn buchstäblich bis zu seinem letzten Atemzug besonders um, und er hat es der SPD als Erbe vermacht: Wie können wir durch verantwortungsvolle Politik dafür sorgen, dass alle Menschen eine Wohnung bekommen, die ihren Bedürfnissen entspricht und die sie bezahlen können?

"Ich habe es Hans-Jochen Vogel persönlich versprochen"

Er wollte, dass die SPD die Frage bezahlbaren Wohnens zu einem ihrer wichtigsten Anliegen machen und gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften für praktische Veränderungen sorgen soll. Das habe ich ihm versprochen. Die SPD wird in ihrem Programm für die Bundestagswahl konkrete Vorschläge machen.

Hans-Jochen Vogel hatte einen klaren Kompass: Alle Menschen haben nicht nur gleiche Rechte, sondern müssen auch die gleiche Chance haben, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Der große Alt-OB, der große Erklärer in seinem Element: Hans-Jochen Vogel 2016 bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Der große Alt-OB, der große Erklärer in seinem Element: Hans-Jochen Vogel 2016 bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung. © Andreas Gebert/dpa

Das gelingt nur in einer solidarischen Gesellschaft mit einem Staat, der alle drei Aufträge unseres Grundgesetzes gleichermaßen Ernst nimmt: Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat. Als ich ihn im letzten Jahr besucht habe, sprachen wir über seine Vorschläge, wie das Bodenrecht geändert und die Sozialbindung des Eigentums, die soziale Verpflichtung der Eigentümer durchgesetzt werden kann.

Vogels Plädoyer für "eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung"

Spekulation mit Grund und Boden führt dazu, dass Wohnungen für immer mehr Menschen in den großen Städten, aber inzwischen auch in vielen mittleren und kleineren Städten, unbezahlbar werden.

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Immer wieder hat er darauf hingewiesen, dass die Reform des Bodenrechts ein bis heute nicht erfüllter Auftrag aus der bayerischen Verfassung und aus dem Grundgesetz ist. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 1967 festgestellt: "Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen. Eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern."

Das war eines seiner Lebensthemen, das ihn nach seinen Erfahrungen als Münchner Oberbürgermeister nie mehr losgelassen hat. Grund und Boden für Wohnungen sollten, das war seine feste Überzeugung, zu einem möglichst großen Anteil in die öffentliche Hand gehören.

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Ich bin fest davon überzeugt, dass Hans-Jochen Vogel Recht hat. Wenn Krankenschwestern und Feuerwehrleute, Polizisten und Paketauslieferer dort, wo sie arbeiten, keine Wohnung finden können, die für sie bezahlbar ist, dann ist etwas faul in unserer Gesellschaft. Das ist gefährlich für den sozialen Zusammenhalt und auch für die Demokratie.

Deshalb brauchen wir in Deutschland einen Pakt für bezahlbares Wohnen. Wir brauchen mehr Investitionen von Kommunen, Ländern und dem Bund in öffentlich geförderte Wohnungen - und private Investoren müssen auch ihren Beitrag leisten.

Die Ideologie der Privatisierung - "privat vor Staat" - hat lange Jahre dazu geführt, dass Städte und Gemeinden, Länder und der Bund Wohnungen in großem Stil an Private verkauft haben. Das war ein gravierender Fehler, unter dessen Folgen viele Menschen heute noch leiden.

Walter-Borjahns: Pro Planungswertausgleich

In den letzten Jahren ist das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung von bezahlbaren Wohnungen erfreulich gewachsen. Der Bund, viele Länder und Kommunen engagieren sich wieder. Trotzdem geht die Zahl öffentlich geförderter Wohnungen mit bezahlbaren Mieten noch immer zurück, weil weniger neue Wohnungen mit öffentlicher Förderung gebaut werden als bestehende Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Deshalb müssen Kommunen, Länder und der Bund gemeinsam dafür sorgen, dass die Zahl der öffentlich geförderten "vier Wände" wieder steigt, deutlich steigt.

Die Baulandpreise sind im Bundesdurchschnitt zwischen 1960 und 2017 um 2.900 Prozent gestiegen und in großen Städten noch weit stärker. Die Kommunen sollten stärker als bisher die Möglichkeit bekommen, Spekulationsgewinne aus Geschäften mit Grund und Boden abzuschöpfen. Der seit Jahrzehnten diskutierte Planungswertausgleich, wenn etwa eine Gemeinde aus Ackerland Bauland macht, ist dafür ein geeignetes Instrument.

"Hans-Jochen Vogel - Sozialdemokrat und Christ"

Ich bin mit Hans-Jochen Vogel davon überzeugt, dass wir den Umgang mit Grund und Boden stärker am Gemeinwohl orientieren müssen.

Das kommunale Eigentum an Grund und Boden sollte deshalb ausgeweitet werden, kommunales Bauland sollte nur noch im Wege der Erbpacht befristet aus der Hand gegeben werden, und der Bund sollte die Kommunen bei dieser Aufgabe unterstützen, indem er zum Beispiel ihre rechtlichen Möglichkeiten stärkt und ihnen Grundstücke im Eigentum des Bundes für öffentliche Zwecke wie den Bau bezahlbarer Wohnungen günstig überlässt.

Hans-Jochen Vogel sah den handlungsfähigen Staat in der Verantwortung - als Sozialdemokrat und als Christ. In diesem Sinne erinnere ich mich dankbar an Hans-Jochen Vogel, der in vielen Aufgaben und Ämtern seiner Verantwortung für die Menschen gerecht geworden ist und sich bis zuletzt eingemischt hat im Sinne des Gemeinwohls.

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7 Kommentare
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  • am 03.02.2021 14:11 Uhr / Bewertung:

    "hellwach, präzise und bestens informiert" - es ist schade, dass die Nachfolger Vogels in der SPD nicht die gleichen Eigenschaften aufweisen, dann wäre die Partei möglicherweise wieder wählbar!

  • am 03.02.2021 10:55 Uhr / Bewertung:

    Vogel war zweifellos ein Mann mit Grundsätzen - aber auch mit sehr persönlichen Vorstellungen und scheiterte selbst an seinen Vorsätzen, weil er sie nicht einmal umzusetzen versuchte. Keine Umgehungsstraße von München, keine Ausladung des Hauptbahnhofs, keine Ausladung des Flughafens, kein Wohnungshochbau. Ich war von Ihm nach Loccum eingeladen, "Die mögliche Gerechtigkeit" - das war alt so, wie sich das Klein-Hänschen vorstellt. In einem Staat mit bürgerlichen Strukturen dem Häuscheneigner sein Haus wegnehmen? Geht nicht!!!! Doch bin ich davon überzeugt, das wollte und meinte er auch nicht - aber darüber reden ist schön.

  • am 04.02.2021 23:11 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von

    Meines Wissens wart es Vogels Nachfolger, Georg Kronawitter, der die Hochbauten in München nicht wollte. Vogel hat in seiner Amtszeit einige Hochhaus-Viertel in München geschaffen (z.B. Olympisches Dorf), die grund-solide gebaut und bis heute nicht abgerissen wurde. Andererseits sind die sog. Kronawitter-Bauten (1972-1993) heute im allgemeinen alle reif für die Abriss-Birne (Billig-Bauten mit viel Pfusch am Bau). Gerade Kronawitter gilt heute als einer der korruptesten Nachkriegspolitiker Münchens, in Sachen Spez'l-Wirtschaft, Bau, Bauland (Terrafinanz-Skandal) und auch 'gekauften' Baugenehmigungen. In seine Amtszeit fällt auch die Phase der stärksten Steigerung der Bauland-Preise (und auch der Mieten) in München - Politisch gewollte, und bewusst herbeigeführte Steigerung! (Wer nicht so hoch baut, der braucht mehr Fläche, die ihm die Stadt dann verkauft - mit der Baugenehmigung mit dazu)

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