noPag-Demo in München: Reichlich Kritik für Markus Söder

Mehr als 30.000 Menschen protestieren gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Die CSU lässt das trotzdem unbeeindruckt.
Myriam Siegert |
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Auch Odeonsplatz und Ludwigstraße waren voller Menschen. Im kleinen Bild: Ein Plakat, adressiert an Ministerpräsident Markus Söder.
Felix Hörhager/dpa/AZ/my Auch Odeonsplatz und Ludwigstraße waren voller Menschen. Im kleinen Bild: Ein Plakat, adressiert an Ministerpräsident Markus Söder.

München - Erst 20, 30, 40, 50, dann 70.000 – die Schätzung wie viele Menschen am Donnerstag gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG), genauer gesagt: gegen eine Novellierung des bayerischen Gesetzes, auf die Straße gegangen sind, wurde stetig nach oben korrigiert. Die Polizei sprach von 30.000, die Veranstalter von 40.000 Teilnehmern.

Sie kamen in Sneakers, Haferlschuhen und Jesuslatschen, mit Transparenten, gebastelten Schildern oder Einhornluftballon. Manche alleine, manche in Gruppen, viele brachten ihre Kinder mit. Der Menschenstrom in Richtung Marienplatz riss und riss nicht ab.

Vom Teenie bis zum Pensionär, wer dabei war, überlegte unweigerlich, wann er schon einmal einen so großen Querschnitt der Bevölkerung auf einmal gesehen hat – und wann überhaupt je eine so große Demonstration, (erst recht in München). In den 80ern gegen Wackersdorf, meinte der eine, 2011 gegen Atomkraft die andere, so voll ist es sonst nur, wenn die Bayern gewinnen, sagte der Dritte. (Lesen Sie hier den AZ-Kommentar zur Demo: Ein veritabler Aufstand)

noPAG-Demo: Erwartungen der Veranstalter wurden übertroffen

Feststeht: Was als Großdemo angekündigt war, wurde eine Riesengroß-Demo. Trotz gut 30.000 Zusagen vorab auf Facebook rechneten die Veranstalter eher mit an die 7.000. Am Vormittag wurde dann mitgeteilt, man werde die Auftaktkundgebung am Marienplatz kurz halten, man gehe davon aus, dass es sonst sehr lange dauere, bis sich der Zug in Bewegung setze.

Dann ging es durchs Tal über den Altstadtring, an der Staatskanzlei vorbei zum Odeonsplatz. Und das so zeitverzögert, dass mancher dachte: "Lässt man den Zug etwa nicht loslaufen?" Von wegen: Während die Ersten schon fast am Ziel waren, war ein großer Teil noch gar nicht losgelaufen. Gut eineinhalb Stunden dauerte es, bis sich der Marienplatz leerte. Dazwischen: Ein durchgehender Zug um die halbe Altstadt.

Reichlich Kritik an Markus Söder

Wegen der Wärme fing die Feuerwehr an der Galeriestraße an, Wasser an die Demonstrierenden auszugeben. Auf der Ludwigstraße entwickelte sich ein Straßenfest. Überhaupt, die Stimmung war trotz des vielen Herumstehens und Gedränges durchweg friedlich und gut gelaunt. Auch die Polizei bestätigte via Twitter: "Wenn ihr aus Richtung Im Tal Rauch aufsteigen seht, ist das lediglich ein Lautsprecherwagen mit einer Nebelmaschine. Keine Gefahr! Keine Ausschreitungen!"

Liveblog: 30.000 Demonstranten in der Innenstadt

Dementsprechend verzögerte sich die Abschlusskundgebung am Odeonsplatz mit Rednern aus dem Bündnis gegen das Gesetz. Das besteht 95 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien, so Laura Pöhler, eine der Sprecherinnen. Vom Fußball-Fanprojekt bis zur FDP, vom Hanfverband bis zur Gewerkschaft Verdi.

"Freistaat statt Polizeistaat" oder "I PAGs ned", die Slogans des Protests waren kreativ – und wendeten sich meist gegen einen – Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU): "Obacht Söder, jetzt samma grantig." Oder: "Söder ist ein Blöder".

Die Redner des breiten Parteienbündnisses, aus SPD, Grünen, Linke, FDP, Mut und Piraten versuchten es sachlicher: "Wer die Sicherheit gegen die Freiheit ausspielt, der nimmt uns am Ende beides", sagte Natascha Kohnen (SPD). Ihr Fraktionsvorsitzender Markus Rinderspacher hatte schon im Vorfeld mitgeteilt: "Wir alle wollen einen starken und handlungsfähigen Staat mit einer guten Polizei, die ausreichend Personal hat, aber wir sind gegen einen Überwachungsstaat in Bayern." Innenminister Herrmann blieb eher ungerührt: "Mit den Neuerungen im Polizeirecht können wir für mehr Sicherheit, stärkere Bürgerrechte und einen besseren Datenschutz sorgen."


Polizeiaufgabengesetz: Das sind die Kritikpunkte

Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) erweitert die Befugnisse der Polizei deutlich, Kritiker sagen, so verschwimmen die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten.

Folgende konkrete Punkte lehnen die Gegner des PAG ab:

  • Telefone sollen abgehört und Post geöffnet werden dürfen – auch ohne Anzeichen einer Straftat.
  • Der Einsatz von V-Leuten soll verstärkt werden. Freunde und Nachbarn könnten, so die Kritik, als Spitzel eingesetzt werden.
  • Quellen von Journalisten und Mandanten von Juristen sind nach neuem PAG nicht mehr vollständig geschützt.
  • Das neue PAG erlaubt das Durchsuchen sogenannter Cloud-Speicher.
  • Einsatz von Drohnen und Bodycams.
  • Automatisierte Videoüberwachung, etwa mit intelligenter Mustererkennung – Stichwort Gesichtserkennung.
  • Der Polizei soll ermöglicht werden, durch direkten Zugriff auf private Computer Online-Durchsuchung durchzuführen.
  • Das PAG erlaubt den Einsatz von Spionagesoftware (Staatstrojaner).
  • DNA-Spuren an Tatorten sollen so analysiert werden, dass Rückschlüsse auf Augen-, Haar- und Hautfarbe gezogen werden können. Damit würden Zufallsfunde von Genmaterial zur Grundlage der Suche nach Verdächtigen, so die Kritiker.

AZ-Umfrage: Warum sind Sie heute hergekommen?

Sophie Schwarz (28), arbeitet in einer Personalabteilung: "Es ist wichtig, gegen das Polizeiaufgabengesetz zu demonstrieren. Es ist ein Anfang wie damals ‘33. Alles, was das neue Gesetz beinhaltet, braucht es nicht. Wir haben Gesetze, die völlig ausreichen. Man muss sie nur korrekt anwenden."

Noah Behr (35), Ergotherapeut in Elternzeit: "Ich demonstriere gegen das neue Gesetz, weil es nicht nötig ist. Die Polizei hat bereits genug Befugnisse, was da geplant ist, ist ein zu großer Eingriff ins Privatleben. Ich habe Angst, was danach weiter passiert."

Eva Gauck (53), selbstständig: "Ich bin heute hierher gekommen, weil ich gegen dieses neue Polizeiaufgabengesetz bin. Es schränkt die Freiheit der Menschen ein. Etwa, dass Leute einfach nur auf Verdacht eingesperrt werden können. Das geht doch einfach nicht."

Franz Koch (69), im Ruhestand: "Es schadet überhaupt nicht, hier präsent zu sein. Der Begriff der drohenden Gefahr ist sehr gefährlich, vor allem festzulegen, wo da die Grenzen sind. Wir haben doch Gesetze, die völlig ausreichend sind. Da kann man ruhig einmal ein bisschen Flagge zeigen."

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