Noch wenige Tage bis zur Wiesn: So fing vor 200 Jahren alles an
Die Wiesn als Fest für die Einheit der Bayern: Bei der Hochzeitsfeier von Ludwig und Therese 1810 sollten sich Franken, Schwaben und Altbayern näher kommen.
Es fehlte an nichts beim großen Hochzeitsfest, der Hof ließ sich nicht lumpen. 2000 Portionen Braten, 16000 Würste, 50 Zentner Käse, 32000 Brote, dazu 432 Eimer braunes Bier und 8000 Maß Weißbier – das Volk sollte nicht darben. Kronprinz Ludwig, der spätere König Ludwig I., hatte gerade Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen geheiratet. Dass es sich dabei um ein Ereignis von politisch höchster Wichtigkeit handelte, sollte ins Bewusstsein der Untertanen dringen.
Das erste Oktoberfest, das im September 1810 gefeiert wurde, war viel mehr als nur eine vollsaftige Massengaudi, es handelte sich um nichts weniger als um eine Art Staatsakt – das jedenfalls war die Absicht der Regisseure in der Residenz der Wittelsbacher. Sie nahmen die glamourös inszenierte Hochzeit des Kronprinzen zum Anlass, um dem neu gegründeten Königreich Bayern einen glanzvollen Auftritt zu verschaffen.
Es war gerade mal vier Jahre her, als Napoleon seinen Plan durchgesetzt hatte und das Land der Altbayern im Zusammenspiel der europäischen Mächte machtpolitisch aufzuwerten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde am 1.Januar 1806 aus dem Kurfürsten Max Joseph IV. König Maximilian I. Aber es änderte sich nicht nur der Titel. Vor allem der Machteinfluss der Wittelsbacher Fürsten verstärkte sich deutlich. Denn zu den altbayerischen Kernlanden waren weite Gebiete Frankens und Schwabens hinzugekommen. So hatte es der Kaiser der Franzosen verfügt. Der preußische König und der Kaiser in Wien, denen ein gestärktes und vergrößertes Bayern keineswegs in den Kram passte, durften nur noch zähneknirschend abnicken.
In den bisher selbstständigen kleineren Fürstentümern, Grafschaften und Gebietsherrschaften der schwäbischen und fränkischen Regionen brach auch nicht gerade Jubel aus über die von Napoleon verfügte Neuordnung. Doch was blieb den Betroffenen schon anderes übrig, als die robust durchgeführte Gebietsreform zu schlucken? Von Augsburg bis Kempten, von Fürth bis Aschaffenburg ging ein Murren durchs Land. Die neuen Untertanen der Wittelsbacher dachten zwar nicht an Revolution, aber ihren Unmut ließen sie dennoch spüren. Ihr meist harmoniebedürftiger neuer Landesherr war stark daran interessiert, für innerbayerische Entspannung zu sorgen. Um die zu erreichen, erschien ihm das Oktoberfest als ein geeignetes Instrument. Bei viel Bier, reichlich Essen und einem Pferderennen sollten sich Altbayern, Franken und Schwaben näher kommen, damit so etwa wie ein bayerisches Nationalgefühl entsteht. Für den renommierten Historiker Heinz Gollwitzer hatte das Oktoberfest bei seiner Gründung „die Funktion einer Art von inoffiziellem bayerischen Nationalfest“.
Viel Bier ist geflossen bei der Belebung des bayerischen Nationalgefühls, deshalb sprechen Spötter auch vom bayerischen Nationalrausch. Doch wie erlebte eigentlich das gefeierte Brautpaar seine Hochzeit? Die überlieferten Nachrichten sprechen von einer sehr verhaltenen Glückseligkeit. Historiker Gollwitzer charakterisiert Kronprinz Ludwig als einen „leidlich glücklichen Hochzeiter“.
Therese, die Braut aus Sachsen und Bayerns künftige Königin, galt als Schönheit, ihr Schwiegervater Maximilian I. soll von ihrer Erscheinung so beeindruckt gewesen sein, dass er bei der ersten Begegnung vor Glück in Tränen ausbrach. In der Phase des ersten Verliebtseins sah sie souverän darüber hinweg, dass Ludwig alles andere als ein attraktiver Mann war. Sein Gesicht trug die Spuren von Blattern, die er als Kind hatte. Seine Bewegungen waren linkisch. Wenn er sprach, geriet er leicht ins Stottern. Das änderte nichts daran, dass er zu einem der bedeutendsten bayerischen Monarchen wurde.
„Ich konnte nicht hochzeitlich verloren sein in Wonne“
Die fürstliche Hochzeitsnacht wurde zum Desaster. Therese litt so stark an Zahnschmerzen, dass sie den Hofball vorzeitig verlassen musste. Jungehemann Ludwig verzichtete darauf, mit ihr das Bett zu teilen, er feierte allein weiter.
An seine Schwester in Wien schrieb er nach der verkorksten Nacht die Zeilen: „Die Seele Deines Bruders fasst nicht in Taumel. Ich konnte nicht hochzeitlich verloren sein in Wonne.“ Der so viel beschworene bayerische Nationalrausch hatte ihn wohl überwältigt. Martin Schäfer
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