Nichtwählen voll trendy
MÜNCHEN - Sie sind gefürchtet, umworben – und mittlerweile die größte Partei: die Nichtwähler. Nicht wählen liegt „voll im Trend“, sagt der Wahlforscher Michael Eilfort. Und die Zahl wird seit Jahren bundesweit immer größer.
Bei der Stadtratswahl 2002 ging fast jeder zweite Münchner (49 Prozent) nicht zur Wahl. Die Nichtwähler sind aber auch für die Politiker nach Niederlagen eine willkommene Ausrede. „Unsere Wähler sind zuhause geblieben.“
Dabei gibt es in München eine eindeutige Wahlhierarchie: Die Meisten gehen noch zur Bundestagswahl (Verweigererquote 2002: 20 Prozent), dann folgt die Landtagswahl 2003 (44,6 Prozent Nichtwähler), dann die Stadtratswahl (2002: 49 Prozent Unbeteiligte). Brutal war es bei Europawahlen in München: 2004 verweigerten sich 61 Prozent – 20 Prozent mehr als 1999.
Wer sind die Nichtwähler?
Es gibt eine Faustformel, die auch bei der vorigen Stadtrats- 2002 und Bundestagswahl 2002 in München zutraf (nur darüber gibt es Aussagen): Je niedriger der soziale Status, um so niedriger die Wahlbeteiligung.
Die niedrigste Wahlbeteiligung gab es damals in: Milbertshofen-Am Hart, Feldmoching-Hasenbergl, Obergiesing und Schwanthalerhöhe. Die höchste in: Trudering-Riem, Allach-Untermenzing, Pasing, Bogenhausen und im Raum Solln-Fürstenried.
Erschreckend: Vor allem die Jungwähler bleiben weg. Bei der Bundestagswahl 2002 ging in München nach Angaben des statistischen Amtes ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen nicht zur Wahl. Das waren 34,4 Prozent der Männer und 37,6 Prozent der Frauen.
Interessant: Auch bei den Frauen ab 60 nimmt der Anteil der Abstinenzlerinnen zu. Die höchste Wahlbeteiligung gab es damals im Alter zwischen 35 bis 44 Jahren.
Was macht Münchner zu Nichtwählern? Wer sind sie?
Protestwähler: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“ Und jene, die enttäuscht worden sind. Politikverdrossenheit und Ansehens- und Attraktivitätsverlust der Politik.
Unentschlossene: Die Parteien haben immer weniger Unterschiede. Und: „Ich kenne mich da nicht aus.“
Rechner: „Meine Stimme bringt nichts.“ Dabei entschieden bundesweit 7000 Stimmen die Bundestagswahl ’02.
Singles: Die von keinem Familienverband mit zur Wahl genommen werden.
In München: „Der Ude wird’s doch sowieso ...“
Vor allem aber stellen Politik-Beobachter fest: Es ist „trendy“, nicht zu wählen. Und das hat inzwischen auch Gebildete, Gutsituierte und lebenslustige Hedonisten erreicht.
OB Ude klagt: „Ich kann verstehen, dass man über die Politik enttäuscht ist. Aber ich werde fuchsteufelswild, wenn man Nichtwählen als eine besonders kritische und sensible Geisteshaltung preist.“
Forscher Eilfort sagt: „Wer nicht wählt, hilft am meisten denen, die er nicht wählen würde.“
Willi Bock
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