Interview

Neujahrsinterview: Herr Reiter, wie wahrscheinlich ist eine Wiesn 2021?

Im großen AZ-Interview blickt OB Dieter Reiter aufs Jahr 2021, die neue Sparsamkeit im Rathaus, Probleme mit den Grünen - und beantwortet die Frage, wie wahrscheinlich heuer eine Wiesn ist.
von  Felix Müller, Christina Hertel
"Wir werden im Sozialbereich keinen Cent sparen": Mit diesem Versprechen geht OB Dieter Reiter ins neue Jahr.
"Wir werden im Sozialbereich keinen Cent sparen": Mit diesem Versprechen geht OB Dieter Reiter ins neue Jahr. © Daniel von Loeper

AZ-Interview mit Dieter Reiter: Der 62-jährige SPD-Politiker ist seit 2014 Oberbürgermeister der Stadt. Seit 2020 regiert er mit den Grünen.

AZ: Herr Reiter, 2021 wird im Rathaus ein Spar-Jahr. Wie froh sind Sie, jetzt keinen Wahlkampf führen zu müssen?

DIETER REITER: Wir haben die München-Zulage für die städtischen Beschäftigten verdoppelt, die Gebühren für die Kinderbetreuung abgeschafft, diese Dinge sind schon eingepreist und die behalten wir bei. Aber klar: Natürlich ist es für Politiker angenehmer, ein Finanzpolster zu haben und nicht bei jeder Maßnahme schauen zu müssen, ob man sie sich leisten kann. Jetzt sind wir in einer anderen Situation und müssen uns nach der Decke strecken. Unser Haushalt 2021 ist sehr schlecht, da fehlen allein Hunderte Millionen an Gewerbesteuereinnahmen. Deshalb werden wir ganz genau prüfen, was wir uns noch leisten können und wollen.

Kurz vor Weihnachten am Rathaus-Schreibtisch: Dieter Reiter.
Kurz vor Weihnachten am Rathaus-Schreibtisch: Dieter Reiter. © Daniel von Loeper

Reiter: "U-Bahn-Ring: Da fehlen mir Fantasie und Optimismus"

Ist der Gasteig so ein Beispiel, bei dem man am Ende sagen wird: Wir richten ein bisschen die Elektronik, mehr Sanierung ist doch nicht drin?

Nein, wir sind da schon zu weit in der Planung und Realisierung, beispielsweise ist das Interim fast fertig - da macht ein Stopp oder eine radikale Reduzierung der Planung keinen Sinn mehr. Unsere Aufgabe ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass der Kostendeckel unbedingt eingehalten wird, damit wir keine zweite Elbphilharmonie bekommen. Unabhängig vom Gasteig ist klar: Meine Fantasie, wie wir "Nice-to-have-Projekte" noch finanzieren können, hält sich derzeit in engen Grenzen.

Es wird aber doch nicht nur um nette Zusatzangebote gehen, sondern zum Beispiel auch ganz hart um die Verkehrsinfrastruktur. Man kann sich gerade eigentlich nicht mehr vorstellen, dass wirklich weitere U-Bahn-Linien gebaut werden, oder?

Die U5-Verlängerung ist ja schon im Bau, da werden wir sicher nicht aufhören. Ansonsten werden wir Tram- und Buslinien weiter ausbauen und auch neue U-Bahn-Linien planen. Das braucht ja alles viel Vorlauf. Nur so kann eine Verkehrswende vorangetrieben werden.

Glauben Sie, dass es irgendwann den U-Bahn-Ring geben wird?

Das wäre wunderbar, aber so viel Fantasie und Optimismus habe ich derzeit dann doch nicht.

Ihre Rathaus-SPD hat diesen Optimismus offenbar.

Das ist schön. Ich persönlich hätte lieber den S-Bahn-Ring. Er könnte auf bestehenden Gleisen laufen und wäre viel schneller realisierbar als ein U-Bahn-Ring. Mir hat der Freistaat schon vor sieben Jahren versprochen, dass der S-Bahn-Nordring kommt - und heute sind wir keinen Schritt weiter. Für einen U-Bahn-Ring müssten wir schon im Lotto gewinnen.

Könnten die Folgen der Corona-Krise in der Verkehrspolitik auch Entlastung bringen? Wenn viele Menschen aus dem Umland auf Dauer Homeoffice machen und nicht mehr jeden Tag nach München reindrängen?

Wir werden erleben, dass viele Besprechungen auch in Zukunft per Videokonferenz stattfinden werden und damit weniger Verkehrsbelastung entstehen wird. Das macht vieles einfacher, zum Beispiel werde ich künftig eher nicht mehr für eine Stunde Gespräch im Kanzleramt nach Berlin fliegen. Diese Entwicklung hilft dem Klima und es hilft verkehrspolitisch. Genauso hilft auch Homeoffice, Pendlerströme zu reduzieren.

Im Dezember zwei Wochen vorsorglich in Quarantäne: OB Dieter Reiter regiert vom heimischen Wohnzimmertisch aus.
Im Dezember zwei Wochen vorsorglich in Quarantäne: OB Dieter Reiter regiert vom heimischen Wohnzimmertisch aus. © privat

Reiter: "Wir müssen die sozialen Folgen der Krise abmildern"

Wie ist das in der Verwaltung?

60 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich Homeoffice mehr oder weniger dauerhaft vorstellen. Ich glaube, man wird nicht ganz aufs Büro verzichten, aber vielleicht fahren viele nur noch zwei, drei Mal pro Woche. Wir könnten so übrigens auch Geld sparen, weil wir weniger Bürogebäude anmieten müssten. Insgesamt will ich die Arbeit mehr zu den Menschen bringen und nicht mehr nur die Menschen zur Arbeit. Dazu bin ich auch mit einigen Unternehmen im Gespräch, etwa mit BMW.

Sie fänden gut, wenn zum Beispiel BMW eigene Büros in Städten im Münchner Umland mietet?

Zum Beispiel, ja. Und eben auch viel Homeoffice ermöglichen würde. Ich habe meiner Verwaltung auch den Auftrag gegeben zu prüfen, was bei uns da in Zukunft möglich ist.

Die Corona-Krise trifft die Menschen sehr unterschiedlich hart. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die soziale Spaltung auch in dieser reichen Stadt zunimmt?

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in München - Gott sei Dank! - weiterhin viel ausgeprägter als in manchen anderen Städten. Aber natürlich müssen wir die sozialen Folgen der Krise im Auge behalten und wir versuchen alles, um sie abzumildern.

Drohen da in dieser Haushaltslage Konflikte mit dem grünen Koalitionspartner nach dem Motto: Die SPD will mehr Sozialarbeiter, die Grünen pochen auf den neuen Radweg?

Wir werden im Sozialbereich keinen Cent sparen, das ist klar. Das sehen die Grünen aber nicht anders. Und wir wollen auch in der Radl-Politik weitermachen und den Klimaschutz weiter ernst nehmen.

Interview per Videoschalte: Rathausreporterin Christina Hertel (l.) und Lokalchef Felix Müller im teils offensichtlich heiteren Gespräch mit dem OB.
Interview per Videoschalte: Rathausreporterin Christina Hertel (l.) und Lokalchef Felix Müller im teils offensichtlich heiteren Gespräch mit dem OB. © Daniel von Loeper

Was wird 2021 Ihr wichtigstes Projekt?

Den sozialen Zusammenhalt zu erhalten, das müssen wir weiter hinbekommen. Im Schulbereich müssen wir dafür sorgen, dass Homeschooling nicht dazu führt, dass ein Teil der Schüler relativ gut weiter lernen kann, während andere - zum Beispiel mangels Ausstattung - weiter zurückfallen. Und natürlich wird das Thema Impfen gegen Corona für uns eine große logistische Herausforderung. Etwa 120 000 Menschen gibt es in dieser Stadt, die wegen ihres Alters oder weil sie im medizinischen oder pflegerischen Bereich beschäftigt sind, vorrangig geimpft werden sollen. Und allen anderen müssen wir transparent erklären, warum sie noch nicht an der Reihe sind.

Ist 2021 eigentlich schon das Jahr, in dem Sie öffentlich erklären, dass Bürgermeisterin Verena Dietl Ihre Wunsch-Nachfolgerin ist - und Sie sich nun häufiger öffentlich zurückhalten, damit sie die Bühne bekommt, um sich bekannter zu machen?

(lacht) Glauben Sie mir, darüber denke ich derzeit keine Sekunde nach. Fragen Sie mich in fünf Jahren noch einmal. Es ist ja noch nicht mal das erste Jahr dieser Amtszeit vorbei!

Es wird Ihre letzte sein. Kann das auch Freiheit geben, weil Sie einfach regieren können ohne jede Rücksicht darauf, nochmal gewählt werden zu müssen?

Natürlich gibt das eine gewisse Unabhängigkeit. Ich kann mich bei Entscheidungen noch mehr darauf verlassen, was mir mein Bauchgefühl und der gesunde Menschenverstand sagen. Und dabei insbesondere berücksichtigen, was jede Entscheidung für die normale Bevölkerung bedeutet. Diese Sicherheit hilft auch, etwas gegen Widerstände durchzusetzen. Ein gutes Gefühl und eine schöne Aussicht auf meine Rest-Amtszeit. Jedenfalls für mich (lacht).

Worauf freuen Sie sich 2021?

Ich freue mich echt darauf, irgendwann wieder meine Bürgersprechstunde anbieten zu können. Dieser regelmäßige Kontakt mit jeweils 200, 300 Bürgerinnen und Bürgern - das fehlt mir echt. Ansonsten freue ich mich wie alle Münchner, wenn ganz normale Sozialkontakte wieder möglich sind, wir wieder ins Kino, ins Theater, zu Konzerten oder in den Biergarten gehen können. Und ich würde mich sehr mit den Münchnern freuen, wenn wir 2021 wieder ganz normal Weihnachten und Silvester feiern können.

Stand heute: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie 2021 auf der Wiesn das erste Fass anzapfen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich sehe derzeit eine 50-Prozent-Chance fürs Oktoberfest.

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