Neujahrsgespräch mit OB Dieter Reiter: "Einfach nur noch ärgerlich"

München - Die Stadträte sind zuletzt viel mehr ins Homeoffice ausgewichen. Doch der Chef hält im Rathaus die Stellung. Aus seinem Büro im zweiten Stock regiert Dieter Reiter die Stadt. Hier empfängt er die AZ zum Gespräch - zur Frage, wie es nun mit Corona weitergeht und mit der Stadt-Politik im neuen Jahr.
AZ: Herr Reiter, lassen Sie uns noch einmal kurz auf das Jahr zurückblicken. Die Bilder haben sich wiederholt: Im Februar gab es lange Schlangen vor den Impfzentren, im November ging der Impfstoff aus. Warum wurde niemand schlauer?
DIETER REITER: Im Sommer mussten wir unser Impfzentrum auf Anweisung des Freistaats herunterfahren, weil viele Menschen geimpft waren und die Hausärzte übernehmen sollten. Und im Herbst sollten wir den Betrieb dann schnell wieder hochfahren. Das geht natürlich nicht über Nacht, weil wir nicht so schnell Personal finden. Die Gleichen, die jetzt im Winter die Schlangen kritisierten, hätten im Sommer wohl auch kritisiert, wenn wir für viele Millionen Euro das Impfzentrum offengelassen hätten, obwohl kaum jemand kam.
OB Reiter: "München ist eine Großstadt, obwohl es nicht immer so wirkt"
Der Sommer war geprägt von jungen Menschen, die draußen feiern - und von Anwohnern die sich darüber beschweren.
Das war eine schwierige Diskussion. Auf der einen Seite hatte ich volles Verständnis dafür, dass junge Menschen wieder feiern wollten. Andererseits waren an manchen Plätzen und Straßen einfach viel zu viele feiernde Menschen versammelt - das ist in Zeiten einer Pandemie einfach problematisch.
Anwohner und Lärm sind doch nicht erst seit Corona ein Streitthema.
Das stimmt, am Gärtnerplatz gibt es das Thema seit Jahren. Hier haben wir versucht, mit dem Einsatz von Streetworkern zu deeskalieren. Ich befürchte nur, dass es den Anwohnern immer noch nicht gefällt. Aber da muss ich auch sagen: München ist nun mal eine Großstadt, auch wenn es nicht immer den Eindruck macht.

"Starke Grüne haben sich schon letztes Jahr abgezeichnet"
Der große Sieger des Jahres 2021 war die SPD. Aber nicht in München. Hier machten Grüne und CSU bei der Bundestagswahl das Rennen unter sich aus. Wie erklären Sie sich das?
In München gibt es ein gut situiertes Bildungsbürgertum, das durchaus ökologisch interessiert ist. Deshalb sind die Grünen hier stärker geworden. Das hat sich bei der Kommunalwahl schon abgezeichnet, und das war bei der Bundestagswahl nicht anders.
Was heißt das für die Münchner SPD?
Meine Partei muss sich überlegen, wie sie den Menschen wieder deutlich machen kann, dass die SPD seit Jahrzehnten das Rathaus gut regiert und maßgeblich für den Erfolg und das gute soziale Miteinander in der Stadt verantwortlich ist. Wenn ich meine eigenen Ergebnisse im Vergleich zu denen der anderen Oberbürgermeister-Kandidatinnen und -Kandidaten anschaue, kann das auch klappen.
Schafft das ein neuer SPD-Chef Christian Vorländer oder doch ein anderer Bewerber?
Bei der Münchner SPD wird es eine Veränderung geben, und ich finde das spannend. Und grundsätzlich ist ja nichts gegen einen Wettbewerb, um die besten Konzepte einzuwenden.
Reiter: "Olaf Scholz weiß, wie eine Großstadt funktioniert"
Kann ein kühler norddeutscher Kanzler Olaf Scholz auch für die Münchner SPD ein Zugpferd sein?
Kann er. Das haben wir auf seiner Wahlkampfveranstaltung diesen Sommer auf dem Marienplatz erlebt. So viele Menschen habe ich zuletzt 1998 gesehen, als Gerhard Schröder hier war. Zugegebenermaßen: Olaf Scholz ist ein Hanseat und sein Humor eher trocken, wenn er zum Beispiel seine Pressekonferenz mit den Worten beendet: "So - und jetzt können wir wieder was arbeiten."

Scholz war lange Erster Bürgermeister von Hamburg. Was kann das München bringen?
Das halte ich auf jeden Fall für ein Pfund. Olaf Scholz weiß, wie eine Großstadt funktioniert. Das ist mir lieber als ein Bundeskanzler, der bloß den klassischen Politiker-Dreisprung Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal hinter sich gebracht hat.
Auf das neue Bauministerium wartet viel Arbeit
Doch gerade beim Mieterschutz hat sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen kaum durchgesetzt. Wie enttäuscht sind Sie darüber?
Beim Mieterschutz brauchen wir viel mehr. Dass die Kappungsgrenze etwas gesenkt wurde, wird niemandem in München nachhaltig helfen. Außerdem muss sich das neue Bauministerium dringend mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auseinandersetzen, das besagt, dass wir so gut wie keine Vorkaufsrechte mehr ausüben dürfen. Das Bauministerium muss das Thema Mieterschutz wieder ernst nehmen und echte Instrumente schaffen, damit die Mieten einige Jahre am besten gar nicht steigen. Ohne die FDP hätten wir sicher mehr im Koalitionsvertrag dazu gesehen.
Aha. Vor der Wahl haben Sie doch noch betont, dass Sie kein Rot-Grün-Rot wollen.
Das hatte aber andere Gründe. Ich will zum Beispiel nicht, dass die Bundesrepublik aus der Nato austritt. Wenn ich die Linken oft höre, muss ich mich manchmal schon sehr wundern. Mit der FDP muss man sich natürlich auch zusammenraufen.
Reiter: "Die Planung für Großprojekte muss schneller gehen"
Zurück zur Münchner Politik. Auf welchen Beschluss freuen Sie sich 2022 besonders?
Ich freue mich, wenn beim öffentlichen Nahverkehr etwas vorangeht. Denn das dauert mir oft viel zu lange. Die Tram-Westtangente haben wir jetzt endlich wieder ein Stück weiter auf den Weg gebracht. Aber auf den Spatenstich müssen wir leider immer noch warten. Und wir reden ja nicht von Reisen zum Mond, die wir da vorhaben. Ich finde es einfach ärgerlich, dass alleine die Planung so lange dauert.
Welche Fehler haben da Ihre eigenen Leute gemacht?
Wenn Sie damit die SPD meinen: keine. Meine Partei hat sich zur Tram-Westtangente mehrfach klar positioniert. Leider gibt es dabei viele Beteiligungsprozesse und Abstimmungen, die abgearbeitet werden müssen. Wir müssen deshalb die Planungen für Großprojekte dringend beschleunigen. Da ist der Gesetzgeber im Bund gefragt. Auch bei der Zweiten Stammstrecke dauert alles viel zu lange. Das, was am Anfang geplant wurde, entspricht oft schon gar nicht mehr den aktuellen Vorschriften.
"Wir sind bereit das Sechzger-Stadion umzubauen"
Sie haben vor Jahren mal gesagt, dass sich vielleicht noch mehr Menschen dafür interessieren, wo die Löwen spielen, als für den künftigen Konzertsaal. Müssen Sie die Löwen nun bald enttäuschen, wenn es mit dem Stadionausbau doch nicht klappt?
Davon gehe ich nicht aus. Die Löwen haben verstanden, dass wir noch Unterlagen brauchen, um offene Fragen zu klären. Dann wird der Stadtrat hoffentlich im ersten Quartal 2022 den Umbau beschließen. Wir sind bereit, im Sechzger-Stadion zusätzliche Plätze zu bauen und Millionen an Steuergeldern dafür auszugeben. Deshalb finde ich es absurd, wenn der Verein behauptet, wir würden nicht auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen reden.
Letztes Jahr haben Sie 50:50 gewettet, dass sie wieder das Oktoberfest anzapfen dürfen. Wie ist Ihre Prognose für dieses Jahr?
Was die weltweite Pandemielage betrifft, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Situation bis dahin komplett entspannt hat. Einen unkontrollierten Zugang zum Oktoberfest kann es deshalb aus meiner Sicht nicht geben. Wir sind deshalb gerade dabei, uns auf das Szenario für ein 2G-Oktoberfest einzurichten. Wenn es uns gelingt, das Flair des Oktoberfests zu schützen und, wenn wir es schaffen, den Personalaufwand überschaubar zu halten, sehe ich durchaus eine Chance, dass es stattfinden kann. In vier, spätestens fünf Monaten werden wir das final entscheiden.
Reiter: "Münchner müssen auch spontan die Wiesn besuchen können"
Wie könnte das Oktoberfest dann aussehen?
Es könnte Einlass-Bändchen geben, die an einer zentralen Stelle ausgegeben werden und die die Ordner vor Ort leicht kontrollieren können. Es muss aber auch für Münchner die Möglichkeit bestehen, spontan die Wiesn zu besuchen.
Kommt da dann noch etwas Wiesn-Gefühl auf?
Wenn die Wiesn stattfindet, dann wird es keine Vereinzelung oder Abstände in den Zelten geben, insofern kann auf jeden Fall Oktoberfest-Feeling aufkommen. Ich hätte auch gerne wieder einen kleinen Silberstreif am Horizont, dass es im Spätsommer 2022 wieder so etwas wie Normalität geben kann.