Neues Geschlecht - "Es fühlt sich endlich richtig an"

Das Motto des Christopher Street Day in München lautet: „Regenbogen der Geschlechter.“ In der AZ erzählt Jean Josephine Beier aus ihrem Leben: Sie wurde als Bub geboren – und lebt jetzt als Frau.
von  Natalie Kettinger
„Es war Liebe auf den ersten Blick“: Jean Josephine Beier (r.) umarmt ihre Marina. Die Hochzeitskleider hat sie selbst genäht.
„Es war Liebe auf den ersten Blick“: Jean Josephine Beier (r.) umarmt ihre Marina. Die Hochzeitskleider hat sie selbst genäht. © Daniel von Loeper

München - Es hat 34 Jahre gedauert, bis Josephine zu sich selbst gefunden hat. 34 Jahre voller Selbstzweifel, Kummer und innerer Zerrissenheit. Erst durch eine Therapie erkannte sie: „Ich bin eine lesbische Frau.“

Na, und? werden Sie jetzt vielleicht denken – lesbische Frauen gibt es viele. Aber Josephine (41) ist als Bub zur Welt gekommen. Sie ist eine der 10 000 bis 100 000 Transsexuellen in Deutschland (genauere Zahlen gibt es nicht): Menschen, die körperlich eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht angehören, sich jedoch dem anderen zugehörig fühlen.

Mit dem Motto „Regenbogen der Geschlechter. Wertvoll sind wir alle“ lenken die Veranstalter des Münchner Christopher Street Day heuer die Aufmerksamkeit auf diese Menschen. In der AZ erzählt Josephine ihre Geschichte:

„Ich bin mit einem Knabenkörper geboren worden, habe mich als Kind aber immer als Mädchen gefühlt. Meiner Großmutter, bei der ich damals viel Zeit verbracht habe, war das egal. Sie hat mir Stricken und Nähen beigebracht und sich gefreut, dass ich Spaß daran hatte. Bei ihr durfte ich einfach Kind sein. Für meine Eltern hingegen war alles krankhaft, was mit Homosexualität zu tun hatte. Mein Erzeuger hat mir schon ganz früh vorgeworfen, weibisch zu sein – und verweichlicht.

Ich kann mich gut daran erinnern, als meine Schwester geboren wurde und ich zum ersten Mal unsere Körper verglich. Ihrer sah ganz anders aus als meiner. Das hat mich irritiert, aber ich konnte dieses Gefühl nicht richtig deuten.

In der Pubertät haben meine Mitschüler angefangen, mich zu mobben, weil ich mich anders bewegt habe und ein Faible für Standard- und Latein-Tänze hatte. Mein Erzeuger konnte damit auch nicht umgehen. Er hat mich verprügelt, weil ich mal einen Zettel hinterlassen habe, auf dem stand: „Bin mit meinem Freund beim Tanzen.“ Der Freund war ein Spezl, mehr nicht.

Allerdings habe ich schon auch überlegt, ob ich schwul bin. Aber das hat sich irgendwie falsch angefühlt. Es hat ja nicht gestimmt.

Mit 17 habe ich meine erste Frau kennengelernt. Sie war sehr burschikos mit raspelkurzen Haaren und hat mich geliebt, wie ich war. Als ich mit meinem Studium zum Verwaltungswirt fertig war, sind wir in München zusammengezogen, wir haben geheiratet – und ich habe nach außen hin den Mann gegeben. Aber für uns beide war immer klar: Wenn wir einmal Kinder haben, bleibe ich zu Hause, nach außen als Papa, in meinem Inneren als Mama.

Als würde etwas Böses lauern in mir, das nicht hinaus darf Elf Tage vor unserem ersten Hochzeitstag ist meine Frau gestorben. An Leberzirrhose – kein Mensch weiß, warum. In diesem Moment hatte ich eigentlich mit dem Leben abgeschlossen. Aber eine Freundin hat mich überredet, weiterzumachen.

Ich habe mich in die Arbeit gestürzt und mich zu dieser Zeit kaum noch um mich selbst gekümmert.

Nur die Wochenenden waren schlimm, wenn ich plötzlich mit mir selbst konfrontiert war. Mit mir selbst und dieser Ungewissheit: Wer bin ich? Was bin ich?

Eines Tages bin ich im Büro zusammengeklappt. Burnout und Depressionen. Ich habe mich gefühlt, als hätte ich tief in mir ein schwarzes Loch, über dem ein Eisengitter liegt, weil darin etwas Böses lauert, das man auf keinen Fall herauslassen darf. In vielen langen Gesprächen mit einer Therapeutin habe ich mit 34 Jahren endlich erkannt, was los ist: Ich bin kein schwuler Mann, sondern eine lesbische Frau. Dieses Coming-out war unendlich erleichternd.

Das Going-public, also der Gang an die Öffentlichkeit, war deutlich schwieriger. Als ich begann, mich zu schminken, bunte Schals, Ballerinas und Röcke zu tragen, hat mich meine Chefin angeschnauzt: ,Das können Sie gefälligst zu Hause machen.’ Manchmal haben mich auch wildfremde Menschen auf der Straße beschimpft: ,So welche wie Du gehören vergast.’

Trotzdem: Ich wollte endlich ich sein und keine Rolle mehr spielen müssen. Deshalb habe ich die Änderung meines Vornamens und meines Geschlechts in sämtlichen Dokumenten beantragt. Ein Verfahren, für das zwei Therapeuten unabhängig voneinander bestätigen müssen, dass man sich seit mindestens drei Jahren dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt.

Meine Mutter war entsetzt, als ich ihr von all dem erzählt habe. „Ich bekomme niemals Enkel von dir“, hat sie mir vorgeworfen und wieder alles ins Krankhafte gezogen. Trotzdem habe ich sie gebeten, mir zum zweiten Mal in meinem Leben einen Namen zu geben. Sie schlug Jo vor, und wir einigten uns auf Jean Josephine. So heiße ich jetzt seit März 2010 in allen meinen persönlichen Papieren, rückwärts bis zur Geburtsurkunde Frau Jean Josephine Beier.

Am 37. Geburtstag habe ich mich operieren lassen Früher musste man für die formale Änderung des Geschlechts „dauerhaft fortpflanzungsunfähig“ sein und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben. 2011 hat das Bundesverfassungsgericht diese Regelung gekippt. Zum Glück. Ich finde, jeder und jede von uns hat ein Recht auf das eigene Geschlecht und die eigene Geschlechtsbestimmung, und es ist allein die Entscheidung der betroffenen Person, ob sie mit Herr oder Frau angesprochen werden möchte.

Ich habe mich operieren lassen, weil ich es so wollte. An meinem 37. Geburtstag, in der Frauenklinik an der Taxisstraße. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin – vollgepumpt mit Schmerzmitteln und dicken Bandagen zwischen den Beinen – hat mich meine beste Freundin gefragt, wie es sich anfühlt. „Endlich richtig“, habe ich geantwortet und bin vor Glück in Tränen ausgebrochen.

Normalerweise schließt sich die Wunde sehr schnell und das Ziepen vom Ziehen der Samenstränge lässt nach einigen Wochen nach. Ein halbes Jahr nach der OP sollte alles verheilt sein. Bei mir hat es allerdings Komplikationen gegeben. und ich wäre fast verblutet, weil eine verödete Stelle wieder aufgeplatzt ist.

Aber heute geht es mir gut, auch wenn ich aufgrund einer psychischen Erkrankung frühpensioniert wurde. Ich arbeite nicht mehr im Büro, sondern ehrenamtlich fürs Sub, das Schwule Kommunikationszentrum in der Müllerstraße. Und ich habe eine eigene Beratungsstelle für Transsexuelle aufgebaut: Intra*.

Aber das Schönste ist: Dreieinhalb Jahren bin ich wieder liiert. Marina und ich haben uns auf einer Regenbogenparty am Welt-Aids-Tag kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben den ganzen Abend miteinander geredet. Bis alle anderen verschwunden waren. Danach liefen die SMS zwischen uns heiß, und im Juni 2012 haben wir geheiratet. Nicht standesamtlich, sondern in einer romantischen Zeremonie, die sich Marinas Mutter ausgedacht hat.

Die Hochzeitskleider habe ich selbst genäht – dank meiner Großmutter weiß ich ja, wie das geht. Es war einfach wundervoll. Mit Marina bin ich glücklich: eine glückliche lesbische Frau.“

 

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