Neue Nase, neue Brust

MÜNCHEN Sie machen aus Zehen Daumen, aus Bauchfett Brüste, sie retten Hände und Füße, verschönern Körper und Gesichter: Jüngstes, spektakuläres Beispiel der Arbeit der plastischen und ästhetischen Chirurgen an der LMU ist Laborantin Carola D. (23), Opfer einer Explosion bei einer Faschingsvorlesung an der Uni (AZ berichtete). „Die Hand ist schwerst verletzt worden und konnte hier von unserem Kollegen Andreas Frick zu großen Teilen erhalten werden. Weitere wiederherstellende Operationen werden erfolgreich sein“, sagt Professor Riccardo Giunta, der seit 10. Januar die Geschicke der plastischen LMU-Chirurgen leitet.
Der Plastische Chirurg und Handchirurg kommt direkt aus dem OP zum Interview-Termin. An diesem Morgen hat der neue Chef einem knapp zweijährigen Mädchen zu einem echten Daumen verholfen. Vorher war er nicht funktionsfähig. Die Kleine konnte Gegenstände nur zwischen Zeige- und Mittelfinger greifen. „Die Operation ist sehr gut verlaufen“, berichtet Experte Giunta. Die Zweijährige hat jetzt wieder gute Chancen, ihre Hand genauso zu benutzen wie ihre Spielkameraden.
Giunta selbst wirkt trotz des OP-Stress entspannt. Geduldig erklärt er die verschiedenen Verfahren und Möglichkeiten. Das große Interesse des Schreibers an der Zeh-wird-Daumen-Operation quittierte er mit einem Lächeln: „Das war in den 70ern neu.“
Jetzt werden durch das Einspritzen von eigenem Bauchfett Hände verjüngt. Das Fett macht hervortretende Sehnen und Venen wieder unsichtbar. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich ist die Therapie von Verletzungen, die Babys bei der Geburt erleiden.
Giunta führt als Beispiele ein zweijähriges Mädchen an, dass wegen eines gerissenen Nervenbündels in der Schulter den rechten Arm kaum bewegen kann. Nachdem Giunta und sein Team die Schulter operativ lösen und die Sehne verlängern konnten, kann die Hand wieder normal zugreifen.
Der Professor, der von der TU-Klinik Rechts der Isar zur LMU wechselte, will sein Fach mit neuen, junge Leuten wie Timo Spanholtz, Thomas Holzbach oder Sheila Malek weiter nach vorne bringen, sich stärker von der Gesamtchirurgie emanzipieren. Hochbetrieb herrschte von der ersten Minute an: Schon im ersten Monat waren es über 60 Operationen allein am Standort Innenstadt.
Drei der vier Säulen der plastischen Chirurgie (Hand-, ästhetische und plastische Chirurgie) werden nun in dem altehrwürdigen Gebäude an der Pettenkoferstraße und in Großhadern von elf Ärzten gebündelt angeboten. Nur bei Verbrennungen – der vierten Säule – wird man die Spezialisten weiter in Bogenhausen suchen müssen.
Neuer Chef, neue Gesichter, neuer Schwung aber auch neue Apparate: Erst vor zwei Wochen wurde ein neues 3D-Fotogerät gekauft, welches dank des 3D-Scan ermöglicht, mit dem Patienten die OP-Veränderungen im Detail zu besprechen. Fragen wie „Wie soll das Kinn aussehen?“, „Wie lang und schmal wird die Nase?“, „So sieht die neue Brust aus, wenn wir das Gewebe aus dem Bauch oder vom Rücken nutzen“ können plastisch genau abgesprochen werden – weil die Veränderungen simuliert werden können (wie auf dem großen Foto oben). <TB>Im OP-Saal steht dazu ein neues OP-Mikroskop, das auch den Fluss des Blutes beim Anschluss neuer Gefäße misst. Giunta: „Wir erwarten uns durch das neue OP-Mikroskop eine erheblich verbesserte Patientensicherheit.“
Eines der größten Arbeitsfelder Plastischen Chirurgen ist die Rekonstruktion der weiblichen Brust. Wie bei Petra Mayrhofer (Name geändert). Die 55-Jährige Handelskauffrau hat sich vom Professor eine neue Brust machen lassen. Mit Gewebe aus dem eigenen Bauch. „2007 wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert“, erzählt sie. Die linke Brust musste abgenommen werden. „Die Optik hat mich dann gestört und den BH mit Implantat empfand ich irgendwann als störend. Ich habe mich dann entschlossen, eine neue Brust machen zu lassen.
Eigentlich sollte es ein Implantat werden, aber ich bin hier davon überzeugt worden, Eigengewebe aus dem Bauch zu nutzen.“ Petra Mayrhofer lächelt: „Damit habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich habe eine neue Brust bekommen und gleichzeitig wurde mein Bauch gestrafft.“ Und das Risiko der Abstoßung des Fremdkörpers Implantat hat sie so auch vermieden.
Die Operation am 8. Februar ist gut vlaufen, noch ist die OP-Narbe frisch. Aber auch sie wird verheilen. Mit dem Ergebnis der OP ist die Münchnerin jedenfalls „sehr zufrieden". Um beide Brüste anzugleichen, ist noch eine Korrektur-OP notwendig.
„Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, sagt auch Loretta Busch. Die 36-jährige Nageldesignerin hat eine Brustvergrößerung mit Silikonkissen an beiden Brüsten hinter sich. „Es war sehr schmerzhaft. Schmerzhafter als die Geburt meiner beiden Kinder“, sagt sie. Und doch würde es die attraktive Münchnerin wieder machen. „Nach zwei Kindern war die Brust zurückgegangen.“ Da sie selber in der Schönheitsbranche arbeitet, schien ihr die ästhetische Korrektur notwendig.
Auf zehn bis 20 Prozent schätzt Giunta den Anteil der Schönheits-Chirurgie an seiner Arbeit. „Wir sind als akademische Plastische Chirurgen verpflichtet, auch in diesem Feld zu arbeiten. Schließlich bilden wir hier junge Ärzte und Studenten aus."
Giunta und Spanholtz zeigen am Laptop ihre Arbeit. Zum Beispiel wie Gewebe vom Rücken nach vorne gelappt und zur Brustrekonstruktion genutzt wird. Das ist sogar einfacher, weil kein „Stromkabel“, sprich Blutgefäß, gekappt werden muss, erklärt Spanholtz.
Man spürt den Enthusiasmus. Auch wenn für den Laien die blutigen Bilder, die da über den Monitor flimmern, oft schwer zu ertragen sind. Eine psychologische Belastung? Giunta winkt ab: „Da wird man als Mediziner langsam herangeführt. Man gewöhnt sich.“
Und klickt Bilder von einer 55-jährigen Frau an, die einen Tumor im Daumen hatte, der daraufhin amputiert werden musste. Giunta machte aus ihrem Zeigefinger einen neuen Daumen. Dass sie nur noch drei Finger an der Hand hat, fällt auf den ersten Blick nicht auf, da sie jetzt einen Daumen hat. „Wir nennen das eine Vier-Finger-Hand“, erklärt Thomas Holzbach. „Die Frau greift heute wieder und hatte sofort Sensibilität im neuen Daumen.“ Einer der großen Vorteile gegenüber einer Prothese.
„Stromkabel“, „Vier-Finger-Hand", der manchmal lockere Ton täuscht nicht darüber hinweg, dass hier sehr ehrgeizige Ziele sehr konzentriert verfolgt werden. Giunta beschreibt, was ihn an seinem Job so fasziniert: „Es ist eine sehr kreative Arbeit, die Spaß macht.“ Mehr Spaß vielleicht als in andere Fachbereiche, wo vielen in Routine erstarrt sein. „Bei uns sind oft sehr individuelle Lösungen gefragt, das macht den besonderen Reiz aus.“
Schon jetzt strahlt der Ruf der Plastischen Chirurgie weit über München hinaus. Aber Riccardo Giunta hat noch mehr vor. Viel mehr. „Seit fast zwanzig Jahren ist Plastische Chirurgie ein eigenständiges medizinisches Fachgebiet. In etwa drei Jahren wollen wir soweit sein, endlich auch an der LMU eine eigene Klinik zu etablieren.“