Neue Leiterin des Münchner Spielzeugmuseums: Puppen finde ich gruselig

Helena Steiger ist die neue Leiterin des Münchner Spielzeugmuseums. Sie ist in einem Haus voller Spielsachen groß geworden – damit spielen durfte sie nicht.
von  Jasmin Menrad
Die zwei Puppen vorne rechts heißen Hans und Gretchen und stammen aus dem Jahr 1909.
Die zwei Puppen vorne rechts heißen Hans und Gretchen und stammen aus dem Jahr 1909. © Jasmin Menrad

Eine Puppenstubn mit Enzian-Schnaps auf dem Schrank, Zinkkanonen aus dem 18. Jahrhundert und Laufpuppen, die ihr Innerstes offenbaren: Im Turm des Alten Rathauses befindet sich – ähnlich einer Puppenstube – seit Dezember 1983 das Spielzeugmuseum.

Das Museum ist ein Familienunternehmen und wurde auf Initiative des ehemaligen AZ-Karikaturisten, Autors und Regisseurs Ivan Steiger (80) gegründet. Jetzt übernimmt seine Tochter Helena Steiger die Leitung des Museums. Wer schon mal dort war, hat sicher ihre Sammlung von Christbaumschmuck im obersten Stockwerk bewundert.

AZ: Was hatten Sie als Kind für Spielsachen?
HELENA STEIGER: Ganz normale 60er-, 70er-Jahre-Spielsachen. Meine sieben Jahre jüngere Schwester hat mit Barbies gespielt, aber nur mit den aktuellen Modellen. Die alten Barbies sehen Sie oben im dritten Stock – die weißen Barbies. Damals war Weißsein in, braun gebrannt war die Landbevölkerung. Die Barbiesammlung gehört meiner Schwester, die sie mit meinem Vater aufgebaut hat.

Was haben Sie gesammelt?
Alten Christbaumschmuck. Dann gab es früher etwas, das hieß Winterhilfswerk. Da sind die Kinder mit Sparbüchsen unterwegs gewesen, um für Kinder in Not zu sammeln. Wenn man gespendet hat, hat man etwas bekommen: Porzellanschmetterlinge zum Anstecken, Figürchen, Büchlein.

Die zwei Puppen vorne rechts heißen Hans und Gretchen und stammen aus dem Jahr 1909.
Die zwei Puppen vorne rechts heißen Hans und Gretchen und stammen aus dem Jahr 1909. © Jasmin Menrad

Sie wurden in Prag geboren. Wie kam Ihre Familie nach München?
Ja, wir sind 1968 aus Tschechien geflüchtet. Die Sowjetunion ist einmarschiert und da mein Vater Karikaturist ist und immer gegen die Russen gezeichnet hat, war er politisch Verfolgter und musste das Land verlassen. Er hat meine Mutter und mich in einer Nacht- und Nebelaktion hierher gebracht. Am 23. August 1968 sind wir in München angekommen.

Ohne Spielsachen?
Ohne Spielsachen. Da war von Spielsachen noch gar keine Rede. Mein Vater ist auch Regisseur und Dramaturg und hat 18 Filme für das ZDF gemacht. Damals hat er für einen seiner Filme ein Requisit gesucht und ein Blechspielzeug gefunden. Da hat er angefangen zu sammeln. Ich habe mein gesamtes Leben auf Flohmärkten verbracht, auf Auktionen und Tauschbörsen. Das gab es damals, da kam man mit einem Spielzeug und hat gesagt: ,Du, ich hab ‘ne Eisenbahn, ich hätte gerne das Auto. Wollen wir tauschen?’ So bin ich großgeworden, zehn Jahre lang war ich jedes Wochenende mit meinem Vater unterwegs.

Durften sie mit den Sachen spielen?
Nein, nein. Das waren damals schon kostbare Sachen, die sind teilweise sehr, sehr selten, da war nichts mit spielen. Das war alles in Glasvitrinen oder auf Schränken, das durfte man anschauen, aber nicht anfassen. Puppen finde ich gruselig. Früher habe ich die mit dem Gesicht zur Wand gedreht, wenn ich allein im Wohnzimmer war.

Nächster Halt: Stuttgarter Hauptbahnhof.
Nächster Halt: Stuttgarter Hauptbahnhof. © Jasmin Menrad

Ist Ihre Schwester auch im Spielzeugmuseum mit drin?
Meine Schwester macht das Spielzeugmuseum in Prag, ist aber in München geboren.

Was ist mit Ihrem Vater?
Er wird sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen, weil er jetzt ein stolzes Alter von 80 Jahren erreicht hat und seinen – in Anführungsstrichen – "Ruhestand" verdient hat. Mein Vater sammelt aber immer noch. Aber das Führen des Personals, Abrechnungen, Versicherungen, Pressearbeit, das übernehmen jetzt wir, die Töchter.

Ist das Museum Ihr Hauptjob?
Nein. Ich führe das als Familienbetrieb weiter, aber ich arbeite Vollzeit freiberuflich als Bilanzbuchhalterin, habe zwei Kinder, zwei Hunde und mache das Museum nebenher.

Der dreiteilige Holzaltar stammt aus Nürnberg und ist von 1895.
Der dreiteilige Holzaltar stammt aus Nürnberg und ist von 1895. © Jasmin Menrad

"Früher hat man mit den meisten Spielsachen gar nicht gespielt"

Das Haus voller Spielsachen, mit denen Sie nicht spielen durften, jedes Wochenende auf Flohmärkten. Haben Sie nie gedacht: Mir reicht’s?
Es gab eine Zeit, als meine Eltern noch jung waren und alles selbst gemacht haben und ich studiert habe, da habe ich mich rausgenommen. Aber im Endeffekt kenne ich es nicht anders. Mein Vater ist der Sammler, der Künstler, der Visionär. Dann braucht es jemanden, der das Tagesgeschäft macht. Dafür ist mein Vater nicht geeignet, denn der ist wirklich in anderen Sphären. Das habe ich schon seit Jahren gemacht.

Wie kam es dazu, dass die Sammlung Ihrer Familie im Rathaus ausgestellt wurde?
Meine Mutter hat irgendwann zu meinem Vater gesagt: Entweder, du hörst auf zu sammeln oder wir müssen was machen. Da hat mein Vater sich an die Stadt München gewandt, ob die eine Idee haben, wo er ausstellen könnte. Da hieß es, der alte Rathausturm steht leer. 1984 haben wir das Museum eröffnet.

Gefällt Ihnen denn, womit Kinder heute spielen?
Mit was spielen denn Kinder heute noch? Ich sehe das an meinen Kindern, da haben Gesellschaftsspiele funktioniert, noch ein bisschen Puppen, bei den Jungs Autos, aber alles ist schon elektronisch, da ist ja keine Fantasie mehr dahinter. Früher mussten die Kinder die Dinge noch eigenhändig bewegen, mussten Vorstellungskraft entwickeln und das lässt natürlich heutzutage nach. Die Kinder verdummen am Computer. Auf der anderen Seite: Mit den meisten Spielsachen hat man früher nicht richtig gespielt, weil sie zu teuer waren oder zu zerbrechlich, die wurden einmal im Jahr hervorgeholt. Manches waren auch keine Spielsachen, sondern zur Vorbereitung auf das zukünftige Leben. Es gibt Puppen in Babygröße und -Schwere, da haben die Mädchen schon gelernt, wie man mit einem Kind umgehen soll. Bei den Blechspielsachen sind es alles Berufe, die abgebildet sind.

Die weißen Damen oben sind die ersten Barbies aus dem Jahr 1959.
Die weißen Damen oben sind die ersten Barbies aus dem Jahr 1959. © Jasmin Menrad

"Eigentlich sind unser Hauptklientel Erwachsene"

Haben Sie ein Lieblingsspielzeug?
Ja, mein Pferd. Das Zirkuspferd mit Glöckchen liebe ich. Ich war etwa zehn, da haben wir das auf dem Nürnberger Nachtflohmarkt gefunden – und da sieht man ja nichts. Ich habe mit meinem Vater in ein Auto geschaut und da hat nur der Kopf mit den Glöckchen rausgeschaut. Wir sind zwei Stunden um den Wagen herumgelaufen, bis die Frau endlich kam und ausgepackt hat. Wir wussten nicht, ob das Plastik ist und ob es einen Wert hat und dann kam dieses schöne Pferd zum Vorschein. Das hat auch gar nicht viel gekostet.

Macht man heute noch Schnäppchen auf dem Flohmarkt?
Die Problematik ist, dass jeder sich im Internet heraussuchen kann, was er genau im Keller hat. Schnäppchen macht man nicht mehr. Früher hat man Fachliteratur kaufen und die wälzen müssen. Die meisten haben heute auch überzogene Preisvorstellungen.

Lohnt es sich, Spielsachen zu verkaufen?
Es ist so, dass die Spielsachen im Wert eher gesunken sind. Bei Fernsehsendungen wie Bares für Rares sieht man Sachen von der Uroma, eine Vase, die zwei Weltkriege überstanden hat, und dann verkaufen die Leute es für 20 Euro. Die würde ich lieber behalten.

Wie geht’s im Spielzeugmuseum weiter?
Bei uns wird sich nichts verändern. Wir haben uns auf alte Sachen von 1850 bis 1950 spezialisiert. Das wollen wir erhalten. Eigentlich sind Erwachsene unser Hauptklientel, die sich an ihre Kindheit erinnern. Vielleicht modernisieren wir mal ein bisschen, mit Touchscreen und Knöpfen, dass sich was bewegt. Aber ich finde es gerade schön, dass wir ein bisschen altmodisch sind, das passt ja auch zu dem, was wir ausstellen.


Marienplatz 15, täglich 10 bis 17.30 Uhr. Familienkarte 12 Euro, Erwachsene 6 Euro. Kinder 2 Euro.

Lesen Sie hier: Deutsches Museum soll kaufmännischen Direktor bekommen

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