Neue Chance unter Alten Meistern

Lust auf Liebe? Unser Autor sucht in den Münchner Museen eine Bekanntschaft – und entdeckt das Geheimnis des Pinakotheken-Flirts
von  Abendzeitung
Es hat gefunkt - ob Rubens' Schäferszene Schuld war?
Es hat gefunkt - ob Rubens' Schäferszene Schuld war? © Daniel von Loeper

MÜNCHEN - Lust auf Liebe? Unser Autor sucht in den Münchner Museen eine Bekanntschaft – und entdeckt das Geheimnis des Pinakotheken-Flirts

Was hatte ich erwartet? Einsame Seelen, die sich die einsamen Fotos von William Egglestone ansehen, sehnsuchtsvoll von Bild zu Bild trippeln, bis ihre traurigen Augen schließlich auf mich fallen und sie anfangen zu lächeln?

So was in der Art muss es gewesen sein. Und das ist natürlich beschämend naiv. Und furchtbar falsch. Die Realität sieht so aus: Haus der Kunst, Samstagmittag. Draußen hat der Himmel gerade aufgerissen, drinnen reihen sich Menschen an der Kasse. Den Gang nach rechts, die Treppe hoch zur Egglestone-Ausstellung.

Ich bin hier wegen der Frauen. Ich möchte flirten

Habe ich schon gesagt, dass ich nicht wegen der Bilder gekommen bin, also nicht nur? Ich bin da wegen der Betrachterinnen der zugegeben wunderbaren Fotografien. Wegen der Frauen. Ich möchte flirten. Im Museum. Aber dann merke ich, dass das hier aussichtslos ist. Völlig aussichtslos.

Doch, Frauen sind da. Interessante, geheimnisvolle, hübsche. Aber wie anfangen? Zu voll, zu viele Menschen. Die Ausstellungsräume: lang, schmal, ungemütlich. Mütter mit ihren Kindern sind da, junge Leute, die aussehen, als seien sie Kunststudenten. Und wenn nicht, dann auf jeden Fall sonst wie kreativ.

Alle laufen eilig von Bild zu Bild, irgendwann merke ich, dass ich genauso laufe. Dass alle hier so laufen. Ein kleiner Schwarm kunstinteressierter Menschen im mittleren Alter, die sich vorgenommen haben, William Egglestone toll zu finden. Und die sich jetzt von niemandem mehr ablenken lassen. Von mir am wenigsten.

Also raus, das eigene Versagen eingestehen. Zwei Minuten lang. Dann weiter.

Warhol nervt gerade gewaltig

Im Foyer der Pinakothek der Moderne stehen zwei Mädels. Sie tragen T-Shirts, auf denen „Madsen“ steht. Ich meine zu wissen, dass es sich dabei um eine deutsche Band handelt, deren Musik ich nicht kenne. Ich beschließe, sie nicht anzusprechen. Ich fürchte, wie ein alter Sack rüberzukommen.

Kurz darauf bereue ich die Entscheidung. Die beiden wären was gewesen. Ein Anfang. Eben war ich im Café, und da saßen bloß Kuchen essende Paare und in der Ecke ein lesender Student. Ich muss langsam jemanden finden, denke ich. Also laufe ich die Treppe hoch in den ersten Stock. Mein Blick streift an den Wänden entlang. Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Georges Braque, erstaunlich, wie egal einem Bilder sind, wenn man auf der Suche ist. Warhol nervt gerade gewaltig.

Im Raum mit den Surrealisten dann Halt. Eine Frau steht da. Mitte 20, blonde Haare, schöne Augen. Auch, wenn die nicht mich anschauen, sondern ein Bild von Giorgio de Chirico. Wer sich für de Chirico interessiert, ist interessant. Ich stehe zwei Bilder links von ihr, tue so, als würde ich ein Bild anschauen und gehe dann weiter in ihre Richtung. Ihr Blick streift mich, als ich auf sie zukomme.

Der Fehler

Jetzt stehe ich hinter ihr, ein wenig seitlich. Ich kann ihre blonden Nackenhaare sehen.

Dann der Fehler.

„Die Farben sind toll, so düster, geheimnisvoll“, sage ich.

„Hmm“, sagt sie, dreht sich kurz um – und geht weg.

Ich hab’ das noch zweimal erlebt, ich kann sagen: Nie, wirklich niemals über die Kunstwerke reden! Bringt absolut nichts. Bei niemandem.

Genauso vergeblich der Versuch, Blickkontakt mit Frauen aufzubauen, die sich per „Audio-Guide“ durch die Räume lotsen lassen. Wenn sie mal schauen, dann um zu signalisieren, dass man stört, im Weg steht oder aufhören soll, sie so komisch von der Seite anzugucken. Man tut dann am besten so, als grüble man gewissenhaft über den kompositorischen Aufbau des Bildes nach – und sieht zu, in den nächsten Raum zu kommen.

Das Geheimnis

Das ist der Punkt, weiß ich eine Stunde später: das Reinkommen. Und das Rausgehen. Das Eintreten. Das Verschwinden. Das ist das Geheimnis.

Wenn Flirten, wie man gern sagt, ein Spiel aus Nähe und Ferne ist, eine Spannung, die sich aus Sehen und Nicht-Sehen aufbaut – dann ist das Museum ein besonders lohnendes Labyrinth. Vor allem die Alte Pinakothek. Doch.

Am Anfang habe ich das auch nicht geglaubt. Im ersten Stock hängt Altdeutsche Malerei, Matthias Grünewald, Albrecht Dürer. Wer schaut sich schon so etwas an, denke ich. Es gibt einen Rubenssaal. Und ich weiß jetzt viel über die Flämische Malerei des 17. Jahrhunderts. Das stimmt natürlich nicht. Ich weiß auch weiter nichts über die Flämische Malerei des 17. Jahrhunderts.

Das liegt an Lisa.

Lisa mit den Mandel-Augen

Lisa steht vor einem Bild von Hieronymus Bosch. Es ist ein großes Bild, es heißt „Fragmente eines jüngsten Gerichts“. Sie fällt mir auf. Vielleicht, weil um sie herum nur graumelierte Herren stehen, von denen viele braune Cordhosen tragen und karierte Jacketts mit Einstecktuch.

Vielleicht aber auch, weil Lisa mandelförmig geschnittene Augen hat, schwarz und tief. Sie trägt Jeans, eine einfache Bluse, schwarze Ballerinas. Sie ist dezent geschminkt. Beim Vorbeigehen treffen sich unsere Augen, und sie lächelt mich an. Eine halbe Sekunde.

Als wir uns das nächste Mal begegnen – zwei Räume weiter, ich bin vorausgeeilt, um zurückkehren zu können – bin ich es, der sie anlächelt. Ganz kurz. So geht das weiter. Die Räume sind perfekt für dieses Spiel. Nicht zu groß, fast quadratisch, man kann schnell sichtbar werden und schnell unsichtbar. Manchmal gehen wir aneinander vorbei, jeder in Gedanken, ein anderes Mal stehen wir zu zweit vor einem Bild, näher, als man Unbekannten kommt.

Am Ende gehen wir zusammen die lange Steintreppe runter in die Vorhalle. Es ist jetzt kurz vor vier. Im Seitenflügel befindet sich das Café-Klenze.

In das gehen wir nun. Lisa hat mich gefragt.

Jan Chaberny

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