Nazi-Vergangenheit der Prinzregentenstraße in München: Eine arg angebräunte Avenue

Ein Lehrpfad auf der Prinzregentenstraße, der zeigt, wie die Nazis hier gewütet haben? Teil 2 eines historischen Stadtspaziergangs.
Karl Stankiewitz |
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Braunes Detail: Ein Mauerfenster mit Hakenkreuzgittern. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter
AZ-Archiv/Martha Schlüter 2 Braunes Detail: Ein Mauerfenster mit Hakenkreuzgittern. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter
Relikt aus der braunen Vergangenheit: Stahlhalme als Fassadenschmuck am Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter
AZ-Archiv/Martha Schlüter 2 Relikt aus der braunen Vergangenheit: Stahlhalme als Fassadenschmuck am Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter

Die Diskussion um den Umbau des Haus der Kunst ist in vollem Gange. Der Direktor des NS-Dokuzentrums und Architekturhistoriker Winfried Nerdinger wendet sich vehement gegen den geplanten Umbau des Stararchitekten David Chipperfield, der die Baumreihe vor dem Haus abholzen und so gegenüber der Stadt öffnen will.

Nerdinger plädiert hingegen dafür, nicht nur das Haus der Kunst selbst, sondern auch die anderen Nazi-Bauten in der Prinzregentenstraße zu einem Geschichtspfad zu vernetzen. Die Prinzregentenstraße: eine Prachtmeile in Braun – Teil 2.

Versteckt an der Ecke Prinzregentenstraße und Oettingenstraße, hinter dem Denkmal des reitenden Prinzregenten: das Neue Studiengebäude des Bayerischen Nationalmuseums. 1937 von German Bestelmeyer erbaut, diente das zweistöckige Gebäude mit seinen pseudoromanischen Säulen nicht nur für kunsthistorische Studien, sondern auch als Depot für "Judengut" (während der jüdische Museumskonservator Rudolf Berliner nach Dachau kam). Im Keller waren 560 Objekte aus 15 geplünderten Privatsammlungen eingelagert. Die Museumsleitung musste dafür 228 810 Reichsmark an die Gestapo überweisen.

Außerdem befanden sich in diesem Bau das Planungsbüro und die Werkstätten von Hermann Giesler, dem Bruder des letzten Gauleiters und bayerischen NS-Ministerpräsidenten Paul Giesler. Hitler hatte ihn 1938 zum Professor und zum Generalbaurat für die Neugestaltung der "Hauptstadt der Bewegung" ernannt. Ein amerikanisches Militärgericht verurteilte den SA-Brigadeführer (sein Bruder war rechtzeitig mit vollgepackten Rotkreuzautos nach Berchtesgaden geflohen, wo er seine Frau und sich selbst erschoss) und andere wegen Verbrechen im KZ Mühldorf zum Tode. Giesler kam aber im Oktober 1952 frei und konnte in Düsseldorf bis zu seinem Tod im Jahr 1987 als Architekt weiterarbeiten.

Vernetzte Prinzregentenstraße: Prachtmeile in Braun

German Bestelmeyer baute auch das monumentale Gebäude gegenüber. Der Architekt mit dem schönen deutschen Namen, der auch den Kongressbau des Deutschen Museums und zahlreiche Kirchen geschaffen hatte, gewann 1937 einen von Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium ausgeschriebenen Wettbewerb für ein neues Luftgaukommando V. Verplant war dafür der noch weitgehend begrünten Platz, den der Jugendstilarchitekt Richard Riemerschmid für ein Stadt- und Musikhaus vorgeschlagen hatte.

Idee und Ausführung waren der Anfang einer totalen Umgestaltung der Prinzregendenstraße zur wichtigsten West-Ost-Achse der künftigen "Stadt für tausend Jahre", die von der zur Durchfahrtsstraße erweiterten Von-der-Tann-Straße bis zum Autobahnanschluss am Vogelweideplatz vorgesehen war. Einem Parkplatz für mindestens tausend Fahrzeuge mussten das Prinzregentendenkmal und der Hubertusbrunnen weichen.

Kalte Masse bestimmte nun den ganzen Neubau-Block zwischen der Wagmüller- und der Oettingenstraße. Mit einer Hauptfront von immerhin 225 Metern überbrückte er sogar noch die kleine Alexanderstraße. Trotzdem gelang es Bestelmeyer, seinen Staatsbau dem spiegelbildlichen Nationalmuseum unterzuordnen. Er gliederte ihn in mehrere Baukörper mit drei bis fünf Stockwerken. Immerhin zählt man allein an der Prinzregentenstraße nicht weniger als 360 Fenster.

Dahinter wurden schon vor dem Zweiten Weltkrieg gewissermaßen die Weichen für den Luftkrieg gestellt. Von hier wurde der Einsatz der "Legion Condor" in Spanien gesteuert. Hier wurden Aufträge für den Bau von Militärflugplätzen und Flugzeugfabriken vergeben. Und es sollen auch die Höhen- und Unterkühlungsversuche mit Dachauer KZ-Häftlingen in Fliegeruniform gesteuert worden sein.

Hakenkreuze: Bloß Zierde "in vernudelter Ausformung"?

Wie andere Münchner Paradebauten des Nationalsozialismus blieb auch das Luftgaukommando im Luftkrieg, der hier eine seiner wichtigsten Schaltstellen hatte, weitgehend verschont und konnte gleich nach dem Ende von den Amerikanern genutzt werden, nämlich als "PX", als überdimensionales Warenhaus für die Besatzungssoldaten.

Ludwig Erhard hieß der erste bayerische Wirtschaftsminister, der bereits im Oktober 1945 die von den Braunen hinterlassene Betonburg beziehen konnte. Und noch immer befindet sich in dem riesigen Bau ein riesiger Beamtenapparat: das "Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie". Auf größere Umbauten wurde verzichtet. So blieben die schmiedeeisernen Hakenkreuze in den Fenstergittern der Außenmauern auch dann noch, als sich 1970 Bürger darüber beschwerten.

Braunes Detail: Ein Mauerfenster mit Hakenkreuzgittern. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter
Braunes Detail: Ein Mauerfenster mit Hakenkreuzgittern. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter © AZ-Archiv/Martha Schlüter

Das Landesamt für Denkmalpflege hatte überhaupt nichts gegen diese "Zierformen" in der doch "fast vernudelten Ausformung". Und noch 1975 wurde dem "Spätwerk des hervorragenden Architekten" Bestelmeyer (ihm wurde 1942 ein Staatsbegräbnis mit Hitler und Goebbels zuteil) ein hoher denkmalschützerischer Wert zuerkannt. Gerühmt und geschützt wurden vom Amt die steinernen Türstöcke, Kassettendecken und Wandverkleidungen und vor allem eine Jagdszene im Casino aus der Oberammergauer Holzschnitzschule.

Der amerikanische Architekturhistoriker Professor Gavriel D. Rosenfeld fand übrigens in diesem rein ästhetischen Umgang der Behörden mit der Nazi-Architektur – er fand viele Beispiele – einen Beweis für die Vorherrschaft einer restaurativen Tendenz im Nachkriegs-München. Utopie blieb dagegen ein weiterer Wunsch des Möchtegern-Baumeisters Hitler für die Prinzregentenstraße. Direkt gegenüber dem "Haus der Deutschen Kunst" wollte er ein "Haus der Deutschen Architektur" aufstellen lassen. Das störende Wohnhaus musste verschwinden, die "Abbruchmieter" wurden in Wohnungen vertriebener jüdischer Familien eingewiesen.

Nach den erhalten gebliebenen, noch bis 1940 gezeichneten Plänen sollte dieses Ausstellungsgebäude aber keineswegs "ähnlich concipiert" werden wie der Synchronbau auf der anderen Straßenseite, wenn auch gleichartig in Stein und Farbe und mit 21 Säulen.

Der Baukunsttempel hätte aber noch einige Meter breiter werden sollen. Auf zwei hohen Sockeln sollten Sphinxe wachen wie vor den Pyramiden von Gizhe. Soweit die Vorstellungen, die Hitler am 14. Februar 1938 im Atelier des Stadtbaurates Hermann Reinhard Alker entwickelte.

Nach dem Krieg nutzte der bayerische Staat das von den Nationalsozialisten frei geräumte Areal, um auf immerhin 9500 Quadratmeter Nutzfläche an der Einmündung des Franz-Josef-Strauß-Rings die Oberste Baubehörde zu errichten.

Am Ende der ziemlich angebräunten Avenue des Großbürgertums thront über dem Schlund eines einst heiß umstrittenen Straßentunnels das Prinz-Carl-Palais. Auch dieses älteste Gebäude der Prinzregentenstraße, ein Juwel des Klassizismus, war vor dem Zugriff der Machthaber nicht verschont geblieben. Nach verschiedensten Nutzungen – von der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft bis zum Sozialisierungskommissär der Räteregierung – zankte sich 1933 Bayerns erster NSDAP-Ministerpräsident Ludwig Siebert als Hausherr wegen der Benutzung des Dienstgartens mit Gauleiter Adolf Wagner.

Relikt aus der braunen Vergangenheit: Stahlhalme als Fassadenschmuck am Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter
Relikt aus der braunen Vergangenheit: Stahlhalme als Fassadenschmuck am Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße. Foto: AZ-Archiv/Martha Schlüter © AZ-Archiv/Martha Schlüter

Wieder ordnete Hitler persönlich 1937 einige Um- und Anbauten an. Das Ehepaar Troost sorgte für eine neue Inneneinrichtung "im geschmackvollen Stile" ("Völkischer Beobachter"), was noch einmal 1,3 Millionen Mark verschlang. So konnten sich Diktator-Kollege Benito Mussolini mit seinen Schwarzhemden bei zwei Besuchen an einem schwarzen Marmorbad, einer Espressomaschine und an Lenbachs "Hirtenknabe" ergötzen. Sogar ein Kino mit Klavier wurde eingebaut.

Gegen Kriegsende quartierte man im fürstlichen Palast noch eine Hundertschaft des "Volkssturms" ein. Während der monatelangen Bewachung des unzerstörten Gebäudes durch die Besatzer verschwanden abermals wertvolle Möbel und Teppiche, einige wurden später in einem amerikanischen Club wiedergefunden.

Der Pfad ließe sich ohne Probleme fortsetzen

Bald konnte antike Kleinkunst und der "Blaue Reiter" gezeigt werden, bis 1948 die Akademie der Schönen Künste einzog.

Akademie-Präsident Wilhelm Hausenstein lud Marieluise Fleißer, Anette Kolb, Martin Buber, Romano Guardini, Erich Kästner, Rudolf Alexander Schröder und andere Geistesgrößer seiner Zeit zum Tee. Zwanzig Jahre lang blieb das Prinz-Carl-Palais der feinste Münchner Salon.

Im Sommer 1970 wurde das leerstehende Palais auf eine 3,5 Meter starke, von den entstehenden Tunnelwänden getragene Stahlbetonplatte gestellt. Gesamtkosten: 71 Millionen Mark. Karl von Fischers frühes Meisterwerk ist inzwischen wieder der vornehmste Empfangssalon der Staatsregierung. Zu Gast waren gekrönte und ungekrönte Häupter. Dem Volke werden die goldumrahmten Türen eher selten geöffnet, so etwa beim alljährlichen Tag der Offenen Tür.

Der NS-Geschichtspfad ließe sich gleich hinter dem Finanzgarten fortsetzen – in die Ludwigstraße hinein. Nach Einschätzung von Nerdinger wissen die wenigsten Münchner, dass die Prachtstraße des Königs Ludwig I. nicht weniger als drei Gebäude aufweist, die von den Nazis erschaffen wurden und in deren Interesse funktionierten: Das heutige Landwirtschaftsministerium war Zentralministerium und Sitz des Gauleiters, die Landeszentralbank schräg gegenüber war ein durch Hitlers München-Pläne erzwungener Neubau für Reichsfinanzminister Hjalmar Schacht, die Fakultät für Betriebswirtschaft am Siegestor hatte NS-Justizminister Hans Frank als "Haus des Deutschen Rechts" hochziehen lassen.

Es gibt übrigens einen "ThemenGeschichtsPfad" zum Nationalsozialismus in München. Das Heft wurde 2010 vom Kulturreferat herausgegeben. Es beschreibt insgesamt 50 Stationen, die meisten rund um den Karolinenplatz. Keine einzige davon befindet sich in der Prinzregenten- oder in der Ludwigstraße

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