Nazi-Morde: Der Geheimdienst-Skandal
Immer dringender werden die Fragen an den Verfassungsschutz gestellt: Wie konnte die Terrorzelle so ungestört agieren?
MÜNCHEN Ein guter Verfassungsschützer weiß, welche verfassungsfeindlichen Umtriebe am Werk sind. Das ist sein Job. Nun gerät der Verfassungsschutz in Deutschland immer stärker in die Kritik, denn seine Mitarbeiter haben im Fall der neonazistischen Gruppe in Thüringen offenbar gravierende Fehler gemacht. Immer dringlicher werden die Fragen gestellt:
Wie konnte die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ um Uwe Böhnhardt (†34), Uwe Mundlos (†38) und Beate Z. so lange unentdeckt agieren und töten? Warum konnten sie Ende 90er, als sie bereits als rechtsextreme und gewaltbereite Bombenbauer bekannt waren und mit Haftbefehl gesucht wurden, quasi vor der Nase des Thüringer Verfassungsschutzes untertauchen? Neun Morde, mehrere Anschläge auf Ausländer und etliche Banküberfälle gingen seitdem auf ihr Konto.
Dass das Trio außerdem weniger abgeschirmt agierte als zunächst angenommen, zeigt nicht nur die Verhaftung des früheren NSU-Mitglieds Holger G.: Nach Informationen des ARD-Magazins „Fakt“ gab es auch einen Unterstützer in Sachsen. Der Mann aus Johanngeorgenstadt soll die Wohnung in Zwickau angemietet haben, in der die Verdächtige Beate Z. von Frühjahr 2001 bis Sommer 2008 unter falschem Namen lebte. Bekamen die Behörden von all dem wirklich nichts mit? Und was hat es mit dem Verfassungsschützer aus Hessen auf sich, der nach Informationen der „Bild“ an sechs der neun Tatorte war, wo die NSU Ausländer und eine Polizistin töteten (siehe unten)?
„Es ist ausgeschlossen, dass ein solches Treiben von nachweislich gefährlichen Rechtsextremen ohne Wissen der zuständigen Behörden passiert“, sagt Verfassungsrechtler Professor Christoph Gusy. Ob Informationen falsch bewertet oder vor der Polizei verheimlicht wurden – beides verstößt gegen die Vorschriften. Tatsächlich muss der Verfassungsschutz nicht alle strafrelevanten Vermutungen an die Polizei übermitteln – geht es aber um ein so schweres Verbrechen wie Mord, gibt es keinen Ermessensspielraum. Die gesammelten Informationen über das Trio und sein Umfeld füllen 24 Aktenordner im Landesamt Thüringen.
Eine Kommission unter Leitung des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, soll nun die Arbeit überprüfen und mögliche Fehler aufdecken. Das Image des Verfassungsschutzes jedenfalls ist beschädigt: Schon jetzt sprechen Politiker und Experten von einem der größten Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Bundestag soll das Thema in der nächsten Woche öffentlich diskutiert werden, bereits gestern nahm das Parlamentarische Kontrollgremium seine Arbeit auf – in nicht-öffentlicher Sitzung. Der Vorsitzende Gremiums, Thomas Oppermann (SPD) verlangt bereits Akteneinsicht von den Verfassungsschutzbehörden in Thüringen und Hessen.
Er bezeichnete die Vorgänge als „schockierend“, es habe in jedem Fall Ermittlungspannen gegeben. Der Sachverhalt müsse so gründlich aufgeklärt werden wie kein anderer. „Wenn der Verfassungsschutz eine mitwirkende oder schützende Rolle gespielt hätte, wäre das ein unglaublicher Skandal.“ Damit ist auch die Debatte über die Rolle von V-Leuten neu entfacht. Für Oppermann sei unbegreiflich, dass V-Leute „auch noch als Scharfmacher in der neonazistischen Szene vom Staat bezahlt werden“.
Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder äußerte sich kritisch über den Einsatz von V-Leuten: Wenn diese Praxis kaum Erfolg habe und zugleich ein NPD-Verbotsverfahren dadurch scheitern könnte, „müssen wir dieses Instrument ernsthaft auf den Prüfstand stellen“. Für Verfassungsrechtler Christoph Gusy ist allerdings klar: „Ganz ohne V-Leute würden Verfassungsschutz und Polizei nicht auskommen.“ Unterdessen lässt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) prüfen, ob weitere Straftaten auf das Konto der NSU gehen – dabei könnte auch herauskommen, wer noch verstrickt ist.