Nazi-Auktion in München: Alles nur geklaut?

Wem gehören die Nazi-"Souvenirs" der NS-Größen, die am Wochenende in München unter den Hammer kommen sollen? Findet die Versteigerung überhaupt noch statt?
von  Helmut Reister
DIe Angeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß: (v. l.) 1. Reihe Göring, Hess, von Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Franck, Frick, Steicher und Funk - 2. Reihe Dönitz, Raeder, von Schirach, Sauckel, Jodl, von Papen, Seyss Inquart, Speer und von Neurath.
DIe Angeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß: (v. l.) 1. Reihe Göring, Hess, von Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Franck, Frick, Steicher und Funk - 2. Reihe Dönitz, Raeder, von Schirach, Sauckel, Jodl, von Papen, Seyss Inquart, Speer und von Neurath. © US Holocaust Memorial Museum/John W. Mosentha

Am Wochenende soll der anrüchige, von deutlicher Kritik begleitete Deal im Münchner Auktionshaus „Hermann Historica“ wie geplant über die Bühne gehen: Privatgegenstände und gruselige Relikte von Nazi-Verbrechern gegen Bares. Die Show im Schlagschatten des Hakenkreuzes hat viele Tücken. Eine davon: Mehrere der Objekte, die jetzt unter den Hammer kommen sollen, wurden allem Anschein nach geklaut.

Hermann Göring, ein Gratwanderer zwischen Macht und Dekadenz, war der höchstrangige Nazi, der nach dem Krieg vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg stand – und zum Tod verurteilt wurde. Zwei Stunden vor seiner geplanten Hinrichtung, am 15. Oktober 1946, kam der rund um die Uhr von ausgesuchtem US-Militärpersonal bewachte VIP-Häftling dem Henker mit einer Zyankali-Kapsel zuvor. Selbstmord!

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Wie der einstige Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe an die Giftampulle kam, konnte damals nicht mit Sicherheit geklärt werden. Vieles spricht dafür, dass es der US-Wachsoldat Tex Wheelis war, der Göring die gläserne Zyankali-Kapsel, von der Splitter im Mund der Leiche gefunden wurden, zugesteckt hat. Aber es gibt auch noch andere in Frage kommenden Varianten.

Ein US-Armeearzt im Fokus

Sicher dagegen ist, dass John K. Lattimer nach Görings Selbstmord in dessen Zelle war. Der junge US-Armeearzt, der an der medizinischen Betreuung der inhaftierten Nazi-Kriegsverbrecher beteiligt war, wurde mit der Untersuchung von Görings Leichnam betraut. Hat er bei dieser Gelegenheit geklaut?

Zu den vielen NS-Relikten, die bei der Auktion am Wochenende den Besitzer wechseln sollen, gehören nicht nur so skurrile Habseligkeiten wie eine überdimensionierte Unterhose Görings oder ein Teil des Stricks, mit dem Nazi-Größen wie Julius Streicher hingerichtet wurden, auch ein kleiner Metallbehälter ist im Angebot zu finden. In der Hülse soll die tödliche Giftampulle, mit der sich Göring das Leben nahm, aufbewahrt worden sein.


Vize-Chefankläger im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess: Robert Kempner (1899-1993). Foto:

US Holocaust Memorial Museum/John W. Mosenthal

Strick, Ampulle, Unterhose: Diese und zahllose andere ähnliche Überbleibsel aus dem Nahfeld der Nazi-Größen stammen aus der Sammlung von John K. Lattimer, der nach dem Krieg in Amerika zu einer Berühmtheit wurde, Prominente wie Greta Garbo und Charles Lindbergh zu seinen Patienten zählte und auch John F. Kennedys Leichnam im Auftrag der Familie untersuchte. Seine verbissene, geradezu makabere Sammlerleidenschaft, die sich in tausenden Objekten niederschlug und sein Haus fast zum Bersten brachte, war dennoch sein ständiger Begleiter.

In der schwer durchschaubaren Grauzone beim weltweiten Handel mit Devotionalien aus der NS-Zeit sind bereits in der Vergangenheit mehrfach Objekte aufgetaucht, die in einem engen Bezug zu den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen stehen, als einmalige Beweisstücke aber eigentlich in den Asservatenkammern der US-Justiz zu finden sein müssten. Ein Name taucht dabei immer wieder auf: Robert Kempner.

US-Behörden beschlagnahmten einen Teil von Kempners Nachlass

Als einer der US-Chefankläger spielte Robert Kempner bei den Nürnberger Prozessen eine zentrale Rolle. Seit wenigen Jahren steht darüber hinaus fest, dass der bereits verstorbene Star-Jurist auch beim Umgang mit den Akten des epochalen Gerichtsereignisses eine „leichte Hand“ pflegte und viele Schriftstücke mitgehen ließ, darunter so brisantes Material wie das Tagebuch des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, der jahrelang den Kunstraub der Nazis organisierte und auch am Abtransport des Bernsteinzimmers beteiligt war.

Ein erheblicher Teil der zweifelhaften Hinterlassenschaft von Robert Kempner tauchte bei einem US-Altwarenhändler auf und wurde von den US-Behörden beschlagnahmt. Akten und Beweismittel der Nürnberger Prozesse, so die damalige Argumentation der amerikanischen Behörden, seien nach wie vor Eigentum der amerikanischen Staaten. Sind davon auch Objekte der Münchner Auktion betroffen?

Auf der Homepage des Auktionshauses wird das zweifelhafte Angebot aus der NS-Zeit beschrieben. Dazu zählen auch „Abschriften geheimer Abhörprotokolle von Gesprächen der Gefangenen, ein großformatiges Fotoalbum, mehr als 330 zeitgenössische Fotografien deutscher Geheimdokumente“. Genannt wurde auch der Name des (ehemaligen) Besitzers: Robert Kempner.

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