Namenslisten: Dehoga-Chef empört über planlose Zettelwirtschaft

Wie oft Kontaktlisten abgerufen werden, weiß offenbar niemand. Das sorgt für Ärger.
von  Ralf Müller
Zettel des Anstoßes: ein Kontaktformular.
Zettel des Anstoßes: ein Kontaktformular. © imago/SKATA

München - Die Zettelwirtschaft war gigantisch: Bis zum neuerlichen Lockdown mussten in der Gastronomie täglich Hunderttausende Gästedaten erfasst werden, um gegebenenfalls Corona-Infektionswege nachvollziehen zu können. Es gab Probleme mit dem Datenschutz wegen offen ausgelegter Listen und die Politik belegte Falschangaben à la "Donald Duck" mit Bußgeldern.

Jetzt drängt sich der Verdacht auf, dass die Datensammlungen eher der Polizei bei der Strafverfolgung als den Gesundheitsbehörden nützlich waren.

War die Datensammlung verhältnismäßig?

Stichprobenartige Nachfragen bei einzelnen Gesundheitsämtern im Freistaat deuten darauf hin, dass die seit Mai bestehende Pflicht der Gastwirte, Gästelisten zu führen, für die Pandemie-Bekämpfung von begrenztem Nutzen ist, so dass sich die Frage der Verhältnismäßigkeit aufdrängt.

Im Landkreis Straubing-Bogen sei bisher ein Mal auf die Daten aus Gaststätten zurückgegriffen worden, teilte der Sprecher des Landratsamts mit. Im Rahmen der Kontaktpersonenermittlung schaue man sich diese Dateien nur an, wenn sich eine infizierte Person im ansteckungsfähigen Zeitraum dort aufgehalten habe, dies auch mitteile "und aus der Art des Aufenthalts und der Mitteilung davon auszugehen ist, dass es dort Kontaktpersonen der Kategorie 1 gibt".

Namenslisten "sehr hilfreich"

"Bislang gab es noch keinen Anlass für das Gesundheitsamt Aschaffenburg, auf die gesammelten Kontaktdaten aus der Gastronomie zuzugreifen", beschrieb das dortige Landratsamt seine Null-Meldung. Das Referat für Gesundheit und Umwelt in München bezeichnete die Namenslisten der Gaststätten als "sehr hilfreich" und "zwingend notwendig zur Unterbrechung der Infektketten", konnte aber nicht sagen, wie oft diese Listen von den Behörden angefordert wurden: "Die Struktur der Datenbank erlaubt keine Filterung nach diesen Informationen", so eine Sprecherin. Der dazu notwendige Aufwand sei "in der aktuellen Pandemie-Situation nicht zu leisten".

Vergleichbares teilte auch das bayerische Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Eine genaue Statistik, in wie vielen Fällen die Kreisverwaltungsbehörden im Zuge des "Contact Tracing" auf die Gästelisten zurückgegriffen haben, sei dem Ministerium "nicht bekannt".

Martin Hagen (FDP): "Keine Evaluierung"

Eine ähnliche Auskunft hatte auf eine Anfrage hin auch der Chef der FDP-Fraktion im bayerischen Landtag Martin Hagen erhalten und sich empört gezeigt. Nach einem halben Jahr keine Auskunft über die Sinnhaftigkeit der Gästelisten geben zu können, sei ein grundlegendes Defizit der bayerischen Corona-Politik: "Es findet keine Dokumentation und keine Evaluierung statt", so Hagen zur AZ. Dabei sei es ein Dreivierteljahr nach Beginn der Pandemie an der Zeit, sich "nicht mehr von Bauchgefühl, sondern von Daten und Fakten leiten" zu lassen.

Mindestens ebenso empört ist Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Man sollte erwarten, dass die Regierung weiß, ob eine von ihr eingeführte Maßnahme tauglich ist oder nicht, so Geppert. Spätestens nach dem zweiten Lockdown müsse man dies hinterfragen dürfen, zumal jede Maßnahme verhältnismäßig sein müsse.

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