Nach Versorgungschaos auch in München: Situation in Kinderkliniken wieder angespannt

München - Viele Eltern erinnern sich noch an die Zustände vor einem Jahr: Grippe, Corona und vor allem das RS-Virus, das gerade den Atemtrakt von Kinder stark befällt, grassierten im Herbst/Winter 2022 stark. In der Rettungsleitstelle standen die meisten Kinderkliniken auf rot, was bedeutet: Keine Betten frei, bitte keine Patienten bringen! Teils mussten Kinder Hunderte Kilometer durch Bayern gefahren werden, damit sie irgendwo noch ein freies Klinikbett bekamen.
Und dieses Jahr? Will der Freistaat unbedingt gegensteuern. "Wir müssen alles dafür tun, dass wir diesen Winter nicht die gleiche dramatische Lage in den Kinderkliniken haben wie vergangenen Dezember", sagte der damalige bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Sommer. Also wurde ein 5-Millionen-Euro-Paket für Kinderkliniken aufgelegt. Außerdem wurde das Projekt "Virtuelles Kinderkrankenhaus" gestartet, das die Vernetzung der Kliniken und den Austausch über mögliche freie Betten erleichtern soll. Dazu kam ein 300-Millionen-Paket des Bundes, mit dem deutschlandweit Kinderkliniken unterstützt werden sollten.
Die bayerische Förderung ist dabei gut angelaufen: Bayernweit hätten Kinderkliniken 93 Anträge gestellt, etwa um Überwachungsmonitore oder Patienten-Monitoring-Systeme anzuschaffen, und damit die fünf Millionen Euro nahezu vollständig ausgeschöpft, teilt das Bayerische Gesundheitsministerium auf AZ-Anfrage mit. Erste Mittel in Höhe von gut 200.000 Euro seien bereits ausgezahlt.
Auch die technische Ausstattung für das "virtuelle Kinderkrankenhaus" sei in fast allen Kinderkliniken und Krankenhäusern mit pädiatrischen Fachabteilungen installiert. "Das Netzwerk steht somit und kann im Laufe des Dezembers in Betrieb gehen", so das Ministerium. Gleichzeitig ist man sich im Ministerium bewusst: Die besten Systeme nutzen nichts, wenn sie nicht am Laufen gehalten werden können. Wenn Versorgungsengpässe entstehen, liegt dies regelmäßig an einem "generellen – und im Winter krankheitsbedingt noch einmal verschärften – Personalmangel".
Ähnliche Versorgungsengpässe befürchtet wie 2022
Unter anderem deshalb befürchtet etwa Florian Hoffmann ähnliche Zustände wie im Vorjahr, "mit temporärer Überlastung der Kinderintensiv- und -notfallmedizin". Er ist Oberarzt auf der Kinderintensivstation am Haunerschen Kinderspital der LMU in München sowie Viz-Präsident der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). "Die Kinderintensivmedizin war jetzt den ganzen Sommer über am Limit", sagt er im Gespräch mit der AZ. Normalerweise könnten die Kliniken im Sommer auch mal durchatmen und hätten Betten frei.
"Das ist gerade der Anfang jetzt": Wellen stehen bevor
Und nun stehe die schwierige Zeit erst noch bevor. Denn: "Die Viruswelle ist derzeit noch nicht angekommen", sagt er, da sich diese wegen des verspäteten Herbstes 2023 höchstwahrscheinlich nach hinten schieben werde. Im Moment verzeichneten die Kliniken vermehrt normale Husten- und Schnupfenviren, auch mal eine Covid-Erkrankung, nun beginnend auch Fälle des RS-Virus.
"Es treten aktuell bereits gehäuft Infektionen mit RSV und mit anderen Atemwegsviren auf", teilen die städtischen Kliniken in München auf AZ-Anfrage mit. "Das ist jetzt der Anfang", sagt Hoffmann. Auch die Grippewellen kämen meistens erst im Januar.
München sei traditionell stark von Versorgungsengpässen betroffen, denn: "Vor allem in den Ballungsräumen, wo das Leben teurer ist, stehen oft anteilig weniger Betten zur Verfügung als auf dem Land, weil die Pflegekräfte sich das Leben hier nicht leisten können und fehlen", sagt Hoffmann. "Wir werden höchstwahrscheinlich wieder kritisch und chronisch kranke Kinder aus den großen Zentren in die Peripherie verlegen müssen." Das gegenseitige Aushelfen mit Krankenhausbetten sei "in saisonalen Hochphasen ein funktionierendes Sytem", teilen die städtischen Kliniken dazu mit.
Funktionierend ja, aber natürlich auch fehleranfällig, wenn ständig am Limit. Damit Verlegungen bei großem Andrang nicht mehr nötig wäre, seien auf politsicher Ebene größere Strukturreformen erforderlich, sagt Hoffmann, Stichwort Pflegekräftemangel. Die Förderpakete fungierten eher wie Pflaster. So sei zwar zum Beispiel von den 300 Millionen Euro Bundeshilfe in jeder Klinik ein Anteil angekommen, sagt Hoffmann. Aus seinen Gesprächen mit Klinikvertretern im ganzen Land weiß er: Das Geld wurde häufig dazu verwendet, um Defizite zu stopfen. "Vielleicht haben wir davon profitiert – weil ein oder zwei Stellen nicht gestrichen wurden, die sonst weggefallen wären."
Anders verhielt es sich eben mit der Hilfe des Freistaats, wie Matthias Keller, Chefarzt der Kinderklinik im niederbayerischen Passau erklärt. So seien die fünf Millionen Euro aus dem Fördertopf etwa häufig für den Kauf von Sauerstoffgeräten eingesetzt worden – gerade die seien bei den bei Kindern häufigen Atemwegserkrankungen elementar und eben beim Andrang im vergangenen Winter knapp geworden.
Möglicherweise schwächere RSV-Welle dieses Jahr
Auch das "virtuelle Kinderkrankenhaus" erleichtere die Zusammenarbeit. "Natürlich müssen die Eltern möglicherweise immer noch weit fahren für ein freies Bett", sagt Keller. "Aber sie wissen es früher." Und die Klinikmitarbeiter hingen nicht mehr stundenlang in Telefonschleifen, um irgendwo in Bayern noch ein freies Bett in einer Kinderklinik aufzutreiben.
Momentan sei auch in Passau die Lage noch kontrolliert, keine Ausnahmesituation. "Aber die Modelle sagen hohe Wellen hervor, gerade ab Weihnachten", sagt Keller. Er sagt auch: Vernünftige Prognosen aufzustellen sei immer schwierig. In der Tat sei es so, dass das RS-Virus in Wellen auftrete – da die Welle im letzten Jahr außergewöhnlich stark war, könnte es sein, dass sie dieses Jahr schwächer ausfalle. "Aber das kann man aktuell noch nicht abschätzen."
Auch gebe es die wissenschaftliche Vermutung, dass die Welle 2022 ganz besonders stark gewesen sei, da es wegen der Coronaschutzmaßnahmen bei Kindern "Nachholeffekte" gebe. Etwa weil Kinder ihren Immunschutz wegen der Lockdowns nicht aufbauen konnten wie gewohnt. Allerdings: Gewissheit gibt es nicht.
Impfempfehlungen könnten die Situation entspannen
Auch Florian Hoffmann von Haunerschen Kinderspital hofft angesichts des harten Vorjahrs auf einen milden Verlauf der RS-Welle. "Auf der anderen Seite sehen wir, dass es auf der Südhalbkugel, zum Beispiel in Australien, große Probleme mit der normalen Grippe gab", sagt er. Es könnte ein Hinweis sein, was den Kliniken im Winter auf der Nordhalbkugel drohen könnte. "Wir werden sehen, wie das bei uns läuft."
Gemeinsames Ziel müsse sein, die Infektionswellen zu minimieren. "Hier könnten Impfungen gegen Grippe helfen", sagt Hoffmann. Mit Spannung erwartet er Ergebnisse aus den USA, Spanien und Frankreich, wo Neugeborene eine Einmaldosis eines Antikörpers erhalten.
Bei all der Ungewissheit - was können Eltern tun? Am besten zuerst den Kindearzt bzw. Hausarzt kontaktieren, teilen die städtischen Kliniken in München mit. "Ruhe bewahren, Kind beruhigen, Fieber senken", empfiehlt eine Sprecherin auf AZ-Anfrage. Das Kind am besten hoch lagern, nicht allein lassen und Panik nehmen, denn: "Elterliche Ruhe überträgt sich auf das Kind." Bei akuter Verschlechterung außerhalb der Sprechzeiten dann in die Notaufnahme fahren.
Matthias Keller vom Kinderklinikum Passau rät: Nicht ausflippen. "Aus meiner Sicht ist es wichtig, Geduld und Verständnis für das Personal zu haben", sagt er. Die Krankheitswellen träfen ja nicht nur Eltern, auch die Mitarbeiter in den Kliniken stünden unter Anspannung – manchmal sogar doppelt, weil eben auch viele Klinikmitarbeiter selber Eltern seien. "Man sollte nicht vergessen: Wir sind Menschen, die sich um Menschen kümmern", sagt Keller. Wertschätzung für das, was Ärzte und Pflege leisten, helfe immer. "Dann werden die Kinder auch gut versorgt."