Nach über 50 Jahren: Traditions-Laden in München schließt

München - Sobald sich die Tür schließt, ist das Rauschen des Verkehrs auf der Gabelsbergerstraße ausgesperrt. Stattdessen umfängt den Besucher der Geruch nach altem Papier. Nahezu jeder Zentimeter der Wände im Antiquariat Hofmann ist bedeckt mit Büchern auf Regalen, die bis an die Decke reichen. An die oberen Fächer kommt man ohne Leiter nicht heran.
Sogar über dem Durchgang in den hinteren Raum reihen sich noch Bücher aneinander. Rund 20.000 Stück müssen es sein, sagt Inhaberin Gudrun Hofmann. Ob sie ein Lieblingswerk in ihrem Laden hat? Sie lacht und winkt ab. "Dafür sind es zu viele." Mehr als 50 Jahre lang war Hofmanns Antiquariat eine Anlaufstelle für alle, die etwas Besonderes suchten, ein Paradies für Buchliebhaber. Anfang Juni jedoch schließt es seine Tür für immer.

Aufgebaut hat den Laden ihr Mann. 1972 mietete er die Räumlichkeiten eines alten Schreibwarengeschäfts an. "Dort haben ältere Herrschaften noch für die Schule eingekauft", erinnert sich Gudrun Hofmann. Anfangs verkaufte ihr Mann im vorderen Teil noch Stifte und Notizbücher, lediglich im hinteren Bereich bot er bereits Bücher an. Er hatte Germanistik und Kunstgeschichte studiert und sich schon immer für Literatur interessiert, erzählt Gudrun Hofmann.
Schließlich entschied der Geschäftsmann sich dazu, die Schreibwaren aufzugeben und sich ganz dem Antiquariat zu widmen. Seine Expertise war dabei hilfreich und von den Kunden geschätzt, wie seine Frau sagt. "Mein Mann hat sich gerne mit ihnen unterhalten. Sie haben oft stundenlang über Literatur gesprochen."
Auch Bücher über Pferdeausbildung oder Architektur stehen in den Regalen
Sukzessive kaufte der Antiquar Bücher zu, meist aus Privatbibliotheken und auf Auktionen. Dabei achtete er laut Gudrun Hofmann darauf, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist, egal ob Romane oder Werke über Kunst und Architektur, Psychologie oder Religion. So kommt es, dass man neben Werken von Goethe, Tolstoi oder Poe in den dunklen Holzregalen auch Bücher über Pferdeausbildung, Tauchsport oder Entwicklungspsychologie findet.

Auch regelrechte Schätze birgt das Antiquariat: Besondere Werke wie Erstausgaben oder seltene Bücher kosteten früher durchaus einmal 1000 Mark. Aufwendig illustrierte Bände führt Gudrun Hofmann ebenfalls. Aktuell verkauft sie unter anderem eine Ausgabe von Pablo Nerudas "Aufenthalt auf Erden" mit Holzschnitten des Grafikers HAP Grieshaber. Ganze Jahrgänge der Zeitschrift Simplicissimus sind dagegen schon vergriffen. Übrig sind dafür noch einige Bücher von Karl May, hübsch verziert mit kunstvoll gemalten Bildern auf dem Einband. In einem hohen Regal am Eingang findet sich unter anderem eine Lessing-Ausgabe aus dem Jahr 1858.
Gudrun Hofmann hat den Laden 2016 übernommen, als ihr Mann starb. "Ich habe es nicht übers Herz gebracht, aufzuhören", erinnert sie sich. Auch Kunden hätten sie ermutigt, das Vermächtnis weiterzuführen. Die nötige Erfahrung hatte Hofmann bereits, zuvor hatte sie immer wieder ihren Mann vertreten und selbst im Buchhandel gearbeitet.
Nun möchte der Vermieter die Räumlichkeiten umbauen. Hofmann könnte zwar bleiben, wie sie berichtet. "Aber ich habe die Gelegenheit am Schopf gepackt. Sonst hätte ich ewig so weitergemacht." Sie sei schließlich nicht mehr die Jüngste, sagt sie. Ihr genaues Alter will Hofmann nicht verraten, nur so viel: Über 80 ist sie bereits. Bis Anfang Juni will die Antiquarin nun noch so viele Bücher wie möglich verkaufen.

Stundenlang könnte man stöbern in Hofmanns Laden und dabei immer wieder Neues entdecken. Manche Kunden tun das auch, wie die Inhaberin erzählt. Einige brächten große Taschen mit und schauen sich dann zwei, drei Stunden um. Andere fragen gezielt nach bestimmten Autoren. "Die Interessen sind gemischt", sagt Hofmann. Überwiegend findet man in ihrem Antiquariat zwar Bücher, aber auch zwei andere Artefakte stehen zum Verkauf.
Zum Verkauf steht auch eine alte Wahrsagefigur aus Afrika
In einem Durchgang hängt ein dicker Mantel aus hellem Leder, über und über bestickt. Er wurde 1909 in Siebenbürgen im heutigen Rumänien gefertigt. Hofmanns Ehemann hat ihn ihr geschenkt. Einmal hatte sie ihn im Winter im Englischen Garten an, erinnert sie sich. Erinnerungen stecken auch in einer afrikanischen Skulptur, die im Schaufenster auf einen neuen Besitzer wartet. Die Wahrsagefigur wurde laut Hofmann vom Stamm der Senufo an der Elfenbeinküste gefertigt. Vor rund 50 Jahren kaufte das Ehepaar sie auf einer Reise.
Kurz nach Öffnung des Antiquariats betritt ein Mann den Laden. Ob er schon einmal hier war, fragt Hofmann. Ja, vor ungefähr 20 Jahren muss das gewesen sein, schätzt der Kunde. Nun habe er gelesen, dass das Geschäft schließe. "Es gibt ja kaum noch Antiquariate", sagt er, das Bedauern ist ihm anzuhören. Der Kunde ist eigens aus Ravensburg angereist. Dort habe das letzte Antiquariat bereits vor zehn Jahren geschlossen.

Tatsächlich haben die Läden es nicht leicht. "Es war mal ein gutes Geschäft, ehe das Internet uns dazwischen geschossen ist", sagt Hofmann. Trotzdem kämen noch immer auch junge Leute zu ihr, die noch literarisch interessiert seien. Wie zur Bestätigung betritt ein junger Mann den Laden und erkundigt sich bei Hofmann nach geschichtlichen Werken und Klassikern. Wenig später verschwindet er ebenso wie der Kunde aus Ravensburg in den Tiefen des Ladens. Der ältere kehrt nach einiger Zeit zurück und nimmt mit einem Buch auf dem Sofa Platz.
Das Antiquariat hat auch Bücher, die es im Internet nicht zu finden gibt
Wie die beiden sind in den vergangenen Tagen viele Kunden gekommen, um sich zu verabschieden und noch ein letztes Mal in Hofmanns Welt der Bücher zu versinken. Trotzdem sind noch immer mehrere Tausend Bücher übrig in Hofmanns Laden. Was mit ihnen nach der Schließung passiert, weiß sie noch nicht – sie hofft, im Ausverkauf mit 50-prozentiger Reduzierung noch viele Käufer zu finden.
Ein letztes Mal Stöbern lohnt sich also in jedem Fall, trotz der scheinbar übermächtigen Konkurrenz aus der digitalen Welt. "Manche Kunden sagen: Hier finde ich Sachen, die ich im Internet nicht finde", erzählt Hofmann. Das warme Gefühl beim Betreten des Ladens, den Geruch des alten Papiers, die Expertise einer Buchhändlerin – das alles kann ohnehin kein Onlineshop ersetzen.