Interview

Nach Gewalttat von München: Warum ein Strafrechtler mehr Zurückhaltung von Söder fordert

Droht dem Angreifer bald eine Abschiebung? Ein Strafrechtler aus München erklärt, warum die juristische Aufarbeitung der Gewalttat andauern wird. Von Ministerpräsident Markus Söder wünscht er sich künftig eine bessere Krisenkommunikation.
von  Alexander Spöri
Bei diesem Abschiebeflug sind 45 afghanische Flüchtlinge nach Kabul transportiert worden.
Bei diesem Abschiebeflug sind 45 afghanische Flüchtlinge nach Kabul transportiert worden. © Michael Kappeler/dpa

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde vor dem Bekanntwerden des Todes der zwei Opfer am 16.2. geführt.

München - Der 24-jährige Farhad N. sitzt nach seinem Angriff auf eine Kundgebung der Gewerkschaft Verdi in München bereits hinter Gittern. Der Ermittlungsrichter ordnete am späten Freitagnachmittag Untersuchungshaft an und überstellte den afghanischen Staatsbürger einer Justizvollzugsanstalt. Warum er einen Tag zuvor mehr als dreißig Menschen zum Teil schwer verletzt hat, ist nach wie vor unklar.

In Interview mit der Abendzeitung teilt ein Strafverteidiger aus der bayerischen Landeshauptstadt seine Einschätzung, wie jetzt voraussichtlich weiter ermittelt wird, welche Konsequenzen dem jungen Mann drohen und wann der Fall letztlich vor Gericht landen könnte.

Mit dem Tod von Opfern: Dann "liegt ein vollendetes Delikt vor"

AZ: Herr Bethäuser, ein afghanischer Staatsbürger mit Aufenthaltsrecht, ist am Donnerstag mit einem Auto in eine Menschenmenge in München gerast. Könnte man den jungen Mann jetzt in sein Heimatland abschieben?
FRANZ BETHÄUSER: Jetzt muss der Sachverhalt erstmal ermittelt werden, möglicherweise ist auch zu prüfen, ob der Mann psychisch auffällig ist. Unter Umständen ist ein aufwendiges psychiatrisches Gutachten zu erstellen. Erst dann wird Anklage, unter anderem wegen der Vielzahl an versuchten Tötungsdelikten, erhoben. Sollte das schwerst verletzte Kind nicht überleben, liegt ein vollendetes Delikt vor. Schließlich wird die Anklage vom Gericht zugelassen und verhandelt. Bis zum Urteil wird man wohl mit einer Abschiebung warten.

Der frühere Lehrbeauftragte der LMU, Franz Bethäuser, verteidigt als Strafverteidiger Geflüchtete, die gerade ein Asylverfahren durchlaufen oder denen die Abschiebung – unter anderem nach Afghanistan – droht.
Der frühere Lehrbeauftragte der LMU, Franz Bethäuser, verteidigt als Strafverteidiger Geflüchtete, die gerade ein Asylverfahren durchlaufen oder denen die Abschiebung – unter anderem nach Afghanistan – droht. © dpa

Strafverteidiger kritisiert Kommunikation von Markus Söder und Joachim Herrmann: "Die Worte Anschlag oder Terror sollten nicht sofort fallen"

Wie wichtig es ist, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wurde nach der Tat offenkundig. Innenminister Joachim Herrmann und Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU) kommunizierten falsche Informationen an die Öffentlichkeit. Die Regierenden sagten, der Mann sei bereits zuvor kriminell in Erscheinung getreten. Von all dem hielt kaum etwas stand. Trotzdem spricht man jetzt schon von einem "islamistischen Motiv".
Man müsste sich anfangs viel mehr zurückhalten. Die Worte Anschlag oder Terror sollten nicht sofort fallen. Ich finde es verheerend, wenn man Erklärungen ins Blaue hinein abgibt – ohne die Details zu kennen. Stattdessen müsste man sich die Frage stellen, warum jemand, der hier einen rechtmäßigen Aufenthalt in Form einer sogenannten Fiktionsbescheinigung hat, solche Taten begeht und wie er sich radikalisiert hat.

Markus Söder bei dem Gedenken nach dem Angriff in München: Am Donnerstagnachmittag gab er zunächst falsche Informationen an die Öffentlichkeit.
Markus Söder bei dem Gedenken nach dem Angriff in München: Am Donnerstagnachmittag gab er zunächst falsche Informationen an die Öffentlichkeit. © IMAGO/Matthias Gränzdörfer (www.imago-images.de)

Wenn sich das Motiv bestätigt, müsste der Täter einen Großteil der Strafe nicht absitzen.
Das ist richtig, wenn die Staatsanwaltschaft auf die Vollstreckung der Strafe verzichtet. Allerdings wird üblicherweise nur auf die Vollstreckung einer Reststrafe verzichtet und nicht bereits nach wenigen Monaten im Gefängnis abgeschoben. Zurecht will und darf man nicht auf den Strafanspruch des Staates weitgehend verzichten.

Nächster Abschiebeflug nach Kabul: "Täter aus München wird ziemlich sicher nicht mitfliegen"

Vorausgesetzt, es fliegt dann eine Maschine nach Kabul.
Bisher gab es einen einzigen Flug, um den sich Frau Faeser gekümmert hat. Ermöglicht wurde er über eine Fluggesellschaft aus Kuwait. Deutschland kann das offenbar gar nicht alleine arrangieren, weil es keine offiziellen Beziehungen zu den Taliban gibt. Die Kuwaits haben das also bisher abgewickelt – und Frau Faeser plant Ähnliches wieder: Sie hat angekündigt, noch einen Abschiebeflug arrangieren zu wollen. Da wird der Täter aus München ziemlich sicher nicht mitfliegen.

Viele fragen sich, warum der Afghane noch hier war. Er hatte bereits einen Asylantrag in Italien gestellt – und dann nochmals in Deutschland. Der wurde dann abgelehnt, doch der junge Mann erhielt ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitsgenehmigung.
Wenn man abgelehnt wird, gibt es zwei Optionen: Der Geflüchtete wird entweder abgeschoben oder das ist aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht möglich. Dann bekommt er unter Umständen eine Duldung und später – nach etwaiger Ausbildung und Arbeitstätigkeit – einen Aufenthaltstitel. Eine Duldung bekommt man zum Beispiel, wenn man sich um sein Kind kümmert, minderjährig oder krank ist.

Trauernde legen Blumen und Kerzen Tatort in München nieder.
Trauernde legen Blumen und Kerzen Tatort in München nieder. © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON

Für welchen Zeitraum werden Duldungen oder befristete Aufenthaltstitel ausgestellt?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Personen, die bekommen zehn Jahre lang immer nur eine Duldung – obwohl das gesetzlich nie so gedacht gewesen ist, denn Duldung heißt Aussetzung der Abschiebung. Ursprünglich sollte man Duldungen erteilen, wenn Geflüchtete ihren Arbeitsplatz kündigen, den Hausstand auflösen oder noch im Krankenhaus behandelt werden mussten. Mittlerweile hat sich das verselbstständigt als Aufenthaltserlaubnis auf unterster Ebene.

Menschen in Asylunterkünften sollen mehr Hilfe bekommen: "Müssen herausfinden, ob jemand psychisch krank ist oder sich radikalisiert"

Was würden Sie vorschlagen?
99,9 Prozent der Geflüchteten begehen keine Taten wie in München. Trotzdem darf es nicht sein, dass es immer wieder zu Verbrechen kommt. Wichtig wäre es, in den Unterkünften der Menschen herauszufinden, ob jemand psychisch krank ist oder sich radikalisiert.

Kapituliert man so nicht auch?
Der Staat muss akzeptieren, dass manches nicht optimal gelaufen ist. Wir müssten einen Schlussstrich ziehen und die Menschen, die hier sind, mehr unterstützen. Gerade Afghanen haben oft eine gute Beziehung zu Deutschland. Früher hat man dort Deutsch in den Schulen gelehrt. Die können sich im Regelfall auch gut integrieren. Vor allem die Kinder haben tolle Jobs und machen Karriere, weil sie motivierte Menschen sind.

Wenn man den Fall in München mit der Attacke in Mannheim Ende Mai 2024 vergleicht: Dort hat vor wenigen Tagen der Prozess begonnen. Wie geht es hier weiter?
Bis zum Verhandlungsbeginn vor Gericht wird es wohl einige Monate dauern. Genauso, bis über den Verbleib des Täters entschieden wird. Aber das ist man einem Rechtsstaat, den wir Gott sei Dank haben, auch schuldig.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bethäuser.

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