Nach dem Messerangriff in München: "Sind wir in Texas oder was?"
München – Die erste Politikerin, die hier auftaucht ist Julia Post (Grüne). Es ist Donnerstagabend. Sie sucht den direkten Kontakt zu den Leuten, die von der blutigen Attacke eines 40-Jährigen am Dienstag teils traumatisiert sind.
Post, im Stimmkreis Pasing gewähltes Mitglied des Bayerischen Landtags, geht zum Tatort. Die Leute wirken überrascht. "Sie sind was?", fragt einer verblüfft, "kommen Sie von der Polizei? Die Kripo war heute Nachmittag wieder hier", sagt ein anderer.
"Ich habe nichts gesehen", sagt Dönerverkäufer Martin hinter seiner engen Theke, neben dem Tatort, vor dem Friseurladen Duri. Inhaber Duri sitzt vor seinem Geschäft, macht Pause gegen 17 Uhr. Post stellt sich vor. "Wie geht es Ihnen nach allem?", fragt sie. "Es ist vorbei, muss weitergehen", sagt Duri. "Wir haben gerade mit meinem asiatischen Nachbarn über den Angriff gesprochen. Ich sagte halb im Scherz: Sind wir hier in Texas oder was?"

Duri, Jahrgang 1977, wohnt seit 26 Jahren in München und wuchs im nordirakischen Kirkuk auf, spricht fünf Sprachen, Deutsch, Türkisch, Arabisch, Aramäisch und Kurdisch. "Die Angegriffenen müssen jetzt im Mittelpunkt stehen", sagt er. Post nickt.
Duri ist gläubiger Christ, ein Aramäer, trägt sein Kreuz gut sichtbar an der Brust gekettet. Wer seinen Laden betritt, sieht ein 50 Zentimeter hohes, leuchtendes LED-Kreuz.
Duri wird in der Gleichmannstraße "Bürgermeister" genannt
Man kennt ihn in der Gegend. Der Geschäftsmann mit dem Spitznamen "Bürgermeister" ist dem Angreifer von Dienstag begegnet, als er auf die jungen Männer einstach.
Duri fragt sich: "Hätte der auch mich angegriffen, wenn ich mein Kreuz unter dem T-Shirt getragen hätte?" Um sich selbst habe er sich eh keine Sorgen gemacht. "Aber meine Tochter war hier, ich habe sie gleich in den Laden geschickt.
Jede Sekunde hat sich eingebrannt. "Ich bin rausgerannt und sah die beiden Verletzten, wir gaben ihnen Handtücher, um die Wunden abzudrücken", erzählt er Post. Wie er damit klarkomme, fragt sie. "Das bleibt jetzt erst einmal lange im Hinterkopf", sagt Duri.
Eigentlich hatte er sich darauf eingestellt, dass der Angreifer nochmal um sich sticht. "Aber der stellte sich einfach neben den Laden und blieb dort mit dem Messer in der Hand, bis die Polizei kam", erzählt Duri. Er fordert eine harte Strafe.
Post ruft zur Teilnahme an einer Mahnwache auf
Post fordert, dass die Zivilgesellschaft nach so einem Angriff zusammenhalten müsse, die Sicherheitsbehörden mit neuester Technik und genügend Personal ausgestattet werden, um solche Taten im Vorfeld schon zu verhindern. Sie ruft auch alle dazu auf, an einer Mahnwache vor Ort teilzunehmen, am Dienstag (30. Juli, 18 Uhr).
Freitagnachmittag veranstalteten der Münchner Migrationsbeirat und der Bund Türkischer Vereine in München eine Gedenkveranstaltung auf dem Pasinger Marienplatz. Rund 30 Personen waren vor Ort, stemmten Schilder in die Höhe ("Stoppt die Hetze gegen den Islam") und hielten Reden. Einige Teilnehmer zählten zum extremistischen und islamistischen Spektrum.
"In Deutschland muss man keine Angst haben"
Der Angreifer hatte offenbar vor der Tat rassistische Hassbotschaften über soziale Medien verbreitet. Und die Stimmung in einer Gesellschaft, in der eine rechtsextreme Partei wie die AfD bis zu 20 Prozent Umfragewerte hat, kippe spürbar, erzählen in der Gleichmannstraße drei junge Männer mit irakischen Wurzeln.
"Was willst du hier, geh zurück in dein Land", habe einer von ihnen zuletzt zu hören bekommen. Dennoch fühlen sie sich sicher. In Deutschland muss man keine Angst haben, sagen sie.