Nach Corona-Lockdown: München erlebt einen Baby-Boom

Mehr Münchnerinnen als sonst sind während der Ausgangssperren schwanger geworden. Dieser Kindersegen freut die Frauenärzte – und stellt sie und die Stadt aber auch vor Probleme.
von  Eva von Steinburg
Aufgrund der Corona-Ausgangssperreim Frühjahr erlebt München aktuell einen Baby-Boom. (Symbolbild)
Aufgrund der Corona-Ausgangssperreim Frühjahr erlebt München aktuell einen Baby-Boom. (Symbolbild) © imago

München - München steht still und die Münchner kuscheln sich in ihr Nest – das war der Eindruck während des Corona-Lockdowns in der Stadt. Hinausgehen war vom 21. März bis Anfang Mai nur mit triftigem Grund erlaubt. Die Folge: viel Zeit mit den Lieben daheim und lange Abende ohne Freunde und die üblichen Ablenkungen.

Gibt es nun in der Stadt einen kleinen Münchner Baby-Boom nach dem Corona-Lockdown? Anrufe bei Münchner Frauenarztpraxen bestätigen: "Also gefühlstechnisch heißt die Antwort eindeutig: Ja", sagt eine Arzthelferin in Moosach.

Münchner Frauenärzte stellen eine kleine Schwangerschaftswelle in der Stadt fest – ohne unbedingt die exakte Statistik zu kennen. Sicher ist, die plötzliche Nähe im häuslichen Kokon hatte klare Auswirkungen auf die Liebe: Sex-Toys haben jedenfalls während des Corona-Lockdowns einen Boom erlebt. Japan vermeldet vermehrte Teenie-Schwangerschaften.

Zukünftige Mütter freuen sich auf ihr "Corona-Baby"

Viele Frauenarztpraxen in München laufen im Moment "fast zu gut", sprich: Sie werden überrannt. Das liegt daran, dass Juli und August immer "kinderreich" sind, weil in diesen Monaten besonders viele Babys auf die Welt kommen.

Werdende Mütter erzählen aber auch schmunzelnd beim Baby-Ultraschall, wie sehr sie sich auf ihr "Corona-Baby" freuen, sagt die Münchner Frauenärztin Dr. Eiman Tahir.

"Ich beobachte seit Mai, dass mehr Schwangere kommen. Im Dezember kommen dann die ersten Corona-Babys auf die Welt. Das wird heftig werden", sagt die 54-jährige Gynäkologin, die ihre Praxis in der Sonnenstraße hat.

Die Ärztin schätzt: "Ich habe Minimum zehn Prozent Schwangere mehr." Wobei sie zu bedenken gibt: "Es sind aber auch ungewollte Schwangerschaften darunter. Ob diese Frauen wirklich entbinden, kann ich nicht sagen ", so Dr. Tahir.

Dr. Eiman Tahir mit einem Mini-Münchner.
Dr. Eiman Tahir mit einem Mini-Münchner. © Privat

Baby-Boom bringt auch einige Probleme für die Stadt

Experten haben geäußert, dass mehr Zeit und ein niedrigeres Stresslevel die Entstehung von Schwangerschaften während des Lockdowns gefördert hätten.

"Ich war selbst 14 Tage in Quarantäne, als Kontaktperson wegen einer Patientin. Es gab Zeit für die Liebe, keine Verpflichtungen, nichts zu tun, kein Kino, kein Programm," so die Frauenärztin.

Ihre nun schwangeren Patientinnen seien im Monat April weniger gehetzt gewesen und deren Männer waren mehr daheim. "Ich freue mich über viele Babys. Es wird aber auch viel Arbeit, und München ist nicht so gut gewappnet. Klinikbetten, Hebammen, Krippen und Schule: Von allem gibt es zu wenig. Das System platzt aus allen Nähten", kritisiert Dr. Tahir.

Mehr Corona-Schwangerschaften hält der Münchner Paartherapeut Stefan Ruzas (52) für möglich. Er hat jedoch widersprüchliche Eindrücke von der Corona-Romantik gesammelt: "Ein junges Paar ohne Kinder, das im Homeoffice war, hatte während des Lockdowns die Möglichkeit mittags zwischen zwei Zoom-Sitzungen intim zu werden. Auch wenn der Arbeitsweg wegfällt, ist in der früh dafür Zeit", erklärt er.

Auf der anderen Seite hat der Mitgründer der Praxis "Liebling und Schatz" erlebt, dass Münchner Paare mit Kindern durch die Corona-Zeit erheblich gestresster und "enervierter" sind, als normalerweise. Die räumliche Enge hat teilweise dazu geführt, dass man "gerade keine Lust aufeinander hat", meint Stefan Ruzas.

"Sehr deutliche" Schwangerschaftswelle in München

Die langen Abende zu zweit im Lockdown seien auch nicht – wie bei einem plötzlichen Stromausfall – mit dem romantischen Kick verbunden gewesen, bei dem ein Paar Kerzen anzündet und es sich gemütlich macht.

"Oft kamen Sorgen dazu, Probleme mit dem Wlan oder die Angst um den Arbeitsplatz," so der Paartherapeut.

Rein statistisch kommen pro Monat in jede Frauenarztpraxis in München zwischen sieben und acht Frauen mit einer neu aufgetretenen Schwangerschaft, informiert der Verband der Frauenärzte. Sind das im Juli einmal zehn, seien das alles "normale Schwankungen". "Auffällige Entwicklungen", stellt der Verband noch nicht fest.

Sechs Wochen nach dem Lockdown hat die Gemeinschaftspraxis von Dr. Julia Spreng in Schwabing die Schwangerschaftswelle allerdings "sehr deutlich" registriert. "Von Mai bis 16. Juli haben wir 36 Patientinnen gesehen, die neu schwanger sind. Und das, obwohl die Praxis eine Woche wegen Umbaus geschlossen war. Das sind neun mehr als im Vergleich zum Vorjahr", sagt die 50-jährige Frauenärztin.

"Wir haben die Schwanger-schaftswelle sehr deutlich gemerkt", sagt Dr. Julia Spreng.
"Wir haben die Schwanger-schaftswelle sehr deutlich gemerkt", sagt Dr. Julia Spreng. © Privat

In den Kliniken könnte es im Dezember eng werden

Ihre Theorie: "Das sind vor allem junge Paare, die sowieso vorhatten, ein Kind zu bekommen. Aus Gesprächen habe ich gehört, dass sie außerhalb des Hamsterrads Zeit hatten, sich zu entscheiden: Das ist unser weiterer Weg."

Wie ihre Kollegin aus der Sonnenstraße meint die Gynäkologin aus Schwabing, dass die Geburtenzahlen im Dezember in München ansteigen können – und dass es an den Kliniken dann eng wird. Die offizielle Geburts-Statistik für 2020 wird jedenfalls spannend.

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