Nach 604 Tagen Gefängnis: Notwehr-Messerstecher kommt frei

MÜNCHEN - In Notwehr hatte ein Student (31) zugestochen und war wegen versuchten Totschlags zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden – das BGH hatte das Urteil aufgehoben
604 Tage saß der Informatikstudent Sven G. (31) im Gefängnis. Gestern konnte er als freier Mann den Münchner Landgerichtssaal 162 verlassen. „Danke“, sagte er zu seinem Anwalt Jens Bosbach – dabei hatte Sven G. auf einen 18-Jährigen eingestochen.
Der Student hatte am Abend des 14. März 2008 versucht, an der U-Bahnstation Garching einem Freund zu helfen, der von drei Jugendlichen angegriffen wurde. Dabei zog Sven G. in „Panik“ ein Messer und verletzte Mergen S. (18) am Hals. Sven G. kam sofort in Haft, sein Opfer konnte durch eine Not-OP gerettet werden.
Am 9. Januar 2009 verurteilte das Münchner Schwurgericht den Studenten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis. Der Angeklagte legte gegen das Urteil Revision ein.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob den Schuldspruch am 4. August teilweise auf. Der BGH hatte zwar ebenfalls erklärt, dass der Student sein Notwehrrecht mit dem Messerstich in den Hals überschritten habe, der Schuldspruch damit rechtens sei. Die Bundesrichter meinten aber, dass die strafmildernden Umstände zu wenig berücksichtigt wurden. Sven G. hatte sich bei Opfer Mergen S. entschuldigt und ihm 12500 Euro Schmerzensgeld gezahlt.
In der Neuauflage hielt die 2. Strafkammer beim Münchner Landgericht den Totschlagsversuch auch für erwiesen, milderte das Strafmaß aber auf drei Jahre und drei Monate ab. Da Sven G. bereits die Hälfte der neuen Haftstrafe verbüßt hat, wurde der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Sven G. beteuerte, dass sein „Verhalten“ damals falsch gewesen sei: „Mir tut es leid, was ich getan habe.“ Mit seinem Fischermesser traf er Mergen S., der an jenem Abend mit zwei Spezln viel getrunken hatte, in die linke Halsregion. Die Stimmbänder wurden verletzt. Heute noch leidet er an einer Reibeisenstimme. Mit dem Sport klappt es nicht so richtig, weil ihm viel Blut in die Lungen gelaufen ist.
Mergen S. spielte vor der Tat bei der Spielvereinigung Unterhaching, war ein aufstrebendes Talent: „Ich wollte Profifußballer werden.“ Heute kickt er in Kempten für BSK Olympia Neugablonz. „Nach 70 Minuten geht mir immer noch die Luft weg.“ Ob er je Profi wird, steht in den Sternen. Derzeit arbeitet er an einer Trainer-Ausbildung.
Sven G. dagegen ist jetzt frei. Er will sein Studium abschließen und sich schnell einen Job suchen.
Torsten Huber