Münchnerin hilft beschnittenen Frauen: Ärztin steht vor der Pleite

München - Als sie damals ihre Doktorarbeit schreiben wollte, sagt Dr. Eiman Tahir, da war es fast unmöglich, einen Betreuer zu finden. Weil es niemanden gab, der sich auskannte mit ihrem Thema.
"Dabei gab es auch damals schon viele Fälle von weiblicher Genitalbeschneidung in Deutschland", sagt sie. "Aber die Frauen, die das betrifft, die sind auf dem Bildschirm der meisten Menschen einfach nicht sichtbar."
20 Jahre ist das jetzt her. Aber das Problem der fehlenden Sichtbarkeit ist geblieben. Immer noch.
Jeden Tag behandelt sie weibliche Genitalverstümmelungen
Eiman Tahir kämpft dagegen - und erhielt 2019 den Preis "Münchner Lichtblicke", am Montagabend wurde sie unter anderem von Alt-OB Christian Ude noch einmal dafür geehrt.
Dr. Eiman Tahir ist Gynäkologin und Expertin für weibliche Genitalverstümmelung. Jeden Tag behandelt sie Frauen, denen die Klitoris oder die Schamlippen entfernt worden sind.
Eine alte Tradition in vielen Ländern - und eine lebensgefährliche Praxis für die betroffenen Frauen. Nach Angaben der WHO sterben etwa 26 Prozent der Frauen, die Opfer von Genitalbeschneidung geworden sind, an den Folgen der Verstümmelung.
Rund 67.000 Betroffene leben in Deutschland
Weltweit sind etwa 200 Millionen Frauen von Genitalverstümmelung betroffen. In Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf fast 67.000 geschätzt. Mindestens eine Frau davon kommt eigentlich jeden Tag in Dr. Tahirs Praxis.
"Oft werden die Frauen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu mir geschickt", erzählt Tahir. So wie die Familie, die letzte Woche mit vier kleinen Mädchen in die Praxis am Stachus kam.
Die beiden älteren Schwestern waren beschnitten worden, sie waren gerade zehn und zwölf Jahre alt. Die Mutter war schon vor einigen Jahren nach Deutschland geflohen. Sie war gegen die Genitalverstümmelung, aber hatte in ihrer Heimat keine Möglichkeit, sie zu verhindern.
Die Entscheidungsgewalt lag bei ihrer Schwiegermutter. In Deutschland angekommen, hatte die Mutter einen Antrag auf Familiennachzug gestellt, er war gerade rechtzeitig bewilligt worden, um ihren beiden jüngeren Töchtern die Beschneidung zu ersparen.
Inzwischen ist Genitalbeschneidung als Asylgrund anerkannt
"Das Bundesamt für Migration hat die Familie zu mir geschickt, weil sie ein Attest darüber wollten, ob die Mädchen von Genitalbeschneidung bedroht sind", erklärt Dr. Tahir. Denn inzwischen ist Genitalbeschneidung in Deutschland als Asylgrund anerkannt.
Als Tahir ihre Doktorarbeit schrieb, war das noch anders. "Nachdem ich fertig war, habe ich die Arbeit einer Familie gegeben, die sie als Dokument vor Gericht eingereicht hat", erzählt sie.
Die Mädchen der Familie waren in ihrer Heimat von Genitalverstümmelung bedroht, die Doktorarbeit brauchten sie als Beweismittel - um vor Gericht überhaupt die Existenz der Praxis beweisen zu können. Die Familie bekam eine Duldung.
Dass die Gefahr von Genitalbeschneidung heute überhaupt als Asylgrund anerkannt wird, ist also ein Fortschritt, zumindest ein kleiner.
Die Hürden für Asyl sind für Betroffene trotzdem groß
Organisationen wie Proasyl kritisieren allerdings, dass die Hürden, um tatsächlich Asyl bewilligt zu bekommen, für die betroffenen Frauen viel zu hoch lägen.
Auch in andererlei Hinsicht werden die Traumata ihrer Patientinnen für sie zu wenig anerkannt: Von den Krankenkassen nämlich. Das bedroht, so sagt Dr. Tahir, inzwischen ihre Existenz.
Das Problem mit der Vergütung
Denn nach dem Fallpauschalen-Prinzip werden alle Behandlungen gleichermaßen vergütet. Egal, wie lange sie brauchen.
Aber eine traumatisierte Frau, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden ist, gynäkologisch zu behandeln, dauert länger als der Durchschnitt. Tahir arbeitet länger für das Geld.
Die Krankenversicherung wirft der Ärztin "Unwirtschaftlichkeit" vor
Vor einigen Monaten hat sie deswegen eine Regressforderung der Krankenversicherung bekommen. 130.000 Euro soll sie zahlen, weil sie "unwirtschaftlich" behandeln würde.
Sie hofft nun, dass sie eine Ausnahme geltend machen kann. "Ansonsten muss ich meine Praxis schließen", sagt sie. "Und dann werden tausende Frauen ohne die spezifische Behandlung bleiben, die sie brauchen."