Münchnerin feiert Geburtstag: 104 Jahre Lebensfreude

Die AZ gratuliert Charlotte Grossmann zum Ehrentag. Die Seniorin kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Doch viel lieber erzählt sie, was sie in jüngster Zeit in München so alles erlebt
Maxvorstadt - Charlotte Grossmann blickt nicht nostalgisch zurück. Damals, als sie in der Mohrenapotheke im Tal gearbeitet hat, die ganz und gar mit Holz getäfelt war und voll war mit vielen Holzschränkchen mit kleinen Schubladen. Kräuter hat Charlotte Grossmann zusammengelesen, gekocht, gesiebt, in kleine Flaschen abgefüllt und beschriftet. „Heute, da ist die Apotheke ein Supermarkt“, sagt Charlotte Grossmann.
Im Heute lebt sich’s für Charlotte Grossmann trotzdem immer noch sehr gut. Am Sonntag wird die Seniorin 104 Jahre alt. Dann kommt eine Delegation der Stadt, vielleicht sogar OB Ude vorbei und gratuliert, der Sozialverband VdK bringt einen Geschenkkorb, es gibt Kaffee, Kuchen, Sekt und ein klassisches Konzert. Immer mit dabei: die beste Freundin Gertrud Schestag. Die ist gerade mal halb so alt wie Charlotte Grossmann, doch zusammen sind die Damen ein unschlagbares Team. Charlotte Grossmann, die seit über dreißig Jahren im Rollstuhl sitzt und Gertrud Schestag mit den rotgefärbten Haaren, die gleich ums Eck des Seniorenheims des Diakoniewerks ihrer Freundin lebt.
Vor zwei Jahren sind sie zusammen an einem lauen Sommerabend zum Odeonsplatz gefahren. Sie wollten sich das Klassik Open Air von draußen anhören. Nur hatte sich Gertrud Schestag mit der Uhrzeit geirrt. Statt um 18 Uhr, begann das Konzert erst um 20 Uhr und arg viel konnte man von draußen nicht hören. Drum machten die Ladys das, was sie am liebsten machen: Kaffee und Sekt trinken. So viel, dass Charlotte Grossmann kurz vor acht auf die Toilette musste. Weit und breit war aber keine, die sie mit ihrem Rollstuhl befahren konnte. Sicherheitsleute hatten schließlich ein Einsehen und ließen die zwei „kurz“ aufs Open Air-Gelände. „Weil wir schon mal da waren, wollten wir nur bleiben, um den Anfang zu hören“, sagt Charlotte Grossmann und der Schalk blitzt in ihren Augen. Die Damen drückten sich am Rand herum, erklärten Security um Security dass sie keine Karten hätten und gleich wieder gehen würden.
Bis dann „die Bavaria“ kam. Bei der Erinnerung an die Sicherheitsfrau, die riesig mit kurz geschorenen Haaren auf sie zugestürmt kam, da schütten sich die beiden Frauen aus vor Lachen. „Wie einen Schutzschild hab’ ich Frau Grossmann vor mich geschoben und gesagt: ’Sein’s freundlich, nicht dass sie sich aufregt. Sie ist 102 Jahre alt’“, erzählt Gertrud Schestag. „Mich regt nichts auf. Aber die Frau Schestag war ganz nervös“, wirft Frau Grossmann ein.
102 Jahre? Das erweicht das Herz der imposanten Sicherheitsfrau. „Sie sind meine Ehrengäste“, sagt sie zu dem ungleichen Gespann und bringt Decken für die Damen. „Als wir um halb zwölf nach Hause kamen, da hatten wir nicht mal einen Schlüssel dabei. Wir haben ja nicht damit gerechnet, dass unser Ausflug so lange dauert“, erinnert sich Charlotte Grossmann.
Auch heute noch sind sie viel unterwegs. Trinken Kaffee in der Glyptothek, amüsieren sich über die Kinder am Alten Nördlichen Friedhof oder sitzen stundenlang in der Sonne. Am liebsten auf der Dachterrasse des Seniorenheims für einen Ratsch mit anderen Senioren, mit solchen, die nicht jammern. Das Sich-Ärgern hat Charlotte Grossmann schon vor Jahren aufgegeben. „Da kriegt man nur Falten“, sagt sie. Dass sie immer noch frisch ausschaut, verdankt sie Wasser und Nivea-Creme. „Bis vor ein paar Jahren hab’ ich mir meine Cremes noch selbst gemixt. Jetzt schmier ich mir Nivea auf die Hände und was zuviel ist, kommt ins Gesicht. Das spart Zeit, die ich draußen verbringen kann“, sagt sie.
In ihrer „Bude“ wie sie ihr Zimmer nennt, ist’s einfach zu klein und zu wenig los. Lieber lernt sie Menschen kennen und erlebt was. Sie war schon immer ein Hansdampf in allen Gassen. Ihren Mann heiratete sie einen Tag vor Kriegsbeginn. Dann war sie auf sich allein gestellt. Materielles ist ihr egal. „Ich kam mit nichts kurz vor 1933 nach München. Damals war ich von allen materiellen Dingen befreit. Auch heute drücken mich die Dinge nicht mehr“, sagt sie ganz ohne Altersweisheit, einfach als Feststellung.
Am Sonntag freut sie sich auf die Menschen, die an sie denken. Und natürlich auf ein, zwei Gläschen Sekt. Dann wird Frau Grossmann noch beschwingter.