Münchnerin erzählt: "So werden Anwohner Freunde"

München - Eine schöne Vorstellung ist das: Man kennt die Nachbarn beim Namen, geht mit dem einen walken, kocht mit dem anderen, lernt mit dem dritten Spanisch - und wieder ein anderer bietet gelegentlich einen Mal- oder Tanzkurs an, bei dem man einfach mitmachen kann.
Schon vor den Kontaktsperre-Zeiten lief das in den wenigsten Münchner Nachbarschaften so unkompliziert. Außer: Es gibt einen Nachbarschaftstreff um die Ecke, dessen Türen für alle offen sind. Mehr als 40 solcher Treffs hat die Stadt, in allen Vierteln, und diese Orte sind ideal für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen.
Die einen kaufen für Ältere in der Nachbarschaft mit ein (gerade jetzt in der Krise), andere reparieren Dinge oder halten Vorträge oder schließen sich zu Gruppen zusammen, die gemeinsame Interessen haben. Momentan müssen zwar viele Aktivitäten pausieren, engagierte Mitstreiter, die für die Zeit danach Ideen einbringen, werden aber auch jetzt schon gesucht.
Was man dabei erlebt und wie man eigene Ideen einfach mal umsetzen kann, erzählt hier die Münchnerin Inge El Ghadouini (44), die in Hadern wohnt - und die irgendwann vorbeigeschaut hat im Nachbarschaftstreff Blumenau.

AZ: Frau El Ghadouini, Sie haben drei Kinder und einen anspruchsvollen 30-Stunden-Job - trotzdem nehmen Sie sich obendrein Zeit für ein Ehrenamt. Wie kam das?
INGE EL GHADOUINI: Erst mal mag ich Abwechslung und bin neugierig auf viele Dinge. Als mein Mann vor Jahren bei einer internationalen Kochgruppe im Nachbarschaftstreff mitgemacht hat, wo ein Dutzend Nachbarn abwechselnd marokkanisch, türkisch oder bayerisch gekocht hat, habe ich mit hingeschaut. Und war begeistert, was man da alles für talentierte Leute trifft.
Sie meinen die Hobbys, die Leute haben?
Hobbys oder auch Hauptberufe, die sie einbringen. Da sind Nachbarn, die nähen können oder Uhren reparieren oder alte Elektrogeräte. Daraus entstand die Idee, alle zwei, drei Monate ein "Repair-Café" zu machen. Dorthin haben die Nachbarn ihre kaputten Reißverschlüsse oder Küchenmixer oder Armbanduhren gebracht. Und die Experten haben das kostenlos repariert. Damit ich auch was beitragen kann, habe ich dazu Kuchen gebacken.
In welchen Räumlichkeiten findet sowas denn statt?
Wir haben im Nachbarschaftstreff zwei Räume, die sind für alle da. Und die kann auch jeder nutzen, der selber etwas anbieten möchte.
Sowas wie Yoga für die Nachbarn oder Nachhilfe?
Genau. Wenn Sie den anderen Zumba beibringen möchten oder zeichnen oder einen Vortrag halten, können Sie das da tun. So lernt man sich kennen, so findet man gemeinsame Interessen. So werden Anwohner Freunde.
Inzwischen bieten Sie Waldspaziergänge für die Kinder aus der Nachbarschaft an. Was hat es damit auf sich?
Ich bin schon lange auch im Bund Naturschutz organisiert. Dazu kam ich, nachdem ich ein Buch zum Klimawandel gelesen hatte, das mich nachhaltig schockiert hat. Ich wollte die Naturschutzarbeit gern weitertragen an Kinder, und zwar nicht nur an meine eigenen. Also habe ich eine Kindergruppenleiter-Fortbildung gemacht - und eine Gruppe für die Nachbarschaft angeboten.
Bis zum Herbst waren Sie jeden Mittwochnachmittag zwei Stunden im Blumenauer Wald mit Grundschulkindern.
Ich kam drauf, weil ich als Kind schon verrückt nach dem Wald war. Das Abstandhalten haben wir bei diesen Ausflügen auch geübt. Die Kinder sind mit zwei Meter langen Holzstecken durch den Wald marschiert.
Und was genau machen Sie dann dort?
Wir machen unsere Augen auf und beobachten, was wir sehen. Ameisen, Käfer, Vögel, Steine, Disteln, verschiedene Baumarten, Kastanien. Es ist toll, zu beobachten, wie die Kinder sich im Wald bewegen, was sie entdecken und was sie aus den Dingen machen, die da sind.

Nämlich was - so als Stadtkinder?
Das reicht von Rindenstücken, die sie sich als Schuh-Ersatz an die barfüßigen Füße binden bis zu Unterschlupfen aus Zweigen. Manchmal entdecken wir auch ganz skurrile Sachen.

Wie abgestellte Waschmaschinen?
Das hatten wir noch nicht. Aber ein Rätsel: Wir haben ein Auto entdeckt, das tief im Wald offenbar steckengeblieben ist. Ein Zettel steckte im Scheibenwischer: "Ich bekomme das Auto nicht weg, Sie können es vom Förster abholen lassen. Schlüssel steckt."
Hat sich das Rätsel aufgelöst, wie es da hingekommen ist?
Nein. Aber es hat Spaß gemacht, darüber nachzudenken. All solche Dinge machen, dass Kinder lernen, die Natur wahrzunehmen und zu schätzen. Sie tragen die Wertschätzung auch nach Hause zu den Eltern und Geschwistern, da werden sie zu Influencern. Ich finde, dafür lohnt es sich, dass ich meine Zeit verschenke.