Münchnerin entwirft Pop-up-Radlweg-Kalender für OB Reiter
München - Die Journalistin Daniela Becker ist eine begeisterte und überzeugte Radfahrerin. Über die Pop-up-Radwege an der Theresien-, Elisen-, Gabelsberger-, Zweibrücken- sowie Rosenheimer Straße hatte sie sich daher besonders gefreut. Dass sie nun wieder abgebaut wurden, macht sie wütend.
Ein besonderes Weihnachtsgeschenk für Münchens OB
Deshalb schenkt sie Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der SPD-Fraktionschefin sowie den fünf SPD/Volt-Mitgliedern des Mobilitätsausschusses einen Kalender mit Vorher- und Nachher-Fotos der Pop-up-Radwege. Als Weihnachtsgeschenk. So soll sich vor allem Reiter an sein Wahlversprechen erinnern, eine menschenfreundliche statt autofreundliche Stadt zu schaffen. Finanziert wird das Ganze per Crowdfunding. Im Interview spricht sie über ihre Frustration und die Wichtigkeit einer Verkehrswende in München.
AZ: Frau Becker, Sie sind sauer, stimmt's?
DANIELA BECKER: Ja. Und ich bin enttäuscht. Dabei war meine Hoffnung groß. Es ist so, dass ja Oberbürgermeister Dieter Reiter den ehemaligen Sprecher des Radentscheids in sein Team geholt hat, Andreas Schuster. Er ist jetzt im Mobilitätsausschuss. Da dachte ich, dass die Themen Verkehrswende und Klimakrise endlich ernst genommen werden.
Pop-up-Radwege weg: Als Wählerin betrogen worden
Und dann werden die Pop-up-Radwege wieder abgebaut . . .
Ich fühle mich als Wählerin betrogen. Ich war vor der Wahl richtig frustriert, hatte deswegen zu Teilen die SPD gewählt. Die Entscheidung, die Pop-up-Radwege abzubauen, hat keine sachlichen Gründe. Ich bin nun skeptisch, ob der OB wirklich sein Wahlversprechen hält, eine echte Verkehrswende in München einzuleiten.
Wie kamen Sie auf die Idee, Herrn Reiter einen Kalender mit Vorher-Nachher-Bildern zu schenken, mit und ohne Pop-up-Radwege?
Die SPD sagt ja, sie will noch mehr Bürgerbeteiligung in Sachen Pop-up-Radwege. Mit dieser Aktion wollte ich Münchnern ermöglichen, auf lustige Weise mitzuteilen: Das ist nicht okay, was ihr da entschieden habt.


Theresienstraße: Ohne Radweg Radler in Gefahr
Der Plan im Rathaus ist offenbar, nun die Evaluation der Pop-up-Radwege abzuwarten und dann zu handeln, also die Radwege wahrscheinlich wieder einzurichten. Ist Ihnen die Perspektive nicht genug?
Ich bin halt voller Sorge, dass jetzt noch weiter verzögert wird. Schließlich hätte man das Provisorium einfach lassen können und dann nächstes Jahr ausbauen. Stattdessen sind sie jetzt wieder weg. Und was soll denn bitte noch evaluiert werden: Nehmen wir die Situation an der Theresienstraße. Ohne einen separaten Radweg sind Radfahrer permanent in Gefahr.
Sind Sie dort regelmäßig unterwegs?
Ich wohne in der Parallelstraße und fahre dort fast täglich mit dem Rad entlang. Mit dem Pop-up-Radweg hatte sich der Verkehr beruhigt. Es war eine hundertprozentige Verbesserung. Jetzt wird dort wieder gerast, genötigt und Radler werden viel zu nah überholt.
Idee einer autofreien Isar in München
Nutzen Sie auch den Nahverkehr?
Ich bin eigentlich ausschließlich mit dem Rad und zu Fuß unterwegs, bei jedem Wetter. Außer, wenn die Straßen vereist sind. Dann nutze ich auch mal den ÖPNV.
Was halten Sie von den Argumenten der CSU, dass ja im Winter pandemiebedingt eh viel mehr Autos unterwegs sind als Radfahrer und man jetzt den Autofahrern Vorfahrt geben sollte?
Es gibt viele Menschen wie mich, die gar kein Auto haben. Sind wir denn egal? Übrigens: Während der Pop-up-Radwege wurden die Strecken doppelt so häufig von Radlern genutzt wie zuvor. Und man sieht doch, dass auch jetzt im November noch jeden Tag superviele Radler unterwegs sind. Deren Sicherheitsbedürfnis ist im Herbst und Winter genauso groß wie im Sommer. Eigentlich noch größer. In der Dunkelheit ist schließlich mein Risiko, überfahren zu werden, noch höher.
Hätten Sie sich mehr Mut gewünscht?
Ich finde es schade, dass man sich während der Pandemie so wenig traut. Wir müssen dem Autoverkehr zugunsten von Radfahrern und Fußgängern Raum wegnehmen. Davon bin ich überzeugt. Ich könnte mir auch eine autofreie Isar vorstellen. Aber mitten in der Pandemie Radwege wegzunehmen, ist Quatsch. Paris, Amsterdam oder Brüssel sind da deutlich weiter.
Stadt München muss Verkehrsflächen neu verteilen
Was ist der Unterschied zu München?
Dort wird eben konsequent Fläche vom Autoverkehr zurückgegeben an die Radfahrer und an die Fußgänger. So, dass man sicher und selbstverständlich ohne Auto unterwegs sein kann. Es muss doch auch in München klar sein, dass wir die Verkehrsflächen neu verteilen müssen. Wir können gerne darüber sprechen wie, aber nicht mehr über das Ob.
Woran machen Sie das fest?
Wir sind mitten in einer Klimakrise. Autos sind große Klimasünder und vereinnahmen auf Parkplätzen und Straßen etwa 80 Prozent der Verkehrsflächen in München. Da herrscht ein großes Ungleichgewicht.
Kalender der Pop-up-Radwege als Erinnerung an Wahlversprechen
Was erhoffen Sie sich durch den Kalender, den Sie nun drucken lassen können?
Am liebsten wäre mir, dass der OB sich ein Herz fasst und sagt: Wir haben einen Fehler gemacht und bringen die Radwege sofort zurück. Und wenn das schon nicht, soll der Kalender an die gegebenen Versprechen erinnern.
War es schwierig, die benötigten 650 Euro einzusammeln?
Überhaupt nicht. Das Finanzierungsziel für den Kalender war schon nach einem halben Tag übererfüllt. Alles, was jetzt dazukommt, wird an den Verein Bike Bridge gespendet. Er bringt Frauen mit Migrationshintergrund das Radfahren bei. Es lohnt sich also, weiterhin zu spenden.
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