Münchner wird 100: "Ich verdanke es meiner Frau"

München - Es ist eine helle, gemütliche, adrette Haderner Wohnung, in der Helmut Haid auf dem geblümten Sofa sitzt. Seine Frau hat extra Kuchen gebacken für den Besuch. Helmut Haid spricht mit leiser, aber fester Stimme. Das Aufstehen fällt ihm etwas schwer, doch ansonsten käme man nie auf die Idee, dass der charmante Herr auf der Couch am 1. Mai 100 Jahre alt wird.
Geboren wird Haid 1917 in Stuttgart, 1974 gründet er seine eigene Arztpraxis für Venenerkrankungen in München. Bis zu seinem 87. Lebensjahr praktiziert er dort – erst dann geht er in den Ruhestand.
Er erinnert sich noch gut an sein Medizinstudium, das er in Tübingen und Wien absolvierte und 1943 an der Wiener Universität abschloss – mitten im Zweiten Weltkrieg. "Wenn man Arzt werden wollte, wurde man nicht zum Militär eingezogen, sondern abgestellt", erzählt Haid. "Zu dieser Zeit wurden Ärzte gesucht und ich sollte unbedingt mein Examen machen, um eingesetzt zu werden." In Wien bleibt er vom Kriegsgeschehen weitgehend verschont.
Nach dem Krieg will er nach Chile, denn dort lebt seine erste Frau, eine geborene Deutsch-Chilenin. Sein deutsches Staatsexamen wird dort nicht anerkannt. Deshalb arbeitet er von 1948 bis 1953 als Pflegekraft bei einer deutsch-chilenischen Familie in Viñja del Mar, Chiles viertgrößter Stadt. "Das Haus war am Meer und ich musste Tag und Nacht für den bettlägerigen Hausherren da sein. Es war eine harte, aber auch schöne Zeit in Chile. Ich war auch in Santiago, damals gab es dort noch reine Luft."
Oft sind es stresserfüllte, arbeitsreiche Tage

Sein Beruf bedeutet ihm viel, gemeinsam mit seiner damaligen Frau Freya Haid-Fischer arbeitet er zunächst in Stuttgart, gründet später die Abteilung für Venenerkrankungen im Klinikum Feldafing am Starnberger See.
Oft sind es stresserfüllte, arbeitsreiche Tage, erinnert sich Haid. "Ich habe meinen Beruf sehr ernst genommen, habe manchmal natürlich kaum Mittagspause gemacht. Und später, als ich meine Praxis hier im Haus hatte, ging es oft bis spät abends, denn ich hatte eine sehr große und von weit her kommende Klientel."
In der Oper findet er die große Liebe
Das klingt nicht nach dem Rezept zum Altwerden – doch für Haid gibt es ohnehin einen anderen Grund für sein hohes Alter. Eines Tages, er arbeitet noch in Feldafing, bekommt er von einem Patienten Karten für die Oper "Tiefland" am Gärtnerplatztheater – die Musik ist seine zweite große Leidenschaft. Es singe eine Ungarin, die er gut kenne, sagt der Patient, der am Theater arbeitet.
Haid fragt sie, ob er sie nach der Vorstellung zum Abendessen einladen darf. Heute heißt diese Ungarin Ildikó Laczó-Haid und feiert am 1. Mai Geburtstag – genau wie ihr Mann, allerdings erst ihren 72. Am 30. April ist ihr Hochzeitstag, 1976 haben sie geheiratet.
Noch heute versagt dem Opernliebhaber die Stimme, wenn er sich erinnert, wie er sie das erste Mal auf der Bühne gesehen und gehört hat. "Sie hat so wunderschön gesungen", sagt er, und zu ihr gewandt: "Du warst für mich eine ganz klare Sache."
Dass er trotz vieler Arbeit und Stress 100 Jahre alt wird, ist für Haid Schicksal. "Ich habe Glück gehabt. Und ich verdanke es vor allem meiner Frau. Sie hat mich immer gepflegt und rührend umsorgt. Außerdem habe ich ein wirklich harmonisches Familienleben."
Gemeinsam mit Ildikó hat Haid eine Tochter: Christine. Aus seiner ersten Ehe stammt die Tochter Brigitte. Inzwischen hat er auch Enkel und Urenkel. "Ich habe wirklich Glück gehabt."
Jetzt hat er viel Zeit für seine geliebten Opernmelodien
Er sei selbst erstaunt, dass er so alt werde, sagt er. "Für ihn ist es unfassbar", bestätigt seine Frau. "Ich bin überzeugt, es war seine Arbeit. Er war sehr glücklich als Arzt. Er war immer ein Fleißiger, er wollte, solange es die Kräfte zulassen, weitermachen."
Mittlerweile muss natürlich auch der fleißige Arzt kürzer treten, große Reisen sind nicht mehr vorgesehen. Dafür hat er nun viel Zeit für seine geliebten Opernmelodien. Seinem besonderen Geburtstag misst er aber nicht so viel Bedeutung zu, sagt er.
Wie er feiert? "Da müssen Sie meine Frau fragen", antwortet er. Die gemeinsamen Geburtstagsfeiern waren schon immer ihre Aufgabe.
"Ich denke, er freut sich, wenn er viele liebe Menschen sieht", sagt seine Frau Ildikó. "Auch wenn er immer wieder betont, das sei gar nicht so wichtig und ich solle mir ja nicht viel Mühe machen. Aber ich glaube, dass er sich wahnsinnig freut."
Anlass hätte er dazu: Hochzeitstag, zwei Geburtstage und dazu noch ein ganzes Jahrhundert – das sollten mehr als genug Gründe zum Feiern sein.