Münchner Urologe Edgar Vogel sammelt Nacht-Töpfe

München - Edgar Vogel ist ein besonderer Doktor. Der Münchner Arzt gehört zu jenen Menschen, die sich der Sammelleidenschaft verschrieben haben. Und weil er Urologe ist, haben seine Exponate auch etwas mit seinem Beruf zu tun. Potschamperl sammelt der 70-Jährige – Nachttöpfe oder Nachthaferl (aus dem Französischen: pot de chambre) – ob aus China, England, Südamerika, Frankreich oder aus Deutschland, wer in die Praxis des gebürtigen Thüringers kommt, der kann sich seine Wartezeit mit dem Bestaunen von Nachttöpfen verkürzen.
Sie baumeln an Ketten von der Decke, stehen auf Fenstersimsen und weisen den Weg zur Toilette. Nachttöpfe aus Emaille, aus Ton, aus Porzellan, aus Cromargan und auch einer aus Plastik. "Es ist ein Kindertopf mit Hasenkopf aus Amerika", sagt der Arzt. Er selbst hat noch nie einen Nachttopf benutzt, auch seine mittlerweile erwachsene Tochter nicht. In seiner Sammlung ist daher kein Stück aus Familienbesitz.
Stattdessen aber von Adelsgeschlechtern. Rund 50 Töpfe umfasst allein die Sammlung aus englischen Schloss- und Herrenhäusern. An exponierter Stelle hat der Urologe sie platziert – die obersten Reihen eines Regales in seinem Sprechzimmer in der Rosenheimer Straße sind den edlen Stücken vorbehalten.
Münchner Arzt hat rund 320 Nachttöpfe
Königsblau und goldverziert, Vogel geht zum Regal und sagt: "Immer, wenn ein weiterer Nachkomme in die Familie kam, wurde wieder ein Topf mit demselben Dekor angefertigt." Aus Englands Königshaus sei jedoch keiner darunter. Nachttöpfe gekrönter Häupter überstiegen sein Budget.
Für 3.000 Euro habe jüngst ein Freund in einem Wiener Auktionshaus eine "große Henkeltasse" entdeckt – und ihn gleich angerufen. "Soll ich sie für dich ersteigern?", habe er gefragt. "Ja, meine Sammelleidenschaft hat sich herumgesprochen", sagt Vogel. Rund ein Drittel seiner aktuell 320 Potschamperl hat er geschenkt bekommen – von Verwandten, Freunden und Patienten. Die seien von den Nachttöpfen in seinem Wartezimmer ganz begeistert. So wie Michael Öxle. "Das ist eine geniale Idee. Nachttopf und Urologe, das passt zusammen, dachte ich, als ich das erste Mal in die Praxis kam."
Der Arzt holt ein weißes Exemplar aus dem Regal, stellt es vor sich auf den Schreibtisch zwischen Computer und Blutdruckmessgerät. Es sieht aus wie eine Sauciere und ist speziell der Anatomie der Damen angepasst – ein so genanntes Bourdalou, benannt nach einem Pfarrer aus Frankreich. Der Jesuitenpater am Hofe Ludwig des XIV. war für seine interessanten, aber auch langen Predigten bekannt. Und weil es dann auch schon mal pressieren konnte, sollen sich die Damen eine Sauciere in die Kirche mitgenommen haben.
"Unter ihren langen Röcken konnten sie unauffällig während der Predigt ihr Geschäft verrichten", erzählt Vogel. Porzellanmanufakturen griffen diese Mode auf und produzierten fortan Gefäße, die etwas größer und damit bequemer zu handhaben waren.
Der erste Nachttopf stammt aus Südfrankreich
Ein Patient hat ihm solch eine Rarität geschenkt und extra für Vogel aus Wien mitgebracht. Bis zur S-Bahn-Rolltreppe kurz vor seiner Praxis sei das gute Stück auch noch ganz gewesen. Doch dann ist der Patient gestolpert. Vogel nahm es nicht so tragisch – er klebte die Scherben zusammen. Schließlich ist sein erster Nachttopf, den er vor 25 Jahren in Südfrankreich erstand, auch ramponiert.
Vogel schließt eine große Glasvitrine am Eingang seiner Praxis auf und nimmt ihn heraus. Er zeigt, wie kunstvoll eingefädelt ein Draht durch zwei Ösen gezogen, den Nachttopf bis zum heutigen Tage zusammenhält. Ein anderer aus Portugal wird sogar mit zwei Klammern fixiert. Für Vogel ist es Indiz dafür, wie wertvoll er für die Besitzer war.
Wer auf seinen Nachttöpfen sein Geschäft verrichtet hat, das hat er bislang noch gar nicht so recht erforscht. Genauso wenig wie ihre Historie. "Ich hatte dazu noch keine Zeit", erklärt er, holt einen Auktionskatalog hervor und weist auf die Abbildung einer Urinflasche. Die stammt aus dem 1. Jahrhundert vor Jesus Christus. Sie soll die erste "Mitternachtsvase" gewesen sein und stand einst in der weltgrößten Nachttopfsammlung.
Die größte Sammlung stand in einer Münchner Villa
9.400 Exponate hatte der im Jahr 2000 verstorbene Manfred Klauda in seiner Münchner Villa zusammen getragen. Als Vogel in den 80er Jahren diese fotografierte, war er so fasziniert von den dekorativen Stücken, dass er selbst zu sammeln begann.
Jahr für Jahr kaufte er auf Flohmärkten und Auktionen Nachttöpfe. Selbst in Macao hat er zwei erstanden, darunter sein wertvollstes Exponat – ein chinesisches Urinal mit blauem Dekor. Es ist sein Lieblingsstück. 2000 Mark hat er dafür angelegt. "Das war damals eine Menge Geld für mich", sagt der Arzt. Noch heute muss er darüber schmunzeln, wie er die Reiseführerin für sein Hobby gewann. "Sie ließ auf der Stadtrundfahrt extra an drei Antiquariaten anhalten, wo es Nachttöpfe gab."
Doch die Zeiten, als er gezielt Flohmärkte und Antiquitätengeschäfte durchstreifte und zu erschwinglichen Preisen Nachtgeschirr erwarb, sind vorbei. Manchmal ersteigert er welche auf eBay oder Menschen bieten ihm welche an. Mehr als 200 Euro aber investiere er nicht mehr. "Da schaut schon meine Frau drauf, dass mein Hobby nicht zu teuer wird".
Außerdem hat er sich mittlerweile auf Nachttöpfe mit Sprüchen fokussiert. Und die sind rar. "Wenn gehen die Winde und plätschern die Wässer wird’s jedem besser", steht auf einem Steingutnachttopf. Der Urologe weiß, wie wahr der Spruch ist, hebt den Telefonhörer ab und fragt einen seiner Patienten: "Wie geht es mit der Prostata?"