Interview

Münchner Umweltmedizinerin: "Notfallplan für Hitze muss her"

Die Klimakrise bedroht unsere Gesundheit: Allergien nehmen zu, neue Erreger breiten sich aus. Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmann fordert Maßnahmen - jetzt.
von  Leonie Fuchs
Die Erde unter einem Stethoskop: Sie ist hitzekrank - darunter leidet auch unsere Gesundheit.
Die Erde unter einem Stethoskop: Sie ist hitzekrank - darunter leidet auch unsere Gesundheit. © imago images/Ikon Images

München - Hitzekollaps, Tigermücken und Corona: Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen auch unsere Gesundheit, zeigt das Buch "Überhitzt" von Claudia Traidl-Hoffmann. Zur heutigen Veröffentlichung des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC hat die AZ mit der Umweltmedizinerin über Folgen und dringende Prävention gesprochen.

AZ: Frau Professor Traidl-Hoffmann, gewinnen wir den Kampf im Rennen gegen den Klimawandel?
Claudia Traidl-Hoffmann: Es wird knapp. Wir müssen das Rennen gewinnen. Wenn wir es nicht tun, werden wir nicht nur krank, sondern dann ist die gesamte Menschheit gefährdet. Wir müssen uns nicht nur mit den Ursachen für den Klimawandel auseinandersetzen, sondern mit den Folgen.

Claudia Traidl-Hoffmann.
Claudia Traidl-Hoffmann. © Anatoli Oskin

Der Weltklimarat (IPCC) stellt seinen nächsten Zustandsbericht vor. Was erhoffen Sie sich davon?
Ich erwarte, dass klar wird, wie dramatisch die Lage ist. Und erhoffen tue ich mir, dass global Regierungen darauf reagieren und Maßnahmen ergreifen.

Im ersten Teil des Berichts, der 2021 veröffentlicht wurde, hieß es, dass die globale Durchschnittstemperatur in den nächsten 20 Jahren den kritischen Wert von 1,5 Grad erreichen, oder überschreiten könnte. Welche Folgen hätte dies für unsere Gesundheit?
Das bedeutet hierzulande, dass es vermehrt Hitzetage geben wird - über 30, über 35 Grad. Und mehr Hitzeperioden bewirken, dass gerade vulnerable Gruppen krank werden oder sterben könnten. Im Sommer 2003 sind in Europa 70.000 Menschen durch Hitze gestorben. Das werden mehr werden.

Ab wann Hitze ungesund wird

Ihr Buch "Überhitzt" handelt genau von dieser Problematik. Ab wann wird Hitze für den Menschen ungesund?
Unsere Kerntemperatur liegt bei 36, 37,5 Grad, die auch bei Hitze aufrechterhalten werden muss. Ob dies gelingt, ist hochindividuell und ist zum Beispiel von der Fitness und dem Alter des Einzelnen abhängig.

Was macht Hitze mit unserem Körper?
Blutdruckerhöhung zum Beispiel. Hauptprojekt des Körpers ist es bei Hitze, die Kerntemperatur aufrechtzuerhalten. Andere Projekte fährt er herunter. Sensible Menschen leiden dann häufiger unter Erkrankungen, weil die Abwehrmechanismen nicht mehr so gut funktionieren.

Sie schreiben, dass Hitzeschutz gleich Klimaschutz bedeutet.
Ja. Wir brauchen einen flächendeckenden, allgemein gültigen, individuell angepassten Hitzenotfallplan in Deutschland. Städte sollten etwa mit Trinkbrunnen ausgestattet sein. Bei Hitze sollte der Verkehr reduziert werden, um Schadstoffe zu minimieren. Wir müssen vulnerable Gruppen identifizieren und versorgen.

"In Bayern gehen wir gerade einen ersten Schritt"

Wie könnte so ein detaillierter Plan umgesetzt werden?
In Bayern gehen wir gerade einen ersten Schritt. Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat eine Landesarbeitsgruppe zusammengerufen, wo alle an einem Tisch sitzen: Katastrophenschutz, Ärzte, Altenheime, die Kassenärztliche Vereinigung - um nur einige zu nennen. Wir versuchen, gemeinsam einen Hitzeschutzplan zu entwickeln, der dann national übernommen werden könnte.

2021 waren Europa und die Welt von Extremwetterereignissen geprägt: Hitze, Gewitter, Hochwasserkatastrophen. Sind das bereits die Auswirkungen des Klimawandels?
Ja, diese Extremwetterereignisse sind die Folgen eines globalen Wandels. Und diese werden in Zukunft häufiger eintreten. Wenn diese Perioden nun länger andauern, wie bei Covid-19, werden wir eine ähnliche Überlastung des Gesundheitssystems sehen.

Es wird noch mehr Allergiker geben

Welche Folgen wird es noch geben?
Pollen etwa. Die Klimaerwärmung hat Einfluss auf Ökosysteme und Vegetationszonen, deshalb sehen wir längere Pollenflugzeiten. Auch werden Pollen aggressiver, und es kommen neue Arten hinzu, wie Ambrosia-Pflanzen. Die Zunahme bedeutet, dass wir mehr Allergiker haben. Schon jetzt leiden 36 Prozent der deutschen Bevölkerung unter Allergien.

Überhitzt, Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit
Überhitzt, Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit © Dudenverlag

Sie zeigen im Buch auf, dass die Corona-Pandemie und Pollen zusammenhängen.
Ja, insofern, dass Pollen nicht nur Allergien fördern, sondern auch die Schleimhautimmunabwehr blockieren. Ist jemand vielen Pollen ausgesetzt, etwa jetzt den Haselpollen, können Viren weniger gut abgewehrt werden. Deshalb sind bei erhöhtem Pollenflug auch vermehrt Corona-Infektionen zu verzeichnen. Das betrifft jedoch generell Viren, die Atemwege angreifen.

Tigermücken sind in Deutschland schon heimisch geworden

Wie hängen Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die beispielsweise von Bakterien oder Viren verursacht werden, damit zusammen?
Der Klimawandel verändert die Ausbreitung etwa von Mücken und Zecken. Die Tigermücke ist zum Beispiel in einigen Regionen Deutschlands heimisch geworden. Oder auch die Hyalomma-Zecke, die auch neue Erreger übertragen kann, wie das Krim-Kongo-Fiebervirus. Mit steigenden Temperaturen wird das Risiko einer Ansteckung mit diesen Erregern größer. Zoonosen generell haben damit zu tun, dass der Mensch planetare Grenzen überschreitet und in das Wildleben eingreift.

Werden uns Pandemien nun öfter heimsuchen?
Man geht davon aus. Prävention ist das Wort der Stunde. Wir müssen für eine gesunde Gesellschaft sorgen, dann hat es auch das Virus schwerer.

"Ich warne vor zu wenig Klimaschutz"

Hat die Politik den Ernst der Lage erkannt?
Wir hatten große Hoffnungen an die neue Ampel-Koalition. Kürzlich sagte Herr Bundesverkehrsminister Volker Wissing, man sollte den Bogen beim Thema Klima nicht überspannen. Was soll man dazu noch sagen? Es gibt klare Berechnungen. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt um vier bis fünf Prozent, wenn wir Klimaschutz betreiben. Es sinkt um 20 Prozent, wenn wir nichts tun. Ich kann also nur sagen: Ich warne vor zu wenig Klimaschutz! Ich glaube, dass die Bevölkerung verstanden hat, dass uns das Wasser bis zum Hals steht. Nun muss die Politik Maßnahmen treffen, um die Grundlage unser aller Lebens zu bewahren.

Welche wären das?
Wir müssen bei klimaschädlichen Subventionen Geld einsparen. Der Verbraucher muss motiviert werden, klimaschützende, pflanzenbasierte Lebensmittel zu essen. Wir brauchen eine vernünftige Verkehrspolitik in den Städten. Eine große Stellschraube ist die Energiepolitik. Alternative Energien müssen mehr gefördert werden. Dass E-Autos DIE Lösung des Problems sind, zweifeln Experten an. Erstens wird zur Herstellung beispielsweise eines SUV-E-Wagens sehr viel CO2 verbraucht und wenn dieses E-Auto in der Stadt fährt, produziert es über den Reifenabrieb immer noch Ultrafeine-Partikel. Es müssen systemische Lösungen her - nicht nur das Alte neu gedacht werden.

Schaffen wir all das noch?
Ich hoffe es.

Claudia Traidl-Hoffmann, Katja Trippel: "Überhitzt, Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit"; Dudenverlag: 20 Euro

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