Münchner Umland zieht die Zuzugs-Bremse

Münchens OB Dieter Reiter setzt in der Wohnungsnot auf kleine Gemeinden. Doch dort wird wohl bald sehr viel weniger gebaut. Die Umland-Bürgermeister wollen den Neubau bremsen.
von  Felix Müller, Florian Zick
Noch baut er, aber bald soll Schluss sein: Andreas Kemmelmeyer, Bürgermeister von Unterföhring in einem Neubaugebiet.
Noch baut er, aber bald soll Schluss sein: Andreas Kemmelmeyer, Bürgermeister von Unterföhring in einem Neubaugebiet. © Bernd Wackerbauer

München/Unterföhring - Diese Bilder will der OB sehen! Am Mittwoch wurde in Unterföhring mal wieder Spatenstich gefeiert. 19 neue Mietwohnungen lässt die Gemeinde bauen. 9 Euro bis 9,50 Euro Miete pro Quadratmeter will Unterföhrings Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer hier nur nehmen. Bezahlbarer Neubau – im Umland!

Immer wieder hat Dieter Reiter betont, dass die großen Probleme der Landeshauptstadt nur mit der Region gelöst werden können. Das gilt auch und besonders bei der Wohnungsnot. "Ich begrüße es sehr, wenn in der Region München bezahlbarer Wohnraum entsteht", betonte er auch am Mittwoch im Gespräch mit der AZ. "Das Bevölkerungswachstum ist eine Herausforderung für uns alle und deshalb gewinnen am Ende die Menschen in Stadt und Region, wenn wir die Entwicklung bestmöglich aufeinander abstimmen."

Unterschiedliches Wachstum in der Region

Abgestimmt wird offenbar tatsächlich viel, wenn man sich mit den Bürgermeistern der Region unterhält, fällt nirgends ein böses Wort über Reiter. Man kennt sich – und fühlt sich ernstgenommen. Einzig: Zum Lösen des Wohnproblems wird das Umland wohl in den nächsten Jahren eher weniger als mehr beitragen als in den vergangenen. Denn: Das Umland zieht die Zuzugs-Bremse!

In den vergangenen Jahren sind die Orte in der Region sehr unterschiedlich stark gewachsen. Während besonders Gemeinden im Landkreis München sehr viele Neubaugebiete auswiesen, gibt es im Oberland sogar Orte, deren Einwohnerzahl leicht gesunken ist. So verzeichnet Unterföhring seit 2007 ein Einwohnerplus von 31,6 Prozent. Das zeigen neue Zahlen des Planungsverbands München. In Aschheim stieg die Zahl um 27,3 Prozent, in Feldkirchen um 24,2 Prozent. In Penzing (Landkreis Landsberg am Lech, minus 2,5 Prozent) oder Schöngeising (Landkreis Fürstenfeldbruck, minus 1,5 Prozent) sank die Einwohnerzahl sogar leicht.

"Noch 3000 Einwohner, dann ist Schluss"

Nun aber sehen auch in den Wachstumsgemeinden die Verantwortlichen ein Ende der immer neuen Neubaugebiete kommen. "Noch 3.000 Einwohner, dann ist Schluss", sagt etwa jener Bürgermeister Kemmelmeyer, der am Mittwoch in Unterföhring Spatenstich feierte. 14.500 Einwohner hätte Unterföhring dann, mehr hält er nicht für verträglich. Dabei ist man in Unterföhring stolz darauf, laut einer Studie in ein paar Jahren die jüngste Gemeinde Deutschlands zu sein, hier wurden kostenlose Kindergarten- und Hortplätze schon eingeführt, als man in München noch nicht mal an sowas dachte. Doch nun scheint es zu viel zu werden.

So wie in den anderen Boom-Gemeinden. Zum Beispiel in Feldkirchen, aktuell 7.700 Einwohner. Bauland ist dort immer noch vorhanden. Es soll aber vorerst nicht mehr genutzt werden. "Die nächsten Jahre werden wir keine Neubaugebiete mehr ausweisen", sagte Bürgermeister Werner van der Weck am Mittwoch der AZ. Man habe sich darauf geeinigt, nur noch 50 bis 100 Neubürger pro Jahr haben zu wollen – viel weniger als in den vergangenen Jahren oft. Aktuell will man aber nicht mal diese 50. "Wir haben große Probleme, wollen erstmal nicht mehr wachsen", sagt der Bürgermeister.

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70 Bewerber auf eine einzige Wohnung

So ähnlich sieht das auch sein Kollege Thomas Glashauser aus Aschheim. Zu Höchstzeiten stieg die Bewohnerzahl hier um 350 pro Jahr. Jetzt hat die Gemeinde eine neue Zielzahl: 138. "Wir wollen weiter wachsen", sagt er. "Aber langsam."

Wie groß die Wohnungsnot ist, zeigt sich auch im Umland bei den Bewerberzahlen, wenn bezahlbare Mietwohnungen entstehen. 170 Bewerber gab es zuletzt in Aschheim für neue Mietwohnungen der Gemeinde, in Unterföhring 70 für eine einzige Wohnung. Viele Gemeinden sehen inzwischen wie die Landeshauptstadt das Problem, dass sich die Einheimischen keine Wohnungen mehr leisten können. Und versuchen ebenfalls, in Neubaugebieten Geschosswohnungsbau statt Einfamilienhäusern durchzusetzen.

Eigentlich, sagt Bürgermeister van der Weck aus Feldkirchen, wolle er in Neubaugebieten nur noch Mehrfamilienhäuser. "Bei diesen Bodenpreisen müssen wir in die Höhe bauen, um die Leute unterzubringen." Doch bald, so glauben sie, wird man in ihren Gemeinden nicht mehr viele neue Leute unterbringen können. Alle verweisen darauf, dass die Infrastruktur standhalten muss, "vom Kindergarten bis zum Friedhof", wie es Thomas Glashauser aus Aschheim ausdrückt. In Unterföhring wird gerade die Kläranlage erweitert.

"Wir haben einfach keine Baugebiete mehr bei uns im Ort"

Und wenn Schluss ist in den Gemeinden vor der Stadt? Ziehen junge Münchner Familien dann für den Traum vom Reihenhäuschen noch viel weiter raus? Zum Beispiel nach Schöngeising, den Ort im Landkreis Fürstenfeldbruck, in dem die Bevölkerungszahl sogar gesunken ist? Ein paar vielleicht schon.

Denn Bürgermeister Thomas Totzauer erzählt, dass im Ort inzwischen mehr nachverdichtet wird: Wenn Häuser vererbt werden, entstehen auf den Grundstücken oft mehrere Häuser. Andererseits glaubt auch er nicht mehr an das große Wachstum im Ort. "Wir würden gerne Neubaugebiete ausweisen, weil wir altersgerechtes Wohnen brauchen und sich die Jungen, die hier aufgewachsen sind, keine Wohnungen mehr leisten können", sagt er. "Aber wir haben hier einfach keine Baugebiete mehr, an die wir drankommen."

Wunsch nach einer besseren Verkehrsanbindung

Und was, wenn die Not in München noch größer wird und die reiche, große Stadt Hilfe anbietet? Klar, viele Umland-Bürgermeister wünschen sich zum Beispiel eine bessere Verkehrsanbindung. Aber sonst? "Ich kenne ja die Münchner Hilferufe", sagt Werner van der Weck aus Feldkirchen. "Aber ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie uns unterstützen könnten. Ich bin sicher, dass die mir hier keinen Kindergarten bauen."

Klingt alles, als müsste man die Spatenstiche ordentlich feiern. Denn sie werden weniger werden in den nächsten Jahren.

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