Münchner Totraser: In seinem Heimatort herrscht Entsetzen

"Ich bin total schockiert", sagt die 58-jährige Gastwirtin eines Restaurants, als sie die Nachricht erfährt. In den Händen hält sie einen Stapel Stoffservietten, der ihr fast bis zum Kinn reicht. Verloren verharrt sie in der Mitte des Lokals, hat Tränen in den Augen: "Ich kenne Victor schon seit acht Jahren, er war immer so ein hilfsbereiter und ausgeglichener junger Mann."
Was die Gastwirtin kaum fassen kann: Gegen Victor B. wird wegen Mordes ermittelt. Der 34-Jährige, der in einer Gemeinde nahe Bad Tölz aufgewachsen ist, soll für den Tod eines 14-jährigen Teenagers verantwortlich sein. In der Nacht von Freitag auf Samstag war er mit dem Auto in München unterwegs, schließlich fiel er einer Polizeistreife wegen eines Verkehrsvergehens auf.
Was dann geschah, klingt wie im Horrorfilm: Als die Beamten Victor B. kontrollieren wollten, sei er mit hoher Geschwindigkeit geflohen, teilte die Polizei am Montag auf einer Pressekonferenz mit. Victor B. sei durch München gerast, habe mehrere rote Ampeln überfahren. Zwei Jugendliche, die gerade eine Fußgängerampel überqueren wollten, soll der 34-Jährige erfasst haben. Laut Polizei soll ein 14-jähriger Junge dabei regelrecht durch die Luft "katapultiert" worden sein. Er überlebte den Unfall nicht, seine 16-jährige Begleiterin liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Dokumentiert wurde das Geschehen von der Dashcam eines anderen Autofahrers.
"Hätte nie gedacht, dass Victor in so was verwickelt wird"
In der Gemeinde nahe Bad Tölz, in der Victor B. aufgewachsen ist und in der er seine Eltern häufig besuchte, herrscht Fassungslosigkeit. "Meine Eltern und ich haben heute Morgen über den Vorfall geredet", sagt eine 30-jährige Anwohnerin. Es sei verstörend, dass jemand aus ihrem direkten Umkreis für den Tod eines Jugendlichen verantwortlich sein soll. Einem Passanten fällt nur das Wort "Sauerei" zu den Ereignissen ein, die sich vor wenigen Tagen im Münchner Stadtteil Laim zugetragen haben sollen.
Auf den Straßen des kleinen Ortes ist wenige Tage nach dem Vorfall nicht viel los. Viele Anwohner sitzen zu Hause hinter Fenstern mit Holzvertäfelung, die Feldwege sind menschenleer. Hin und wieder kommt ein Jogger vorbeigelaufen, mehr Leute sind nicht unterwegs. Ein 63-jähriger Mann, der in der kleinen Gemeinde arbeitet, kennt Victor B.. "Früher hat er mit meinem Sohn Eishockey gespielt. Er hat immer einen lustigen, guten Eindruck gemacht. Dass Victor mal in so was verwickelt wird, hätte ich nie gedacht", sagt er.
Sind Drogen Schuld an dem Unfall?
B.s Familie hat in der Gegend einen guten Ruf. Der 34-Jährige selbst hat einen festen Job, ist verheiratet und hat eine eigene kleine Familie. Auch die Gastwirtin "kann nichts Schlechtes über ihn sagen." Victor B. sei ein Familienmensch gewesen, hin und wieder habe sie ihn beim Spazieren getroffen. Auch beim Einladen von Lebensmitteln in ihr Auto habe er sie regelmäßig unterstützt. "Er hat mir immer geholfen", sagt die Gastwirtin. Dass Victor B. nun wegen Mordes in Untersuchungshaft sitzt, schockiert daher viele. So auch den Bürgermeister seiner Heimatgemeinde: "Wenn ich mir vorstelle, jemand würde meinen Kindern so etwas antun, macht mich das fassungslos", sagt er.
Aktuell sitzt Victor B. in Untersuchungshaft, zeitweise hatte man ihn in der Psychiatrie untergebracht. Zu dem Vorfall in München macht Victor B. keine Angaben, auch seine Motive bleiben im Dunkeln. Fest steht jedoch: Er befand sich wegen Drogenhandels lediglich auf Bewährung in Freiheit. Eine Polizeisprecherin sagte am Montag, dass eine Verletzung der Bewährungsauflagen Grund für die Flucht des 34-Jährigen gewesen sein könnte. In seinem Auto wurden geringe Mengen Marihuana gefunden. Außerdem habe Victor B. nach Alkohol gerochen.
"Dass Victor in der Vergangenheit Probleme mit Drogen hatte, wusste ich", sagt die 58-jährige Gastwirtin. Sie sei allerdings davon ausgegangen, dass er diese überwunden habe.
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Kooperationspartner Focus Online