Münchner Start-up produziert Schokolade in Ghana: Von der Bohne bis zur Tafel
München/Tema - Es begann auf einer Zelt- und Rucksackreise durch Ostafrika, im Garten eines Kaffeefarmers in Uganda. Der Gründer einer lokalen Kooperative erklärte ihm dem im Job unzufriedenen IT-Vertriebler eines Multikonzerns, den Kaffeeanbau.
"Am Ende haben wir selbst Kaffee gemacht, die Bohnen über offenem Feuer geröstet, von Hand vermahlen. Da ist mir aufgefallen: Hey, warum verkauft ihr eigentlich Bohnen, wenn ihr auch den fertigen Kaffee verkaufen könntet?"
So schildert Hendrik Reimers (38) im Rückblick die Anfänge seines Münchner Social-Start-ups Fairafric. Statt Kaffee wurde es schließlich Schokolade, statt Uganda Ghana in Westafrika.
"Fairafric kann eine Transformation in Westafrika anstoßen"
Fairafric ist derzeit die einzige deutsche Schokoladenfirma, die nicht nur (halbverarbeitete) Kakaobohnen, sondern fertige Schokolade aus einem Anbauland exportiert. Nach Kooperationen mit zwei lokalen Produzenten, von denen einer pleite ging und der andere lieber verstärkt auf Kakaomasse setzte, war klar: Eine eigene Fabrik muss her.
Im Oktober 2019 wird die Tochter Fairafric Ghana Limited gegründet, ein Jahr später das Werk fertiggestellt. Die erste komplett eigenproduzierte Charge Schokolade geht dieser Tage in den Verkauf. Nahe Ghanas wichtigster Hafenstadt Tema, direkt dort, wo Kakaobohnen angebaut werden, arbeitet Michael Marmon-Halm (34) als Manager der Tochterfirma.

Er hat den Bau der Fabrik seit dem Frühjahr, inmitten der stürmischen Regenzeit und im Corona-Lockdown, begleitet. Wie beurteilt er das Geschäftsmodell von Fairafric?
"Ghana ist zwar der weltweit zweitgrößte Kakaoproduzent. Das Geschäft wird aber mit halbverarbeiteten Rohstoffen, etwa mit Kakaobutter, gemacht", sagt er. "2016 war unser damaliger Partner Niche Cocoa die einzige private Firma, die Schokolade in großer Stückzahl produziert hat. Fairafric erhöht diesen Aufbau einer Wertschöpfungskette vor Ort. Und wir schaffen Arbeitsplätze."
Aktuell gibt es über 50 Beschäftigte
52 Beschäftige gebe es derzeit, im kommenden ersten vollen Produktionsjahr sollen es doppelt so viele sein, sagt Marmon-Halm. Für Kakaofarmer biete die Firma Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine Chocolaterie-Schule und ein Besuchszentrum sind geplant.
Der Manager beobachtet auch verbesserte Lebensgrundlagen: "Die Unterkünfte der Mitarbeiter sind besser heute, das ist direkt auf die Fabrik zurückzuführen." Man versuche, weitere lokale Firmen in die Produktion einzubeziehen, etwa bei der Auswahl der Zutaten. Die kämen zum Teil noch aus dem Ausland.
Möglich ist die Arbeit von Fairafric durch Investoren, Vertrauensvorschüsse, Glück und Risikobereitschaft. Neben eigenem Geld und dem von Familie und Freunden setzte Reimers vor fünf Jahren auf eine Kickstarter-Kampagne. Ausgang: ungewiss.
Weltweit 850 Leute, sagt er, hätten damals für 30.000 Euro Schokolade vorbestellt, die es noch gar nicht gab. Nach dem Bruch mit Niche Cocoa meldete just ein deutsches Traditionsunternehmen, die Ludwig Weinrich GmbH & Co. KG aus Herford, Interesse an. "Die haben dann bei uns investiert und assistieren uns seitdem auch bei der Fabrik."

Diese habe zur Hälfte der deutsche Steuerzahler bezahlt über Darlehen der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, sagt Reimers. Mindestens ein Drittel des Kapitals komme aus der Kundschaft, 360 Kunden seien derzeit Anteilseigner.
Hendrik Reimers möchte mit Fairafric einen Prozess anstoßen, den der klassische Faire Handel seiner Ansicht nach nicht schafft: weg von der Subsistenzwirtschaft zur verarbeitenden Industrie. "Deutschland wurde ja auch nicht aus Fairtrade-Kartoffeln gebaut."
"Wenn Fairafric seine Karten klug ausspielt, kann es eine Transformation anstoßen - in Ghana und auch in anderen westafrikanischen Ländern, die über große Mengen an Kakaobohnen verfügen: in der Elfenbeinküste, in Nigeria, Togo." Dafür brauche es Entwicklungspläne und Regulierungen, "die verbieten, dass unverarbeitete Rohstoffe das Land verlassen", sagt Michael Marmon-Halm.
Fairafric sei genau zur rechten Zeit gekommen. Für ihn bedeutet seine Stellung im Unternehmen, sich verwirklichen zu können. "Ich wusste immer, was ich kann." Man hört das Selbstbewusstsein in seiner Stimme. "Fairafric hat das aus mir raus geholt. Was im vergangenen halben Jahr hier passiert ist, zeigt: Wenn du den Menschen die Gelegenheit gibst, dann versuchen sie es."
Vertrieb in München: Von der Fairtrade-Nische in die Biomarkt-Ketten
Rund 9.000 Kilometer ist die Schokolade von Tema zum Hamburger Hafen unterwegs, per Seefracht. Nach einer Kontrolle in Bremen komme die Ware per Spedition nach München, erklärt Fairafric-Vertrieblerin Ann-Kathrin Berek (30).

Corona tue dem Geschäft keinen Abbruch. "Ich gehe davon aus, dass die Zahlen auf jeden Fall im grünen Bereich bleiben werden", sagt Berek. Dass die Tafeln rund zwei Euro kosten, würde akzeptiert. Denn 80 Cent verblieben im Anbauland: bei Produzenten, Verpackungsdesignern, Zulieferern - ein Vielfaches gegenüber der in Deutschland produzierten Konkurrenzware.
Die Schokolade ist inzwischen Bio-zertifiziert. "Die Tafeln sind zwar schon Bio, aber das muss auch für den Verbraucher kenntlich sein, um im Bio- und Naturkosthandel vertreten zu sein", sagt Berek. Die Zahl der Handelspartner wachse, allein in München gebe es 30 bis 40 Stellen, sagt Berek.
Bald 50 Millionen Tafeln im Jahr
Fairafric produziert seine Schokolade seit dem Herbst in einer eigenen, solarbetriebenen Fabrik bei Tema in Ghana. "Momentan stellen wir 10.000 Tafeln pro Stunde her, 200.000 Tafeln in einer bis anderthalb Wochen", sagt Manager Michael Marmon-Halm. "Das lastet das Werk aber noch nicht mal zur Hälfte aus."
Bis zu 50 Millionen Tafeln jährlich sollten es ab 2021 sein, sagt Fairafric-Chef Hendrik Reimers. Neben der Anstellung neuer Mitarbeiter seien dafür strukturelle Anpassungen nötig, erklärt Marmon-Halm. "Derzeit kaufen wir Bohnen ein und lassen sie von anderen halbfertig verarbeiten. Damit wir aber solche Mengen schaffen, müssen wir diese vorbereitenden Prozesse selbst durchführen, um eine kontinuierliche Produktion zu gewährleisten."

Neben Lieferengpässen, die es schon früher gab - 2018 etwa sei man sieben Monate lang ausverkauft gewesen, sagt Fairafric-Gründer Hendrik Reimers - streikte zu Produktionsbeginn die Maschinerie. "Das hat die Produktion um drei bis vier Wochen verzögert", sagt Marmon-Halm. Das Weihnachtsgeschäft stand auf der Kippe.
Die ausländischen Installateure, die das Land wieder verlassen hatten, hätten dann online Anweisungen durchgegeben. "Seitdem läuft die Produktion aber wieder flüssig."
Gerade sei man dabei, den zweiten Schiffscontainer zu befüllen und für den Transport fertigzumachen. Dann werde die Fabrik gereinigt und für den nächsten Durchlauf vorbereitet. "Danach ist Weihnachten. Die nächste Produktion startet dann im Januar."
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