Interview

Krankheit zwingt Münchner Stadtsparkassenchef zu Karriereende

Ralf Fleischer (61) ist seit 2014 der Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse. Zum 1. Mai hört er auf – aus gesundheitlichen Gründen. Mit der AZ hat er darüber gesprochen.
von  Hüseyin Ince
Der Noch-Stadtsparkassenvorstandschef Ralf Fleischer in seinem Büro in der Stadtsparkassen-Zentrale. Er steht vor dem München-Gemälde, das zwölf Jahre lang sein täglicher Ausblick vom Schreibtisch aus gewesen ist.
Der Noch-Stadtsparkassenvorstandschef Ralf Fleischer in seinem Büro in der Stadtsparkassen-Zentrale. Er steht vor dem München-Gemälde, das zwölf Jahre lang sein täglicher Ausblick vom Schreibtisch aus gewesen ist. © Sigi Müller

München – Es ist ein ungewöhnlich offener Schritt unter Führungskräften. Der langjährige Chef der Münchner Stadtsparkasse Ralf Fleischer machte seine Herzerkrankung publik, die es ihm nicht mehr möglich macht, deutlich mehr als 70 Stunden je Woche zu arbeiten. Die AZ hat ihn gesprochen, darüber, was er als Privatmann vorhat, wie er zurückblickt und welche Hobbys ein Sparkassen-Vorstandschef hat.

AZ: Herr Fleischer, haben Sie es schon genau im Blick, ab wann Sie Privatier sind?
RALF FLEISCHER: Selbstverständlich. Man kommt nicht umhin, die letzten Tage im Beruf gut zu strukturieren.

Sie meinen die Übergabe an Ihren Nachfolger Bernd Hochberger?
Das auch. Aber vor allem das „Auf Wiedersehen sagen“, die Verabschiedung von Menschen, mit denen ich fast zwölf Jahre intensiv zusammengearbeitet habe. Auch Banales, wie Büro ausräumen. Ich bin eher der Typ, der all das vernünftig plant.

Stimmt, Sie müssen sich im Grunde von mehr als 2000 Mitarbeitern verabschieden. Ist sicher nicht ganz einfach.
Mehr als 2300. Das allein braucht schon einige Tage Zeit.

Wie geht es Ihnen mit der Situation? Der erste Tag als Privatperson nach Jahrzehnten intensiver Arbeit naht.
Insgesamt 42 Jahre, davon 26 als Vorstand. Das bewegt mich natürlich.

Wehmütig?
Gar keine Frage, auch wehmütig. Gleichzeitig freue ich mich sehr darauf, Dinge zu tun, die in den letzten 26 Jahren zu kurz gekommen sind. Deutlich zu kurz.

"Das Problem ist: Wenn man es für sich behält, entsteht Raum für Spekulationen"

Sie haben einige Hobbys, welches davon haben Sie bereits im Blick?
Ich liebe Sprachen. Im Gymnasium hatte ich Englisch und Französisch als Leistungskurse. Nach der Schule gab es die Wahl zwischen einem wirtschaftlichen Schwerpunkt – wozu ich auch immer eine Affinität hatte – und Fremdsprachen. Ich schickte damals vier Bewerbungen los. Zwei an Banken, eine in die Versicherungsbranche und eine an einen weltweiten Konzern. Dort konnte man eine Ausbildung mit einem Fremdsprachenstudium kombinieren. Am Ende hatte ich zwei Zusagen von den Geldinstituten und bei den anderen beiden Bewerbungen war ich auf der Warteliste. Da dachte ich mir: Okay, das muss es sein.

Und was bedeutet das nun für Ihre Hobbys als Privatmann?
Ich werde eine weitere Sprache lernen. Nämlich Spanisch. Zudem will ich mehr Sport machen, weil ich dafür viel zu wenig Zeit hatte.

Weitere Projekte?
Ich habe vor ein paar Jahren versucht, Klavier zu lernen. Die Lehrer sind aber verzweifelt, weil ich zu oft absagen musste. Das wäre also das musikalische Projekt: Klavierspielen lernen.

Sie sprachen von Sport. Darf ich so offen fragen: Das ist Ihnen also trotz Ihrer Herzerkrankung zum Glück möglich?
Ja. Die Ärzte sagten nach meiner Operation, ich darf nicht an die absolute Leistungsgrenze gehen, aber Fitnesssport ist gut für mein Herz.

So können wir den Bogen spannen zur Tatsache, dass Sie ziemlich offen mit Ihrer Erkrankung umgegangen sind. Sie hätten das auch geheim halten können. Fanden Sie das selbst ungewöhnlich transparent in Ihrer Position?
Ich glaube schon. Meine Auffassung ist: Sobald andere Menschen betroffen sind, sollte man offen damit umgehen. Das Problem ist häufig: Wenn man es für sich behält, entsteht Raum für Spekulationen. Das wollte ich vermeiden. Mein Gegenüber verdient es, Bescheid zu wissen.

Was glauben Sie, hält andere Kollegen von Ihnen davon ab, so transparent damit umzugehen?
Jeder muss das für sich entscheiden. Man muss auch überlegen, in welcher Lebensphase man ist. Nach 42 Berufsjahren beende ich meine Karriere. Da ist es etwas einfacher, das zu erzählen.

Was waren die ersten Reaktionen, als Sie es bekannt gemacht haben?
Erst einmal dutzende Mails von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, manche sorgten sich um mich, andere dankten für die Ehrlichkeit, dankten für die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren.

Das ist doch rührend, oder?
Absolut. Ich hatte viele sehr persönliche Rückmeldungen, einige Gespräche.

Auch eine Art positives Feedback für die vergangenen Jahre oder, dass man vieles richtig gemacht hat?
Alles macht man nie richtig. Jeder trifft im Nachhinein gesehen auch falsche Entscheidungen. Aber vieles hat ganz ordentlich geklappt.

"Die Generation vor uns hat Härten erlebt, die wir nicht erahnen können"

Glauben Sie, es hat sich grundsätzlich etwas verändert für Männer und Frauen in Ihrer Position, dass mehr Transparenz herrschen kann?
Ganz sicher. Es ist auch eine Generationenfrage. Meine Eltern, beide in den 30er Jahren geboren, sind in einer ganz anderen Welt groß geworden. Weltkrieg, Vertreibung, Entbehrungen. Die Generation vor uns hat Härten erlebt, die wir nicht erahnen können. Es ging um Stärke, darum, nicht wehleidig zu sein und Schwäche nicht zuzulassen. Die nachfolgende Generation ist eher bereit, über schwierige Themen zu sprechen. Dennoch ist das Verhalten von den Rahmenbedingungen und am Ende immer von der eigenen Persönlichkeit abhängig. Es bleibt noch ein ziemlich langer Weg, bis wir völlig offen mit Themen wie Krankheit umgehen werden, ganz ohne Scheu.

Sie wirken immer sehr besonnen und ausgeglichen. Gab es Momente, in denen Sie sich dachten: Eigentlich hätte ich ganz gerne noch vier oder fünf Jahre gearbeitet?
Meine Mutter hat immer gesagt, der Junge lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.

Woran liegt es?
Ich bin ein besonnener Mensch. In angespannten Situationen frage ich mich: Was passiert da gerade, was ist dein Anteil daran?

"Es bringt nichts, mit Hätte, Wäre und Könnte in der Vergangenheit zu schwelgen"

Und hätten Sie noch lieber weitergearbeitet?
Ich bin nicht der Typ, der in Frage stellt, was das Leben bereit hält. Es bringt nichts, mit Hätte, Wäre und Könnte in der Vergangenheit zu schwelgen. Ich musste und wollte mich damit arrangieren, dass ich wegen meiner Krankheit nicht so weiterarbeiten kann.

Wie war der erste Moment, als Sie davon erfahren haben?
Ich fühlte mich grundsätzlich gesund. Die erste Diagnose ist vier Jahre her und sehr überraschend gewesen. Da dachte ich erst einmal nicht an ein Karriereende. Ich war in Sorge, aber auch erleichtert.

Weil Sie die Ursache für Ihre Beschwerden endlich kannten?
Richtig. Eineinhalb Jahre lang fühlte ich, irgendwas stimmt nicht, hoffte aber nach der Diagnose, dass alles wieder so werden könnte, wie es vorher war. 2021 hatte ich ja zwei Operationen. Danach ging alles bis 2023 ganz gut, ich konnte die üblichen 60 bis 70 Stunden wöchentlich arbeiten.

Und als Sie gemerkt haben, ich kann nicht mehr so weitermachen wie bisher?
Mein Körper signalisierte das eindeutig Ende 2023. Ich informierte meine Familie und Oberbürgermeister Dieter Reiter. Er ist unser Verwaltungsratsvorsitzender und es war uns beiden klar, dass wir eine Lösung finden müssen. In meinem Beruf gibt es nur hundert Prozent oder gar nicht.

"Ein Thema bewegt mich immer: Die Frage nach Gerechtigkeit"

Schauen wir ein wenig zurück. Was war einer Ihrer emotionalsten Momente? Beim FC Bayern soll mal jemand ein Magazin nach einer Mitarbeiterin geworfen haben.
Das bewerte ich nicht. Ich habe zu oft erlebt, wie unterschiedlich Wahrnehmung sein kann. Gefühlsausbrüche von mir? Sehr gemäßigt. Ich ärgere mich mal. Dann spricht man darüber.

Wenn Sie eine Szene beschreiben müssten?
Ein Thema bewegt mich immer, die Frage der Gerechtigkeit. Ich habe kein Problem damit, wenn etwas schlecht gelaufen ist, dafür gerade zu stehen. Was ich nicht mag, ist, ungerecht behandelt zu werden. Ich werde nicht laut, ich greife niemanden persönlich an. Ich werde sehr deutlich.

Sie wollen nicht konkret werden.
Alles vergeben und vergessen. Verbindlichkeit ist für mich das oberste Gebot.

Zwischen Hierarchie und Augenhöhe, wo sind Sie da immer gewesen?
Ich wollte nie Ja-Sager um mich herum, ich wollte immer unterschiedliche Meinungen hören. Ein gutes Team ist stärker als ein Einzelner. Aber es ist meine Aufgabe, am Ende eine Entscheidung zu verantworten. Da greift die Hierarchie. Streng patriarchale Strukturen funktionieren heute nicht mehr. Mit Druck bewegen Sie Menschen nur sehr begrenzt.

"Es wäre wirklich schön, wenn mehr Frauen in Führungspositionen wären"

Pauschales Duzen?
Das ist nicht mein Ansatz. Wer möchte, darf das. Für mich muss eine persönliche Verbundenheit da sein. Vielleicht auch eine Frage der Zeit. In meiner Ausbildungssparkasse in Mülheim an der Ruhr war ich nach 16 Jahren mit fast jedem per Du.

Ein großes Thema in Vorstandsebenen ist, dass es dort viel zu wenige Frauen gibt. Welche Haltung hatten und haben Sie dazu?
Natürlich sollten es viel mehr sein. Unbedingt. Unser Haus fördert Frauen, wir investieren viel. Wir beobachten bei Stellenausschreibungen aber auch: Je mehr es in Richtung Vorstandsebene geht, desto geringer ist die Anzahl der Bewerberinnen.

Heißt das: Frauen sind tendenziell weniger risikofreudig als Männer?
Der Eindruck könnte entstehen, greift aber zu kurz. Es geht um Strukturen und Rollenbilder, die sich über Jahrhunderte etabliert haben, und ganz konkret um fehlende Betreuungsangebote. Es wäre wirklich schön, wenn mehr Frauen in Führungspositionen wären. Das würde jedem Unternehmen gut tun. Diversität ist wichtig, auch kulturelle. Wir haben im Haus 35 Nationen. Ich denke, das ist ein Erfolgsgeheimnis.

"Den Banken ist eine Ertragssäule weggebrochen, wir mussten Kosten sparen"

Wenn wir auf die Zahl der Filialen blicken: In Ihrer Amtszeit sind wahrscheinlich die meisten Filialen der Münchner Stadtsparkasse geschlossen worden. Wie ordnen Sie das ein?
Das war in der Niedrig- und Negativzinsphase unvermeidlich, Herr Ince. Den Banken ist eine sehr starke Ertragssäule im Einlagengeschäft weggebrochen. Wir mussten Kosten sparen.

Zwischen 2019 und 2022 haben Sie Negativzinsen berechnet.
Aber nur bei wenigen Kunden, das muss man dazusagen. In der Regel waren es wegen der höheren Beträge auf den Konten Unternehmen, kaum Privatkunden. Und: Es gibt da noch einen Verhaltensgrund.

Das zunehmende Onlinebanking?
Ja, im Durchschnitt gehen Kunden und Kundinnen einmal jährlich in eine Filiale für eine Beratung, das heißt, gut 800.000 Mal. Digital kommt unsere Kundschaft mehr als 30 Millionen Mal zu uns.

Da muss man doch generationsmäßig differenzieren, denke ich.
Das ist nicht so unterschiedlich. 80 Prozent unserer Kunden sind für das Online-Banking freigeschaltet. Wir mussten also das veränderte Kundenverhalten mit den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Einklang bringen. Wir haben mit gut 40 personenbesetzten Filialen mit Abstand das stärkste Netz der Stadt. Damit fühlen wir uns wohl.

"Ich lasse den 1. Mai auf mich zukommen, habe den Tag nicht durchgeplant"

Noch ein paar Worte zu Ihrer neuen Freiheit als Privatmensch: Zum Tag der Arbeit werden Sie nach 42 Jahren Beruf Privatmann sein. Angst, in ein Loch zu fallen?
Auf keinen Fall. Ich bin mental gut vorbereitet und nicht der Typ, der aufs Sofa fällt und Nachmittagsfernsehen einschaltet. Ich freue mich sehr darauf, Freundschaften zu pflegen, auf viel mehr Sport und das Klavier.

Haben Sie den 1. Mai schon durchgetaktet oder lassen Sie ihn auf sich zukommen?
Auf jeden Fall auf mich zukommen lassen. Alles hat seine Zeit.

Also nicht schon ein exaktes Zeitfenster bestimmt, in dem Sie Fahrrad fahren?
Wenn das Wetter passt, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass ich am 1. Mai auf einem Fahrrad sitze. Aber ohne Zeitfenster.

Ein Gefühl für die neue Freiheit bekommen?
Genau, fühlen und leben.

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