Münchner SPD-Politikerin Philippa Sigl-Glöckner: Ihr Ziel ist der Bundestag

München - Es ist schwül, der Himmel ist bedeckt und es wird bald regnen. Doch Philippa Sigl-Glöckner freut sich, trotzdem draußen zu sein. "Ich habe die letzten Tage doch viel gearbeitet. Manchmal bin ich nach einem langen Tag nachts noch einmal um den Block gegangen, einfach, um wenigstens ein bisschen an der frischen Luft gewesen zu sein."
Die 30-Jährige ist Büroleiterin bei einem Staatssekretär im Finanzministerium unter Olaf Scholz: Da gibt es in der Coronakrise viel zu tun. Dennoch nimmt sie sich für die AZ Zeit für einen Spaziergang durch die Maxvorstadt. Das Viertel, in dem sie aufgewachsen ist. Und das sie bald in Berlin vertreten will. Denn Philippa Sigl-Glöckner will Bundestagsabgeordnete für München-Nord werden. Statt Florian Post.

Dass das nicht einfach wird, ist ihr klar. Bevor sie überhaupt antreten kann, muss sie erst eine Kampfkandidatur gewinnen – zu Coronazeiten und ausgerechnet gegen Florian Post. Dieser ist nicht dafür bekannt, politische Gegner mit Samthandschuhen anzufassen. Er ist ein Mann, der polarisiert – auch in der Partei, Aber eben mittlerweile auch ein etablierter Bundestagsabgeordneter. "Ich weiß, dass es hart wird", sagt Sigl-Glöckner. "Aber ich weiß auch: Es ist die richtige Entscheidung." Wegen Corona findet die Wahl gegen Post nun wohl erst im Juli statt, offiziell erklärt, dass sie gegen Post antreten will, hat Sigl-Glöckner erst diese Woche.
Sigl-Glöckner: "Mein Opa hat Ude gewählt, weil der so gut anzapfte"
Die SPDlerin kommt aus einer sehr münchnerischen Familie. In ihrem Stammbaum finden sich Ferdinand von Miller, der die Bavaria-Statue schuf, ihr Ur-Urgroßvater gründete das Deutsche Museum, ihr Großvater baute am Hasenbergl mit. "Übrigens eine sehr schöne Gegend", sagt Sigl-Glöckner. "Mit unglaublich viel Grün. Leute sind zu Recht stolz darauf, hier zu wohnen."

Zur Politik kam Sigl-Glöckner durch die Kirche. "Wir sind früher jeden Sonntag in die Ludwigskirche gegangen", erzählt sie. "Da wurde immer von einer besseren Welt gepredigt. Und danach sind wir nach Hause gegangen, und es hat sich aber nichts geändert." Um etwas zu ändern, begann sie sich politisch zu engagieren, trat in die SPD ein. Ihr politisches Vorbild ist Alt-OB Hans-Jochen Vogel: "Er ist immer noch sehr aktiv und kennt sich unglaublich gut aus, gerade beim Thema Wohnen." Die Entscheidung, zur SPD zu gehen, sei in ihrer Familie unüblich gewesen. "Mein Großvater hat in München allerdings schon immer Ude gewählt, aber auch nur, weil er bei der Wiesn das Fass mit zwei Schlägen anzapfen konnte."
Mit 16 Jahren zog Sigl-Glöckner aus München weg. Ihre schönste Erinnerung an die Stadt sollte vorerst ihre letzte sein. "Es war die Weltmeisterschaft 2006, ein toller Sommer", erzählt sie und erinnert sich an das Schwimmen im Eisbach und Feiern auf der Leopoldstraße. "Da fiel es schwer, wegzugehen." Dennoch zog sie aus, erst nach England, wo sie später in Oxford Politik und Philosophie studierte. Dann in die USA, wo sie für die Weltbank arbeitete, und nach Liberia, wo sie die Regierung in der Ebola-Krise beriet. "Eine Erfahrung, die in der Coronakrise sehr hilft." 2018 begann sie, im Finanzministerium in Berlin zu arbeiten. Jetzt ist sie zurück in München, ihrer Heimat.
"München ist eine attraktive Stadt" - aber hat auch Probleme
"München", sagt Sigl-Glöckner mit Blick über die Pinakotheken und Cafés, "ist eine unglaublich attraktive Stadt. Und das ist manchmal auch ein Problem." In München gebe es die Versuchung, zu sagen, man müsse nichts ändern, weil alles gut sei. "Aber wir alle wissen: Das stimmt nicht". Sigl-Glöckner, die sich vorher bedächtig ausgedrückt hat, spricht nun lauter. Man merkt, dass das Thema der jungen Politikerin am Herzen liegt. "Die Schönheit unserer Stadt blendet auch, denn vielen Menschen geht es auch hier nicht gut!"
Das merke man gerade im Bundestagskreis im Norden, wo so unterschiedliche Stadtteile wie die Maxvorstadt und Milbertshofen liegen. "Manche Eltern schicken ihre Kinder in die private Kita und zahlen für Ballettunterricht, während andere keinen Kitaplatz bekommen", ärgert sich Sigl-Glöckner. "Manche fahren mit ihrem neuen Mini zur Uni und wohnen zentral in der Eigentumswohnung ihrer Eltern, während sich Krankenpfleger oder Polizisten gar keine Wohnung leisten können."
Diese Probleme könne man nur auf bundespolitischer Ebene lösen, glaubt Sigl-Glöckner. "Sollen Pflege, Wohnraum und Klima wirklich rein über den Markt geregelt werden?", fragt die SPDlerin. "Wir brauchen da eine kritische Diskussion." Nach der Finanzkrise 2008 habe sich eigentlich viel verändern müssen. "Wir haben ein Pflaster auf unmittelbare Probleme gepappt, aber das System nicht überdacht." Deswegen will sie in den Bundestag. Und deswegen will sie in ihrer Heimat München-Nord antreten. "Ich glaube, dass München dort ein Vorbild sein könnte – für ganz Deutschland sogar." Durch die starke Industrie und die vielen sozialen Wohnungsbauten sei die Stadt dort besonders interessant.
Wahlkampf: "Ich kandidiere nicht gegen irgendjemanden"
Der Himmel wird dunkler, lange wird es wohl nicht mehr trocken bleiben. Philippa Sigl-Glöckner will trotzdem unbedingt noch zum Ferdinand-Miller-Platz laufen, wo ihre Großmutter aufgewachsen ist. Als sie losgeht, kommt das Gespräch auf den jetzigen Abgeordneten von München-Nord, Florian Post. Falls Sigl-Glöckner sich durchsetzt, verlöre Post sein Mandat. Man merkt, dass die SPDlerin nicht so gerne über ihren politischen Herausforderer spricht. "Ich kandidiere nicht gegen irgendjemanden", sagt sie zögernd. Sie habe sich lange überlegt, ob sie sich bewerben wolle. "Die SPD kann den Wahlkreis im Münchner Norden direkt gewinnen", begründet sie ihre Entscheidung.

Zur Zeit liegt das Direktmandat bei der CSU. Der gebürtige Oberpfälzer Post sei in den Ortsvereinen der SPD präsent, das sei auch wichtig. Sie wolle aber mehr. "Ich weiß, dass es eine Herausforderung wird, als junge, bisher unbekannte Frau anzutreten", sagt sie. "Aber ich bin sicher, dass wir einen fairen Wettbewerb hinbekommen." Post habe natürlich den Bonus, Amtsinhaber zu sein. "Ich gehe davon aus, dass sich alle an die Spielregeln halten. Die SPD im Münchner Norden wird das gut hinbekommen", sagt Sigl-Glöckner.
Seine Aktionen in der Coronakrise sieht sie kritisch: Dass Florian Post ein Adidas-Trikot verbrannte, da Adidas in der Krise keine Miete mehr zahlen wollte, empfand sie als falsches Signal. "Man muss fragen, wer die Vermieter von Adidas sind. Das sind meist nicht die kleinen Hauseigentümer, sondern große Fonds." Jetzt würde Adidas einen staatlichen Milliardenkredit bekommen und so die Mieten bezahlen können. "Es ist gut, solche Dinge zu diskutieren und auch mal zuzuspitzen", sagt die SPDlerin. "Ich finde es wichtig, dass wir uns da klar positionieren, ohne platt populistisch zu sein."
Münchner SPDlerin: "Demokratie darf wegen Corona nicht pausieren"
Kurz vor dem Ferdinand-Miller-Platz läuft Sigl-Glöckner schneller. Sie muss sich beeilen, später wird sie noch eine Videokonferenz mit SPDlern haben. Als sie vor Kurzem eine Videokonferenz veranstaltete, wurde diese gehackt und musste abgebrochen werden. "Das sind so Probleme, mit denen man natürlich nicht rechnet." Demokratie dürfe aber wegen Corona nicht pausieren, meint Sigl-Glöckner. "Ich hoffe nur, dass ich bald wieder unter freiem Himmel Leute treffen und mit ihnen diskutieren kann!"
Am Ferdinand-Miller-Platz geht es um die St.-Benno-Kirche. Hier stand das Haus, in dem ihre Großmutter aufwuchs. Im Krieg wurde es zerbombt, heute steht dort ein unscheinbares gelbes Gebäude. Von ihrer Großmutter erzählt Sigl-Glöckner gern. Die Oma stand noch mit 99 Jahren bis vor Kurzem auf der Bühne des Theaters am Sozialamt. "Sie war eine Kämpferin", erzählt Sigl-Glöckner. "Ein echtes Vorbild für mich."
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