Münchner SPD-Chefin Claudia Tausend: Wollen keine reine Radlstadt

SPD-Chefin Claudia Tausend erklärt, wie Alexander Reissls Rücktritt die Arbeit für die Fraktion erleichtert – und warum sie trotzdem mit einem harten Wahlkampf rechnet.
Emily Engels
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"Niemand hat einen garantierten Platz auf der Stadtratsliste. Nur der OB": Claudia Tausend stellt keine Freischeine aus.
AZ-Archiv/Loeper "Niemand hat einen garantierten Platz auf der Stadtratsliste. Nur der OB": Claudia Tausend stellt keine Freischeine aus.

AZ: Sie haben der SPD schon im Juni ein Image-Problem attestiert. Jetzt laufen ihr im Wochentakt die Stadträte davon. Ist alles noch viel schlimmer geworden?
CLAUDIA TAUSEND: Wir haben in München ein anderes Image als die völlig zerstrittene Bundespartei. Als Münchner SPD versuchen wir schon seit Jahrzehnten, uns von den bundespolitischen Turbulenzen abzusetzen. Wir sprechen nach wie vor auch einfache Schichten der Bevölkerung an. Und ich glaube auch nicht, dass wir den Anschluss an die Jüngeren, an das studentische Publikum, verloren haben.

Also nehmen Münchner Sie als kraftvoll und zukunftsweisend wahr?
In München werden wir als die München-Partei wahrgenommen. Da geht es nicht nur um kraftvoll und zukunftsweisend, sondern auch um die Qualität, die München schon hat, die wir die letzten 60 Jahre mitgestaltet haben.

SPD in München: "Dieter Reiter ist nicht letzte Hoffnung"

Die letzten Wahlergebnisse waren auch in München historisch tief.
Das ist richtig, aber das waren auch keine Kommunalwahlen. Bei denen wird das komplett anders aussehen. Bei der Stadtratswahl setzen wir auf eigene Stärken, vor allem auf die Person des Oberbürgermeisters. Und auch programmatisch haben wir in den letzten anderthalb Jahren geschaut, bei welchen Themen wir hinterhergeblieben sind, was über Bord geworfen werden musste.

Was war das zum Beispiel?
Wir haben uns ganz stark mit der Verkehrspolitik auseinandergesetzt. Und wollen eines nicht: dass München eine reine Radlstadt wird. Wir wollen eine autoreduzierte Stadt mit einem gut funktionierenden ÖPNV und einem qualitätsvollem öffentlichen Raum. Zudem wollen wir uns ganz stark im Bereich des Mieterschutzes einsetzen – was von Alexander Reissl im Bereich des Mietenstopps für die städtischen Gesellschaften nicht mitgetragen wurde.

Von den neuen Fraktionschefs Verena Dietl und Christian Müller heißt es, die SPD sei ohne Alexander Reissl wieder eine Gemeinschaftsveranstaltung. War sie das davor nicht mehr?
Die Zusammenarbeit mit der Fraktion wird jetzt inhaltlich einfacher werden. Manche Fragen, die Reissl aufgeworfen hat, werden nicht mehr gestellt.

Zum Beispiel?
Das Thema Busspuren, von denen sich die Münchner Verkehrsgesellschaft 51 wünscht. Das Thema war eine sehr lange und schwierige Diskussion, nicht nur mit Alexander Reissl. Ich halte die Busspuren für zwingend erforderlich, um schnell Abhilfe im ÖPNV zu schaffen. Die Tram baut sich in sechs bis sieben Jahren die U-Bahn in zehn bis 20 Jahren. Die Straßen sind jetzt überfüllt.

Reissl hat aber auch die Sprache der kleinen Münchner, der alten Leute gesprochen. Klingt ja so, als hätten sie jetzt nicht mehr das Problem, sich damit auseinandersetzen zu müssen.
So ist es nicht, wir haben einen anderen, der das Altmünchnerische ansprechen kann: Dieter Reiter.

Ist er die letzte Hoffnung?
Dieter Reiter ist nicht die letzte Hoffnung, er ist der wichtigste Mann in der Fraktion. Und in der Fraktion selber sehe ich auch eine Christine Strobl, die ältere Menschen ansprechen kann. Und Anne Hübner als Seniorenpolitikerin. Auch wenn sie selbst erst 41 ist.

Reissls Rücktritt wird jetzt oft als Chance verkauft.
Ich glaube, dass der Zusammenhalt in der Fraktion tatsächlich einfacher geworden ist. Die 23 Stadträte plus OB, die die Fraktion jetzt umfasst, sind auf einem gemeinsamen Weg. Und den wollte Alexander Reissl so doch in maßgeblichen Punkten nicht mitgehen.

Nehmen Sie es ihm persönlich übel, dass er gegangen ist?
Ich verliere mit ihm einen langjährigen Weggefährten, aber das ist auch keine persönliche Frage.

Und dass er gerade zur Konkurrenz gewandert ist?
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Stadt und Gesellschaft verändern sich. Ich glaube, dass Politik immer ein Prozess ist. Die SPD muss sich nicht nur erneuern, sie muss sich ständig neu erfinden, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Genau das versuchen wir in München.

Programm der Münchner SPD: "Wir brauchen mehr als zwei Sätze"

Sind Verena Dietl und Christian Müller die Richtigen dafür?
Absolut. Vor allem auch mit Anne Hübner und Christian Vorländer als Vize-Chefs.

Hübner ist in den sozialen Netzwerken sehr aktiv, Vorländer als TV-Anwalt bekannt.
Beide sind frische Persönlichkeiten, die ihre polititischen Inhalte auch gut präsentieren.

Machen sie das mit ausreichender Ernsthaftigkeit?
Ja, mit Sicherheit. Anne Hübner hat sich in letzter Zeit sehr stark eingebracht, ein Großteil des kommunalpolitischen Programms trägt ihre Handschrift. Und Christian Vorländer kann Politik verkörpern. Man erkennt bei beiden, dass es ihnen Spaß macht. Und auch das spielt eine große Rolle.

Reiter möchte sich im Wahlkampf zurückhalten. Halten Sie das für zu optimistisch?
Was er wahrscheinlich sagen wollte, ist etwas anderes. Er hat 2014 zum ersten Mal kandidiert, da musste die Partei viele Veranstaltungen für ihn organisieren, um ihn bekannter zu machen. Die braucht er jetzt als OB natürlich nicht mehr.

Er geht aber trotzdem von einem engen Rennen aus.
Natürlich muss hier gekämpft werden.

Ist es auch symbolisch schwierig, als 61-Jähriger gegen zwei junge Frauen noch frisch und motiviert zu wirken?
Es ist eine Verkürzung von Politik, wenn sie darauf fokussiert wird, dass man jung, frisch und weiblich sein muss.

Das ist aber der Zeitgeist, dass der erste Blick auf diese Symboliken geht.
Der zwei Blick geht vielleicht ein bisschen tiefer, nämlich: Was verkörpert die Person, was strahlt sie aus? Was will die Person für München?

Sie finden, Reiter strahlt aus, dass er die Stadt gestalten will?
Absolut. Und es auch kann. a) hat er Ideen, b) ist er ein Macher und c) ist er glaubwürdig.

Es gibt ein neues Bürgerbegehren gegen die Nachverdichtung. Trifft das nicht auch auf ein Gefühl vieler alteingesessener Münchner, die zum Klientel der SPD gehören?
Die Nachverdichtungs-Gegner sagen: Wohnungsbau muss möglich sein, schließen dann aber alle möglichen Standorte aus. Das funktioniert einfach nicht. Wenn ich die Gartenstädte schützen möchte, muss ich woanders Wohnungsbau ermöglichen. Auch die Alteingesessenen haben Enkel und Kinder, die irgendwann eigene Wohnungen möchten – und die müssen wir schaffen.

Im Wahlkampf aber schwer zu erklären, oder?
Genau das werde ich aber erklären. Die SPD ist eine Partei, die manchmal mehr als zwei Sätze braucht, um die Programmatik darzustellen.

Mieten in München: SPD findet CSU als Mieterpartei "absurd"

Und das Volksbegehren zum Mietenstopp? Justizminister Georg Eisenreich sagt, der sei eh verfassungswidrig. Könnte man sich den ganzen Aufwand dann nicht sparen?
Verfassungswidrig ist der sicher nicht. Die Frage ist: Ist es eine Länderkompetenz? Berlin sagt ja, Bayern sagt nein. Wir werden die Unterschriften sammeln. Dann müssen sich der Freistaat und der bayerische Verfassungsgerichtshof äußern – und dann kann der Freistaat nach Karlsruhe gehen.

Eisenreich klingt so, als sei die CSU die neue Mieterpartei.
Ich finde das absurd.

Warum?
Die CSU hat zu meiner Zeit im Stadtrat konsequent gegen jedes Erhaltungssatzungsgebiet und jedes Vorkaufsrecht gestimmt. Irgendwann haben sie festgestellt, dass das schwierig wird. 75 Prozent der Münchner sind Mieter.

Die CSU hat jüngst gegen die verschärfte Zweckentfremdungssatzung gestimmt, wegen rechtlicher Bedenken.
Die CSU sieht fast überall enteignungsgleiche Eingriffe, die ich nicht sehe. Auch in diesem Fall nicht.

Marian Offmann ist von der CSU zur SPD gekommen. Hat er einen garantierten Platz auf der Stadtratsliste?
Niemand hat einen garantierten Platz. Außer der OB.

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