Münchner schreiben, wie’s weitergeht: Aufstehen und Mut fassen

Auf drei Seiten schreiben Menschen aus unserer Stadt, wie sie nach einer Woche der Trauer wieder nach vorn blicken – und was ihnen dabei hilft.
von  az
Münchner sprechen Münchnern in der AZ Mut zu - die Beiträge von der Standlfrau bis hin zum Oberbürgermeister.
Münchner sprechen Münchnern in der AZ Mut zu - die Beiträge von der Standlfrau bis hin zum Oberbürgermeister. © dpa/AZ/ho

München - Eine Woche nur. Aber was für eine. Der Amoklauf am OEZ hat tiefe Spuren hinterlassen in der Stadt. Schmerz, Leid, Angst. Danach der Rucksackbomber in Ansbach, Terror in der Türkei. Manche trauen sich kaum mehr, den Fernseher einzuschalten, weil doch bloß schlechte Nachrichten herauskommen. Auch wir bei der Abendzeitung haben keine Freude daran, bloß erschütternde Botschaften zu verbreiten.

Hier lassen wir Münchner schreiben, die in ihren eigenen Worten erklären, wie das Leben nun für sie weitergeht. Was ihnen Mut und Zuversicht verleiht. Und warum Angst nicht die Überhand gewinnen darf in einer Stadt, die wir ja für die schönste der Welt halten.

Vom Oberbürgermeister bis zur Standlfrau, vom Geistlichen bis zum Gastwirt – lesen Sie diese Beiträge auf den kommenden drei Seiten. Kluge An- und Einsichten, gute Ratschläge und viel Gefühl füreinander stehen in all den Zeilen und dazwischen auch. Sie sagen: Kopf hoch, München! Das Leben geht weiter. Aufstehen, Mut fassen.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Autoren für die Beiträge – und wünschen unseren Lesern viel Freude bei der Lektüre. Und einen schönen Sonntag!

OB Dieter Reiter: „Weitermachen – zusammen, nicht getrennt“

Vor einer Woche haben wir gerade versucht, das Unfassbare zu begreifen. Es war eine lange, eine schreckliche Nacht, und es folgten Tage der grausamen Gewissheit, dass so viele Menschen bei dieser Wahnsinnstat ihr Leben verloren haben. Deshalb haben wir alle städtischen Feste und Feiern in dieser Woche abgesagt.

Am Dienstag habe ich einige der Angehörigen getroffen und ihnen auch im persönlichen Gespräch meine tiefe Anteilnahme ausgedrückt. Und ich durfte erleben, wie unterschiedlich Menschen trauern. Die einen, die im engsten Kreis ihrer Familie bleiben, die anderen, die den Schmerz in einer großen Gemeinschaft besser ertragen.

Es lag mir am Herzen, bei den Beerdigungen dabei zu sein, die in München stattgefunden haben. Ein schwerer Gang, aber unendlich viel schwerer für die Eltern, Geschwister, alle Angehörigen und Freunde.

Meine Gedanken sind auch bei den Verletzten, und ich hoffe, sie alle erholen sich möglichst schnell und vollständig. Die psychische Aufarbeitung dieser so schrecklichen und menschenverachtenden Tat wird sehr lange Zeit brauchen, vielleicht ein ganzes Leben.

Sich gegenseitig Halt zu geben, füreinander da zu sein, das ist, was man in diesen Tagen tun kann. Auch die Kriseninterventionsteams, Lehrerinnen und Lehrer, die Mitschülerinnen und Mitschüler, Mitmenschen können Halt geben und über diese schwierige Zeit helfen.

Wo immer Hass aufkeimt, müssen wir den Zusammenhalt dagegensetzen, die Gemeinsamkeiten sehen, nicht das, was uns unterscheidet. Und so werden wir in unserer Stadtgesellschaft weitermachen: Zusammen, nicht getrennt, weltoffen, bunt und tolerant.

Das macht unsere Stadt, unser Lebensgefühl aus und daran wird niemand etwas ändern können.

Charlotte Knobloch: „Das Leben geht weiter – nicht der Tod“

Natürlich lassen auch mich die schrecklichen Geschehnisse, die Meldungen und Bilder nicht los. Ich bin sehr traurig über die vielen, vor allem jungen Opfer und entsetzt über den geballten Hass, die völlig enthemmte, gnadenlose Brutalität, die sich in der letzten Woche so fürchterlich entladen hat.

Da kann und darf man nicht nach ein paar Tagen wieder zur Tagesordnung übergehen. Trauer, Verstörung und Angst brauchen Zeit und Raum, auch Riten. Das gilt vor allem für die Hinterbliebenen, die vielen Verletzten und die, die alles miterleben mussten. Auch die Stadtgesellschaft muss innehalten – Nizza, München, Ansbach, Saint-Étienne du Rouvray wurden bis ins Mark erschüttert.

Deshalb ist es gut, dass es in München eine Woche der Trauer gibt. Aber: Das Leben geht weiter – nicht der Tod. Wir sollten rasch in unseren Alltag zurückfinden. Nicht um zu vergessen. Im Gegenteil: Um für die Trauernden stark zu sein und um unser Leben nach unserer Weise weiterzuleben – im Bewusstsein, wie kostbar es ist, und in der Entschlossenheit, dafür zu kämpfen.

Imam Benjamin Idriz: „Euer Hass kommt nicht aus unserer Religion!“

Als Muslim bin ich doppelt betroffen: die Mehrzahl der Opfer des Amoklaufs waren Muslime, und sind damit erneut – wie leider schon so oft in Deutschland – Opfer von Hass auf vermeintlich „Fremde“ geworden.

Wenn die Täter der Anschläge in Nizza, in Würzburg, in Ansbach sowie die Mörder des Priesters in Frankreich vorgeben und sich womöglich selbst einreden, Muslime zu sein, dann rufe ich ihnen, und denen, die mit ihnen sympathisieren, zu: Euer Hass kommt nicht aus unserer Religion! Eure Gewalt kommt nicht von unserem Propheten! Ihr habt nichts von der Barmherzigkeit Gottes verstanden und nichts von Seinem Koran. Wendet euch dem allbarmherzigen Allah zu, damit er euch auf seine Wege des Glaubens, der Vernunft und der Menschlichkeit zurückführt.

Anstatt Angst und Misstrauen zu schüren, müssen wir gemeinsam, Muslime wie Nicht-Muslime, mutig und entschlossen gegen Hass und Gewalt vorgehen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen von Populisten und Politikerreden, sondern müssen gemeinsam an das friedliche Miteinander glauben und Tag für Tag dafür eintreten. Am 15. Juli haben Moscheen und unzählige Bürger ihre Häuser über Nacht für Menschen geöffnet. Dieser gemeinsame Geist der Mitmenschlichkeit soll Münchens Botschaft aus dieser schrecklichen Nacht sein.

Polizeipräsident Hubertus Andrä: „Erhöhte Aufmerksamkeit und noch höhere Präsenz“

Die schlechten Nachrichten der letzten Tage haben mich betroffen gemacht. Sie haben bei mir auch Erinnerungen an andere schwierige Einsätze, wie den Amoklauf in Bad Reichenhall, das Zugunglück in Kaprun oder der Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall hervorgerufen.

Natürlich waren und sind die Gedanken auch immer wieder bei den Familien, die den schrecklichen Schicksalsschlag zu verarbeiten haben.

Auch wenn wir für München derzeit keinerlei konkrete Hinweise für eine Gefährdungslage haben, sind meine Kolleginnen und Kollegen trotzdem mit erhöhter Aufmerksamkeit und mit noch höherer Präsenz in der Stadt unterwegs.

Wir leben in einer lebenswerten und liebenswerten Stadt. Wir als Ihre Münchner Polizei werden alles dafür tun, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Bei aller Tragik und aller Trauer dürfen wir aber auch die schönen Aspekte in unserem Leben nicht vergessen. Denn daraus können wir auch die Kraft und den Mut für die Zukunft schöpfen.

Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler: "Davonlaufen gilt nicht"

Bei uns zu Hause gab es einen eisernen Ehrenkodex beim Austragen von Konflikten: Davonlaufen gilt nicht! Die Frage „Wie sollen wir jetzt weiterleben?“ nach dem Amoklauf im OEZ und den vielen Terroranschlägen in der Welt lässt schnell an Weglaufen und Verstecken denken. Die Sicherheit ist weg, und es kann jeden von uns ganz unvermittelt treffen.

Diese Mörder haben keinen Respekt vor dem Leben, dem eigenen wie dem des anderen. Unser Leben aber will organisiert und gestaltet sein wie sonst auch. Es gibt keine Alternative dazu. Deshalb muss ich kein Held sein, um so zu leben. Ich darf den staatlichen und polizeilichen Organen vertrauen, obwohl ich weiß, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gibt.

Ganz wichtig für mich aber sind meine christliche Überzeugung und die Ermutigung aus meinem Glauben heraus. „Was kann mich scheiden von der Liebe Jesus Christus?“, fragt einmal der Apostel Paulus. Nichts, so seine Antwort. Keine Macht, keine Gewalt, kein Hass ist in der Lage, seine Liebe zum Leben und zum Nächsten zu zerstören. Gott ist ein Liebhaber des Lebens, ich darf sein Abbild sein. ,Gott ist groß’ zu rufen und dann Menschen in den Tod reißen, ist nur abartig, hat nichts mit einem ehrlichen Gottesbild und einem gesunden Glauben zu tun. Wie ein Apostel Paulus bin auch ich kein Held, aber ich weigere mich, mich vom Hass dieser Terroristen einschüchtern zu lassen! Natürlich werde ich Situationen eher meiden, wenn ich mir unsicher bin, aber ich werde immer gegen jede Form des Unrechts in unserer Gesellschaft aufstehen und mich wehren. Je gemeinschaftlicher wir das tun, umso erfolgreicher werden wir sein.

Davonlaufen gilt nicht!


Die Zwillingsschwestern Marisa (17, l.) und Margit am Marienplatz bei einer Solidaritätsaktion für die Hinterbliebenen der Opfer. Foto: Matthias Balk/dpa

Schriftsteller Hans Pleschinski: „Hirnlose Marionetten, modernes Kanonenfutter“

Natürlich bin ich betrübt über die Gewalttaten, die Europa und das halbe Erdrund erschüttern. So weit man es als Verschonter vermag, fühle ich mit den Heimgesuchten. Hirnlose Marionetten, das moderne Kanonenfutter machtlüsterner Drahtzieher, die sich als religiös gebärden, schänden in Wahrheit ein Höchstes Wesen, ob es nun Gott, Jehova oder Allah genannt wird. Dass die Welt in solchen Glaubensquark zurück sinkt, bleibt schockierend.

Furcht fühle ich nicht. Welche Generation durfte jemals damit rechnen, nur in eitel Frieden und Wohlfahrt zu leben? Ich erinnere mich an die Zeiten des RAF-Terrors und bin ein wenig geschult in Bedrohlichkeiten. Ich arbeite an einem Roman, der 1945 in Schlesien spielt; und ich erfahre, um wie viel bedrohter als heute das schüttere Leben sein kann.

Die Attentäter verachte ich. Sie beweisen mir aber nebenher, wie grandios das freie vielfältige Europa ist, wenn sich ihr ganzer Hass an unserem zivilen Miteinander abarbeitet. Natürlich wird unsere freiheitliche Wachsamkeit über jeden Henker und Henkersknecht siegen. Es dauert vielleicht ein wenig. Einst schrieb Friedrich der Große an Voltaire: „Jagen Sie den Fanatismus zur Tür hinaus. Zum Fenster wird er wieder herein kommen.“ Im Sinne Voltaires würde ich antworten: „Dann jagen wir jeden Fanatismus wieder zur Tür hinaus.“

Das ist das Geschäft der Zivilisation.

Zweiter Bürgermeister Josef Schmid: „Wir dürfen keinen Vertrauensverlust zulassen“

Der Amoklauf hat München erschüttert. Neun größtenteils sehr junge Menschen wurden jäh aus dem Leben gerissen, über die Angehörigen der Opfer wurde unendliches Leid gebracht. Nicht zu vergessen die vielen Verletzten dieses furchtbaren Spätnachmittags. Aber auch jenseits der unmittelbar Betroffenen, denen unser ganzes Mitgefühl gilt, haben diese dramatischen Stunden München verändert.

Es war nicht nur eine große Solidarität zu spüren, die sich exemplarisch im Hashtag #offeneTür zeigte. In den gewohnten Ablauf des Münchner Alltags brach plötzlich auch ein starkes Gefühl des Bedrohtseins herein. Menschen gerieten teilweise in Panik, die Stadt hielt kollektiv den Atem an.

Dazu kommt, dass sich in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum Münchner Amoklauf die Attentate von Würzburg und Ansbach ereigneten. Das Ergebnis: ein weit verbreitetes und deutlich spürbares Gefühl der Unsicherheit. Dem muss die Politik mit aller Macht entgegensteuern. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen dieses Grundvertrauen verlieren, dass der Staat für die Sicherheit seiner Bürger sorgen kann.

Ich begrüße deshalb sehr die jetzt beschlossene Aufstockung und Stärkung der Polizei. Und es ist auch vollkommen richtig, das Sicherheitskonzept der Wiesn vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse noch einmal zu überarbeiten.

Wir müssen alles tun, um die Gäste der Wiesn optimal zu beschützen. Gleichzeitig sage ich aber auch ganz deutlich: Wir dürfen uns die Freude an diesem wunderbaren Fest nicht nehmen lassen.

Denn genau das ist das perfide Ziel der Terroristen. Sie wollen Verunsicherung in unsere freie, westliche Gesellschaft tragen. Deshalb: „Ja“ zur größtmöglichen Sicherheit. Aber auch „Ja“ zu Lebensfreude und Geselligkeit!

MVG-Chef Herbert König: „Eine Stadt ist ein sensibler Organismus“

Wir mussten lernen: Die Tat eines einzelnen kann eine Millionenstadt lähmen, jedenfalls temporär. Unschuldige haben ihr Leben verloren, Tausende wurden in Angst und Schrecken versetzt; wir als Verkehrsunternehmen konnten unsere Fahrgäste nicht an ihr Ziel bringen und auch unsere Mitarbeiter waren an diesem Abend massiv betroffen und harrten stundenlang in den Bahn- und Betriebshöfen aus.

Das war schon ein Schock, auch für uns, auch für mich. Es hat uns drastisch vor Augen geführt: Eine solche Stadt ist ein sensibler und verletzbarer Organismus. Dieses Risiko können wir nicht abschaffen, aber es sich bewusst machen, ist schon ein Beitrag zu seiner Reduzierung.

Wir haben bei der MVG seit vielen Jahren Fachleute, die aktiv mögliche Sicherheitsrisiken in unseren Anlagen und Verkehrsmitteln analysieren und Risikoreduzierung betreiben. Unsere bewährte U-Bahnwache, die enge Zusammenarbeit mit der Polizei und die umfängliche Videoüberwachung sind dabei wichtige Bausteine. Auch nach dem furchtbaren Ereignis können wir versichern: In München kümmert man sich aktiv um Ihre Sicherheit, auch und gerade im öffentlichen Verkehr.

Nour Chaar, Münchner Muslima: „Wir beten für alle, wir gehören zusammen“

Zwei Freundinnen waren im OEZ, als die Schießerei passierte, das war schrecklich. Wir hatten Angst. Mir ist bei den Schreckensnachrichten so wichtig mitzuteilen, dass der Terror nicht zum Islam gehört. Ich komme aus Syrien und lebe in München. Wir beten viel, das macht Mut und gibt Kraft. Wir beten für alle Menschen, egal ob Christen oder Muslime oder Andersgläubige. Wir gehören zusammen, wir sind Schwestern und Brüder, egal woher wir kommen. Man sollte noch mehr zusammenhalten und füreinander da sein.

Dr. Axel Fischer, Chef des Städtischen Klinikums: „Das Zusammenrücken ist zu spüren“

Ein solches Ereignis geht an niemandem spurlos vorüber. Unser großes Mitgefühl ist bei den Trauernden. Leider können wir heutzutage solche schrecklichen Ereignisse, Unfälle oder Katastrophen nicht gänzlich ausschließen. Wir müssen lernen, mit solchen Ausnahmesituationen umzugehen.

Gleichzeitig sollten wir uns unseren Münchner Lebensstil nicht nehmen lassen. Es stimmt mich zuversichtlich, dass Hunderte unserer Mitarbeiter binnen kürzester Zeit an allen unserer Klinikstandorte vor Ort waren und sich um Verletzte gekümmert haben.

Insgesamt ist ein solches Zusammenrücken der Menschen nicht nur in München zu spüren. Das macht mich stolz und zeigt, mit welchem Engagement die Ärzte und Pflegekräfte der Münchner Kliniken täglich und in Grenzsituationen für andere Menschen da sind.

Musiker Gerd Baumann: „Je übler es wird, desto mehr Offenheit gibt es“

Für mich entwickelt sich das Gefühl für die Welt gerade in einer linearen Kurve: Es wird immer düsterer. Ich habe schon eine regelrechte Angst davor, Nachrichten zu schauen, online auf Nachrichtenseiten zu gehen. Ich denke mir: Wer weiß, was jetzt schon wieder passiert ist? Das macht ein bisschen spaßlos.

Allein wenn man sich Europa anschaut und die politischen Errungenschaften der vergangenen 50 Jahre – dann wundert man sich doch, dass das wieder beginnt zu bröseln, dass der Nationalismus wieder hochquillt. Es macht mich sprachlos und ich begreife nicht, wo der ganze Scheiß herkommt.

Aber Resignation ist natürlich keine Lösung. Ich kann ja nicht sagen: Ich lege mich hin, schlafe die nächsten Jahre und warte, dass es besser wird. Man muss politisch aktiv werden, egal, wie klein der Rahmen ist. Und wenn es nur Gespräche im Freundeskreis sind.

Und ich mag mich täuschen, aber ich habe auch das Gefühl: Je übler es da draußen wird, desto mehr entsteht eine menschliche Wärme, desto mehr Offenheit gibt es zwischen den Menschen, die das nicht wollen, was da geschieht. Das, was in den vergangenen Jahren im Schlechten passiert ist, dass sich reaktionäre, ausländerfeindliche Kräfte vernetzt und organisiert haben, das passiert immer mehr auch im Guten.

Das macht Hoffnung. Wir gehen natürlich weiter auf die Bühne. Wir werden nicht aufhören, das einzige weiterzumachen, das wir können. Und unser Leben weiterzuleben. Es kommt nicht in Frage, etwas zu ändern.


Drei Männer tragen sich am Neuen Rathaus ins Kondolenzbuch ein. Foto:SvenHoppe/dpa

Till Hofmann, Bellevue di Monaco: „Pass ma auf uns auf!“

Meines Erachtens ging München sehr besonnen und mit Ruhe an die Trauerarbeit, in der die gesamte Stadt verbunden steht. Dass einzelne terroristische Verbrechen wie Ansbach unser Zusammenleben und ein freies Miteinander zerstören wollen, muss uns erst recht selbstbewusst zusammenschweißen.

Wir müssen weiterhin solidarisch mit geflüchteten Menschen sein, die aufgrund von ebendiesem Terror ihre Heimat verlassen mussten. Der gesellschaftliche Frieden bleibt, wenn man empathisch aufeinander zugeht und keine Menschen in unserem Zellhaufenverbund aufgrund sozialer Not, anderem Aussehen oder anderer Religion diskreditiert und diese Menschen, nicht nur Geflüchtete, abhängt.

Daher: kühler Kopf, schauen, dass die demokratischen Parteien nicht dem Populismus verfallen und versuchen, Hintergründe für Taten nach rechts und links auszulegen und noch krampfhaft darauf aus sind, aus der Katastrophe politisches Kapital zu schlagen.

Wenn genau das passiert, erreicht der Terror sein Ziel, nämlich unsere Gesellschaft zu spalten.

Lassen wir unser Leben nach der gebotenen Trauerzeit nicht einschränken, feiern wir zusammen und versuchen wir, Waffen grundsätzlich zu verbieten. Es reicht, wenn die Polizei welche hat.

Vielleicht schaut man mehr auf traumatisierte Menschen, investiert mehr Zeit und Geld in die Integration nicht nur geflüchteter sondern auch von sonstigen z. B. durch Mobbing abgehängten Menschen in unserer Gesellschaft.

Für minderjährige Geflüchtete sollte man Patenschaften übernehmen und jetzt nicht dem Wahnsinn verfallen, nur aufzurüsten.

Die Wurzeln für den internationalen Terrorismus sind Armut, Elend und Kriege. Solange Deutschland sich durch Waffenexporte über Bande gespielt an Kriegen beteiligt, solange die EU Agrarexporte subventioniert und dadurch die afrikanische Landwirtschaft am Boden liegen lässt, gefährdet das unser Land eher, als dass mehr Sicherheit hergestellt würde.

Machen wir friedlich weiter, pass ma auf uns auf und lassen uns nationalen Populismus nicht gefallen.

Wir sind mehr – und wir kriegen es hin, zweifelnden Menschen die Angst zu nehmen. Aufklärung, Bildung und auch mal Zeit nehmen für sozial Schwächere. Das müssen nicht immer geflüchtete Menschen sein.

Und sollten weitere Katastrophen und Terroranschläge durch Einzeltäter passieren: Lassen wir uns bei allem Schmerz nicht die Freiheit nehmen.

Wir packen das. Gemeinsam. Auf geht’s. Pack mas.

Wiesn-Wirt Stephan Kuffler: „Den Schrecken nicht länger ausweiden“

Spätestens seit 9/11 in 2001 sollte sich jeder bewusst sein, dass Sicherheit relativ ist. Ich habe mich als Unternehmer schon lange davor mit Sicherheitsthemen beschäftigen müssen und versuche, äußerst verantwortungsbewusst zum Schutz der Gäste, Mitarbeiter und meiner Familie zu handeln.

Hier tun wir alles in unserer Macht Stehende. Aber die garantierte Sicherheit bleibt ein Traum. Zum Glück ist es immer noch sicherer, vor die Tür zu gehen, als daheim zu bleiben, schließlich sterben jährlich weit über 5000 Menschen bei Haushaltsunfällen. Das sind mehr Tote als im Straßenverkehr. Aber niemand käme auf die Idee, nicht mehr nach Hause zu gehen, und das ohne Nutzung des Straßenverkehrs.

Ab wann wäre eine Veranstaltung denn überhaupt groß genug, um deren Besuch nach neuesten Maßstäben als gefährlich einzustufen? Reicht schon der Viktualienmarkt am Samstag? Hier gibt es keine Taschenkontrollen oder mehr sichtbare Sicherheitsmaßnahmen als bislang üblich. U-Bahnfahrten, der Besuch von Konzerten oder Fußballspielen, Stadtlauf oder ein stadtbekannter Bierkeller?

Der Münchener Amoklauf ist grauenhaft erschütternd, aber es war kein terroristischer Akt und steht in keinem Zusammenhang mit der Schieflage im Nahen Osten und dessen Fernwirkung. Und hier kommt der Teil, der mich wirklich aufregt: Zu viele kleine und große Gruppierungen haben ein massives Interesse daran, alle negativen Nachrichten in einen Topf zu werfen, um für sich selbst Nutzen daraus zu ziehen. Ich rede hier nicht von Randgruppen.

Man sollte jetzt schleunigst dazu übergehen, den Schrecken nicht länger auszuweiden, sondern sich besser Gedanken dazu machen, wie derlei in Zukunft vermieden werden kann. Unsere Sicherheitsbehörden haben jedenfalls schon einmal gezeigt, wozu sie die Köpfe zwischen den Schultern haben, wie man gerne salopp formuliert. Dafür geht ein großer Dank in diese Richtung!

Elke Fett, Sprecherin Viktualienmarkt: „Auf meinem Markt tut niemand anderen weh“

Dieser Abend hat natürlich schon seine Spuren hinterlassen. Bisher haben wir immer gedacht: München, zumal der Viktualienmarkt, das ist ein begnadetes und geschütztes Plätzchen, uns geschieht schon nichts. Paris, Brüssel, London – da vielleicht, aber doch nicht hier. Seit dem Amoklauf wissen wir: Es kann immer und überall etwas passieren.

Ich bin weiß Gott keine ängstliche Person, aber ich schaue jetzt schon auch: Wer läuft hier so rum, steht irgendwo ein herrenloser Rucksack? Insofern hat sich unsere Stadt schon etwas verändert.

Letztlich nützt’s aber nichts. Wir müssen weitermachen wie bisher. Wenn was passiert, dann ist es Schicksal, verhindern kann man das ohnehin nicht. Früher waren es die Pferdefuhrwerke, bei denen man Acht geben musste, dass man nicht unter die Räder kommt, heute muss man mit solchen Terror-Typen rechnen.

Wenn an meinem Standl allerdings so einer vorbeiläuft, den pack’ ich mir und schmeiß’ mich auf ihn drauf. Auf meinem Markt tut niemand jemand anderem weh.

Dietmar Holzapfel, Deutsche-Eiche-Wirt: „Langfristig wird Humanität siegen“

Natürlich haben auch mich die unfassbaren Taten der letzten Wochen sehr betroffen gemacht, und gerade der Münchner Amoklauf hat anfangs bei mir Angst ausgelöst, selbst Opfer werden zu können.

Beim Versuch zu verstehen, was da passierte und somit die Angst zu bekämpfen, helfen mir drei meiner Interessengebiete: Sexualität, Geschichte, Rainer-Werner Fassbinder. Wer permanent wesentliche Teile seiner Persönlichkeit unterdrücken muss, rastet irgendwann aus (Orlando). Den Gräueltaten der Nazi-SS an Millionen Juden stehen wir heute auch fassungslos gegenüber, und da handelte es sich nicht um Einzeltäter.

Es ist wohl so, wie Fassbinder das so gut in seinen Filmen zeigte, dass in jedem Menschen Abgründe vorhanden sind. Warum dann einige „ausrasten“, da lohnt es sich sicherlich, genau hinzuschauen. Beim Münchner Täter waren es wohl auch die jahrelangen narzisstischen Kränkungen, die ihn in seine Hasswelt führten. Ich glaube aber ganz säkular an den langfristigen Sieg der Humanität. Jeder Fall ist in seiner ganzen Komplexität zu analysieren.

Ich bin auch dagegen, die Täter als „kranke Psychopathen“ abzutun, das würde ja fast an Schuldunfähigkeit denken lassen. Das wäre mir zu einfach, es waren schließlich geplante Taten.

Ebenso kann die Berufung auf irgendeine Religion nicht zur Erklärung herhalten, die jungen Täter haben doch gar keine Ahnung von Religion. Brutale Täter hat es schon vor unseren relativ „jungen“ Religionen gegeben. Die platten Lösungen von Populisten machen mir dementsprechend eher Angst.

Also bitte nicht Petry, Trump, Wilders, Le Pen und Co. wählen! Darauf hoffe ich von ganzem Herzen! Und menschenverachtende Ego-Shooter-Spiele sollten verboten werden. Erste TV-Sender zeigen sie schon nicht mehr, das macht mir Hoffnung.

Susanne Czaya, Stiftungsmitarbeiterin: „Es zählt, aufmerksam und bewusst zu sein“

Seit den Schreckensnachrichten schaue ich mir die Leute genauer an, wenn ich unterwegs bin. Wir können nicht so tun, als ob es uns nicht betrifft. Ganz viele Menschen sind immer mit Gewalt konfrontiert – und sind trotzdem tapfer und fröhlich.

Viele Menschen suchen bei uns Sicherheit und Zuflucht. Viele sind traumatisiert, haben eine Entwurzelung hinter sich, sind in Schwierigkeiten. Viele fühlen sich nicht verstanden. Ich möchte nicht wissen, wie es uns ginge, wenn wir mit so vielen Menschen auf engstem Raum sind. Es gibt in jeder Gemeinschaft Menschen, die psychisch krank sind. Auch bei uns – und auch die stoßen auf nicht viel Verständnis.

Dieser Junge, der im OEZ geschossen hat, war sicher schon länger auffällig, es ging ihm sicher nicht gut. Ich wünsche mir noch mehr als vorher, dass ich mit Verständnis und Zuwendung reagieren kann, wenn es darauf ankommt. Ich hoffe, dass ich nicht in Panik komme, wenn eine entsprechende Situation eintritt.

Ich spreche viel mit anderen Menschen und gehe in Kontakt. Das ist manchmal schwer genug mit Menschen, die einem am nächsten sind. Oft geht vieles routinemäßig. Umso mehr zählt es, sehr aufmerksam und bewusst zu sein.

 

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